Eine Fassade wie eine Felswand

Richard Gilder Center for Science, Education, and Innovation, New York City/US

Im Mai wurde das neue Eingangsgebäude für das American Museum of Natural History in New York eröffnet. Studio Gang entwarf einen organischen Raum, den eine elementierte Fassade aus 4 500 einzeln bearbeiteten Natursteinen abschließt.

Text: Christian Brensing


Foto: Iwan Baan

Foto: Iwan Baan


Jeanne Gangs Portrait auf CBS Sunday Morning zeigt die Gründerin von Studio Gang auf der Dachterrasse ihres Chicagoer Architekturbüros, wie sie kochendes Wasser über einen Eisblock gießt. Sie demonstriert die Entwurfsidee für das neue Eingangsgebäude des ehrwürdigen American Museum of Natural History (AMNH). Fasziniert beobachtet Amerikas Star­architektin das Schmelzwasser, das den Block aushöhlt.

Schon Ende der 1990er-Jahre, mit dem Aufkommen von leistungsstarken Rechnern, war biomorphe Architektur wieder en vogue. „Biomorphism“ könnte man als eine spezielle Art von Energie beschreiben, die zuerst der Jugendstil, dann der Surrealismus und schließlich Architektur-Protagonisten wie z. B. Antonio Gaudi, Le Corbusier oder gar der Anthroposoph Rudolf Steiner in ihren Bauten erfühlten und in pulsierende, schwingende Materie umsetzten. Nun ist Studio Gang mit der Erweiterung des AMNH eine Neuinterpretation dieser architektonischen Stilrichtung gelungen.


Das Amercian Museum of Natural History mit seinem neuen Eingangsgebäude von Studio Gang liegt mitten in Manhatten, direkt am Central Park
Foto: Iwan Baan

Das Amercian Museum of Natural History mit seinem neuen Eingangsgebäude von Studio Gang liegt mitten in Manhatten, direkt am Central Park
Foto: Iwan Baan


Das räumliche und formale Zusammenspiel, vor allem bei der mit Naturstein verkleideten Außenfassade und der mit Spritzbeton gleichermaßen skulptural gestalteten gebäudehohen Eingangshalle, bildet den neuen baulichen Höhepunkt an New Yorks Upper West Side. Pate für diese der Natur nachempfunden Formen und Räume standen auch die von Wind und Wasser geformten Felswände des sogenannten Slot Canyons, des Antelope Canyon im Südwesten der Vereinigten Staaten. Besieht man sich das direkte Umfeld des AMNH zwischen Columbus Avenue und Central Park, so hätten – mit etwas Fantasie – auch die Häuserschluchten Manhattans als Inspiration und Assoziation dienen können. Aber die Nähe zur Natur ist offensichtlich bei einem Naturkundemuseum schlüssiger, wie die Architektin Jeanne Gang erklärt: „Die Architektur greift den Wunsch nach Erkundung und Entdeckung auf, der so typisch für die Wissenschaft ist und auch einen großen Teil des Menschseins ausmacht. Das Gebäude lädt auf eine Reise zu einem tieferen Verständnis ein, weckt Neugierde und hilft Ihnen, die erstaunlichen Organismen zu verstehen.“


Die Sandsteine wurden im Vorfeld auf bis zu 15 m² großen Stahlpaneelen befestigt, die auf der Baustelle an die geschwungene Stahlbetonunterkonstruktion montiert wurden. Insgesamt besteht die Fassade aus 4 500 einzeln bearbeiteten Steinen
Foto: Timothy Schenck

Die Sandsteine wurden im Vorfeld auf bis zu 15 m² großen Stahlpaneelen befestigt, die auf der Baustelle an die geschwungene Stahlbetonunterkonstruktion montiert wurden. Insgesamt besteht die Fassade aus 4 500 einzeln bearbeiteten Steinen
Foto: Timothy Schenck


Folgt man den Linien und Konturen der inneren sowie äußeren Oberflächen des Neubaus, so ergeben sich keine Muster, keine zwingend funktional verorteten Öffnungen, wie z. B. Fenster und Eingänge. Sie erscheinen so unverständlich beliebig wie die Wellenlinien der Brandung im Meeressand. Der ganze 22 000  m² große Bau ist ein ganzheitliches Ereignis von einem gewaltigen Flow, einer Strömung, die die Besucher an- und hineinzieht in die Kavernen der Naturkunde und Architektur. Der organische Raum weist keine sichtbaren Stützen, Bögen und Materialkanten auf. Außerdem verbindet das neugeschaffene Eingangsbauwerk, sozusagen als Herzstück, zehn bisher unzureichend miteinander verknüpfte Museumsbauten, inklusive ihrer Abteilungen.

Höchste Bergsteigerklasse

Wie kommen solche Oberflächen zustande, wie werden sie entworfen, geformt und schließlich zusammengesetzt? Die circa 2 000 m² große Außenfassade war, verglichen mit den Spritzputzwänden der Eingangshalle, eine umso gewaltigere planerische, logistische und bautechnische Aufgabe. An der felsartigen Natursteinfassade zur Columbus Av. wurde ein Riesen-Puzzle aus 4 500 einzeln konfigurierten und bearbeiteten Natursteinen zusammengesetzt. Wohl aus Gründen der baulichen Kontinuität zum 1871 eröffneten Stammhaus des American Museum of Natural History wählten die Architekten von Studio Gang einen heimischen Stein für den Neubau. Der Milford Pink Granit kommt nur in einem einzigen Steinbruch in Massachusetts vor. Er fand schon in den historischen Bestandsbauten seine Verwendung. Hinsichtlich seiner Farbe legte man sich jedoch statt auf die pinken auf die dezenteren, weiß-grauen Abstufungen fest. Die individuelle Auswahl der Maßrohblöcke erfolgte direkt im Steinbruch, bereits im Beisein der Geologen und der mit den Steinarbeiten beauftragten deutschen Firma Hofmann Naturstein aus dem fränkischen Gamburg.



Foto: Iwan Baan

Foto: Iwan Baan


Die Vorhangfassade aus Granit-Krümmlingen mit seinen Frei-formkonturen wurde in enger Zusammenarbeit von Studio Gang mit den ausführenden Firmen geplant. Auf Grundlage eines gewerkeübergreifenden BIM-Modells modulierte man die steinerne Außenhaut. Kein Stein gleicht dem anderen, alle sind Unikate und weisen demnach unterschiedliche Krümmungen auf. Ein 400-seitiger Ingenieurbericht legt Zeugnis davon ab. Der Geschäftsführer von Hofmann Naturstein, Dipl.-Ing. Johannes Georg Hofmann, zog dafür einen passenden Vergleich: „die höchste Bergsteigerklasse in der Natursteinfertigung.“



Die Reise der Steine

Alle ausgewählten Maßrohblöcke traten nach ihrer Spezifikation die Reise über den Atlantik nach Deutschland an. Dort im heimischen Werk von Hofmann Naturstein behandelte man die Einzelstücke exakt nach den in 3D vorgegebenen Maßen. Fünf-Achs-Fräsen bearbeiteten sie auf ihre Freiformkontur. Jeder der 4 500 Steine, individuell mehrachsig gekrümmt, musste entsprechend erfasst und geformt werden. Zur Reduzierung ihres Gewichts und Optimierung der Geometrie wurden sie zudem in einigen Bereichen in manchmal bis zu sechs Seilsägeschnitten verjüngt, bzw. ausgehöhlt. Die einzelnen Steine variieren in ihrer Stärke zwischen 5 und 50 cm, sie sind bis zu 220 cm lang und können bis zu 300 kg schwer sein. Es bestand eine Fertigungstoleranz von nur 1 mm, damit alle Steinpaneele bündig miteinander abschließen und keine übermäßigen Fugen und Kanten zu sehen sind. Die Qualitätskontrolle erfolgte noch im Werk mit Hilfe von 3D Scannern. Trotz der aufwendigen wie präzisen Planung kam es auf Grund der komplexen Formen zu einem Verschnitt von bis zu 100 %. Die Produktion aller Fassadensteine wurde dennoch 2021 termingerecht abgeschlossen.


Von dem höhlenartigen Foyer gelangen die Besucher:innen unter anderem zu den Exponaten der umfangreichen Sammlung des Museums
Foto: Iwan Baan

Von dem höhlenartigen Foyer gelangen die Besucher:innen unter anderem zu den Exponaten der umfangreichen Sammlung des Museums
Foto: Iwan Baan


Anschließend wurden die bearbeiteten, durchnummerierten und abschließend sandgestrahlten Steine auf ihre Rückreise in die USA geschickt. Dort gelangten sie zu einem Metallbauer auf Long Island, der bis zu 15 m² große Stahlpaneele herstellte, die nach Einzelfall bis zu 35 individuelle Krümmlinge aufnehmen konnten. Die Verankerung der einzelnen Steine an diesen sogenannten Strongback-Stahlskeletten geht auf ein von Hofmann Naturstein entwickeltes Steckdornsystem zurück. Die statischen Nachweise für den Stein wurden über diese Verbindung erbracht. Die einzelnen Rahmengestelle tragen bis zu 15,6 t  Last. Die Montage der mit Steinen vorgefertigten Strongbacks erfolgte dann auf der Baustelle direkt auf die geschwungene Stahlbeton-unterkonstruktion. Statisch weniger belastete Steine, z. B. neben  den Fensteröffnungen, montierte man auf dünne, ultrahochfeste Betonplatten. Das Ergebnis ist eine hinterlüftete Fassade, deren optischer Eindruck einer von Wind und Wetter geschliffenen Felswand gleicht.



Foto: Iwan Baan

Foto: Iwan Baan


Gebaut für die Ewigkeit

Mit dem beständigen Baumaterial Naturstein in Kombination mit BIM-Planung und Modellierung sowie modernen CNC-Fräsrobotern gelingen formale Ansätze, die in mancherlei Hinsicht über die Sehgewohnheiten heutiger Architektur hinausgehen. In der historischen Dimension, den technischen Möglichkeiten und den gestalterischen Vorstellungen der Architekten liegt in Bezug auf Naturstein das Potenzial, Gebäude innovativer, überraschender und individueller zu bauen, als es mit vielen anderen standardisierten Fassadenbekleidungen z. B. in Glas oder Aluminium der Fall ist. Zudem wurde die Fassade des Neubaus mit dem „Sustainability Targeting LEED Gold“ Standard ausgezeichnet. Zum Konzept gehörte auch, dass die Fassade mit den tief liegenden Fenstern und den Schatten spendenden Bäumen davor in den Sommermonaten zur passiven Kühlung des Museuminnenraums beiträgt. Sie funktioniert wie eine hoch effektive Schutzhülle mit Steinverkleidung.



Foto: Iwan Baan

Foto: Iwan Baan


Circa 5 Mio. Menschen werden jährlich das Naturkunde Museum besuchen und an den künstlichen wie künstlerischen Canyon-Wänden vorbeigehen. Das AMNH ist bereits über 150 Jahre alt. Jedoch im Vergleich zu den 8-60 Mio. Jahre alten Sandstein Formationen des Antelope Canyon ist das nur eine kleine Ewigkeit. Natur und Architektur sind und bleiben grundverschiedene Elemente.



»Die Evolution der Architektur: frei schwingende Kurven aus Tausenden individuell gefrästen Natursteinen. Die digitalen Produktionsverfahren heben den Gegensatz zwischen Individualität und Serialität auf.« DBZ Heftpartner TEK TO NIK Architekten, Frankfurt a. M.

Projektdaten

Objekt: Richard Gilder Center for Science, Education and Innovation am American Museum of Natural History

Standort: Columbus Avenue at 79th Street, New York City/US

Typologie: Museum

Bauherr: American Museum of Natural History

Nutzer: Bauherr

Architektur: Studio Gang, New York City/US, www.studiogang.com

Team: Jeanne Gang, Weston Walker, Ana Flor Ortiz, Anu Leinonen, Anika Schwarzwald

Bauleitung: Davis Brody Bond, New York City/US,

www.davisbrodybond.com

Generalunternehmer: AECOM Tishman Construction Corporation, Los Angeles/US, www.aecom.com

Bauzeit: 2019–2023

Nutzfläche gesamt: 21 368 m² (Neubau: 17 652 m², Sanierung: 3 716 m²

Baukosten, gesamt brutto:
422,8 Mio. €

Fachplanung

Tragwerksplanung, Akustik: Arup, www.arup.com

Fassadentechnik: Buro Happold, NYC/US, www.burohappold.com

Lichtplanung: Renfro Design Group, NYC/US, www.renfrodesign.com

Landschaftsarchitektur: Reed Hilderbrand, Cambridge/US,

www.reedhilderbrand.com

Ausstellungsdesign: Ralph Appelbaum Associates, NYC/US,

www.raai.com

Hersteller

Beleuchtung: Ecosense,

www.ecosenselighting.com; Folio, www.folio.it; Dado Lighting,

www.dadolighting.com

Teppichboden: Tretford,

www.tretford.eu

Fassade: HOFMANN NATURSTEIN GmbH,

www.hofmann-naturstein.com

W&W Glass LLC (Metall und Glas),

www.wwglass.com

Akustikdecken: Baswa acoustic, www.baswa.com

Möbel: Davis Furniture,

www.davisfurniture.com

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