Heftpaten Ritz Ritzer und Rainer Hofmann, bogevischs buero, München

Teilhabe ist der Schlüssel zum Erfolg

In Zeiten der Landflucht, der Nachverdichtung von Ballungsräumen und den daraus resultierenden Wohnungsengpässen sind wir Architekten und Stadtplaner gefordert. Was für eine Chance: Der nachhaltig vorhandene Mehrbedarf schafft uns Arbeit im Wohnungsbau und – so kann man hoffen – Planungsaufgaben bis in die weite Zukunft.

Diese – zumindest gefühlte – Planungssicherheit gibt uns die Basis, von der aus operiert werden kann. Wir können Neues wagen, dürfen Bestehendes in Frage stellen. Aber können wir diese Freiheit nutzen?

Viel zu wenig, denn mit dem hohen Bedarf an Wohnungen geht der Wunsch nach immer kürzeren Planungs- und Bauzeiten einher. Und bei stetig steigenden Preisen wird der Ruf nach kostengünstigen Lösungen immer lauter. So verschwinden die Spielräume, die da sind, genauso schnell, wie Sie auftauchten. Was also tun?

Genauer hinschauen beispielsweise, denn es gibt im überhitzten, sich selbst überholenden Markt eine stetig größer werdende Bauherrengruppe, die nachdrücklich die Gesetze des Marktes hinterfragt.
Radikal Neues im Wohnungsbau entsteht tatsächlich aktuell nicht auf dem freien Markt, nein, wenn man den Wohnungsbaupreisen und der Presse Glauben schenkt, dann entstehen Innovationen im Wohnungsbau – im öffentlich geförderten – durch städtische Gesellschaften und insbesondere durch Baugruppen und Wohnbaugenossenschaften. Wie das? Führt ein deregulierter Markt also nicht zu hoher Qualität?

Scheinbar nur indirekt, nämlich insofern, dass manche, die aus dem freien Markt verdrängt werden, das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen. Am Beispiel von neuen Wohnbaugenossenschaften kann man wunderbar sehen, wie Projekte mit Nutzungen entstehen, die andernorts noch nicht einmal als Bedürfnisse bekannt sind. Betrachtet man die Nutzungs-, die soziale Mischung sowie das Verhältnis von privaten zu gemeinschaftlichen Flächen an einem Projekt wie beispielsweise wagnisART (hier auf S. 26ff.), hat man das unbändige Verlangen, auch an allen anderen Projekten die Rahmenbedingungen, das Raumprogramm und vieles mehr zu ändern.

Bauherrn wie die bei wagnisART ermöglichen den Planern, auf Augenhöhe völlig neu über Flächen nachzudenken: Der Erschließungsflur wird zum Begegnungsraum, Dächer werden Gärten, Kellerflächen sich ständig weiter entwickelnde Raumpotentiale für gemeinschaftliche Aktivitäten usw. Wenn sich dann noch einzelne dieser „neuen“ Bauherrn in der Stadt- oder Stadtteilentwicklung zusammen­tun und die Sondernutzungen, die Mobilität und den Betrieb der Nichtwohnnutzungen koordinieren, entsteht möglicherweise ein ganz neues Quartier, das im Ansatz als Stadt zu bezeichnen ist; also ein lebendiger Organismus, der von der Vielfalt in allen Bereichen lebt. Dabei ist die „Kleinheit“ der einzelnen Nutzungseinheiten ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Vielfalt und Qualität.

Der Schlüssel zum Erfolg all dieser Projekte ist die Teilhabe der zukünftigen Bewohner an ihrem Projekt, wie auch die Teilhabe der Stadtgesellschaft an den relevanten städtischen Planungsaufgaben. Dabei ist deren Organisation, also die der Partizipation an Prozessen wie auch an der tatsächlichen Gestaltung, zu planen und zu moderieren. Wer, wenn nicht wir Architekten und Stadtplaner wären für diese Planungsaufgabe geeignet?! Der Acker ist bereit, wir müssen uns der Aufgabe annehmen, auch oder gerade in einer Zeit, in der weltweit Segregation gepredigt wird. Denn wo Platz ist für Teilhabe und ein nachhaltig gesichertes Bleiberecht, können Wurzeln geschlagen werden. Und aus diesen Wurzeln speist sich unsere Zivil-Gesellschaft. Dass dabei auch noch gestalterische Innovationen, quasi als Nebeneffekt, möglich sind, liegt nicht an gestalterisch versierten BauherrnvertreterInnen. Gute Gestaltung ist möglich, weil im Rahmen eines partizipativen Planungsprozesses Vertrauen entsteht; in das Planungsteam und insbesondere in die Leistung der Architekten.

Gäbe es dieses Vertrauen so auch bei den Bauherrn, wäre es leichter und überraschender, ein Heft wie dieses hier zu füllen. Genossenschaften und Baugemeinschaften sind die Vorbilder. Und vielleicht ist das sowieso die Lösung für qualitätsvollen Wohnungsbau: Kopiert die Genossenschaften! Oder noch besser: Gründet selbst welche!

www.hwr-berlin.de/fachbereich-duales-studium

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