Gerechte Stadt für alle. Sozialer Wohnungsbau auf der Agenda

„Wohnst du noch oder lebst du schon?!“ rief vor Jahr und Tag einmal mit scheinheiligem Ernst eine Werbeagentur in den vermeintlich jungen Einrichtungskäufer:innenmarkt. Und unterstellte damit, dass das Wohnen an sich noch kein Leben darstelle, dass – konkret in diesem Fall – ohne das Vorhandensein des von einem international präsenten Möbelhaus gesteuerten Einrichtungsstils = Lebensstils ein Wohnen hoffnungslos sei. Jedenfalls ohne Freude und aktive Teilhabe in der mittlerweile auch schon in die Jahre gekommenen Community. Der Deutsche Werkbund Berlin hat nun zum Thema „Sozialer Wohnungsbau“ eine Dokumentation vorgelegt. Wir haben sie gelesen.

Text: Benedikt Kraft / DBZ

Gemischte Miet-/Eigentumsverhältnisse im „Hannibal“ in Dortmund, ein Kind der Neue-Heimat-Zeit. 232 Sozialwohnungen, der Eigentümer ist ein Hedgefond auf den britischen Jungferninseln. Die Mietpreisbindung ist noch bis 2027 wirksam. Und dann?
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Gemischte Miet-/Eigentumsverhältnisse im „Hannibal“ in Dortmund, ein Kind der Neue-Heimat-Zeit. 232 Sozialwohnungen, der Eigentümer ist ein Hedgefond auf den britischen Jungferninseln. Die Mietpreisbindung ist noch bis 2027 wirksam. Und dann?
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Dass wir trotz allem oder gerade deswegen unser Titelthema in dieser Ausgabe „Wohnen“ nennen, hat schlicht den Grund, dass das Wohnen – und nicht das Recht oder die Notwendigkeit auf passablen Einrichtungsstil – auf dem Weg ist, Grundrecht zu werden. Naja, theoretisch jedenfalls und in Praxiskreisen diskutiert, in denen Sie sich bewegen, eher auf den erschwinglichen wie dennoch hochwertigen Wohnungsbau kapriziert.

Die Verfechter der Grundrechtserweiterung leiten diese aus den Artikeln 13 und 14 unseres Grundgesetzes ab und sie bauen darauf, dass das Wohnen, auf das ein Anspruch zurzeit aus dem GG nur indirekt ableitbar ist, über eine Art Nachtrag einmal rechtsverbindlich und damit auch einklagbar werde (wem gegenüber eigentlich?). Doch diese letzte Adelung ist lange noch nicht so weit; berührt ein solches Recht doch grundlegend andere, so beispielsweise den in ultrafesten Beton ­gegossenen Schutz des privaten Eigentums. Im Augenblick gibt es das eher allgemein formulierte „Menschenrecht auf Wohnen“ (als Teil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard, Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus dem UN-Sozial­pakt), das aber mehr eine Zielrichtung, eine moralische Verpflichtung beschreibt und keinen rechtsverbindlichen Rahmen abbildet.

Mit dem „Sozialen Wohnungsbau“ wollte die Politik einmal glänzen

Warum aber das Bemühen, das Recht auf Wohnen gesetzlich zu formulieren? Vielleicht, weil es keine Selbstverständlichkeit mehr ist, dass beispielsweise Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen und Familien günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen (so schon bei den Fuggern vor exakt 500 Jahren in Augsburg praktiziert). Vielleicht, weil das große soziale Experiment und politisch motivierte Engagement des ehemaligen Bundesprogramms „Sozia­ler Wohnungsbau“ heute nur noch rudimentär, man könnte auch schreiben, nur noch in homöopathischen Dosen in den Städten oder auch den Planungen für zukünftiges Bauen vorhanden ist.

Der Soziale Wohnungsbau insgesamt ist – und das zeigen die Zahlen – ins Hintertreffen geraten: Zu wenig davon, zu klein die Fertigungskapazitäten, zu gering das Wollen, zu eng der baugesetzliche Rahmen. Und dann ist das Bauen – oder „das Erstellen“ – von Wohnraum in den vergangenen Jahrzehnten zu einem einträglichen Geschäft geworden. Die daraus endlich sich entwickelnde „Finanzialisierung“ des Wohnungsbaus hat in vielen großen Städten monoton typisierte Geldvermehrerviertel für eine allerdings schon ökonomisch angegriffene Mittelschicht produziert, überwiegend auf mäßig gestalterischem, sämtlich auf gutem bis sehr gutem Effizienzniveau (energetisch natürlich, aber eben auch ökonomisch). Mittlerweile durchweg an die Wünsche, auch Forderungen eines sich aufgeklärt gebenden Mittelstandes angepasst, sogenanntes „nachhaltiges Bauen“ zu realisieren, bleibt der Neubau dennoch Verbrauch und ist immer noch dem spekulativen Wirtschaften verhaftet. Und das, obwohl die Zinsen wieder aus dem Keller geklettert sind, in dem Investor:innen über viele Jahre hinweg aus Beton Gold machten und in allen Großstädten mit wachsendem Zuzug Goldgräberstimmung herrschte; in Zeiten, in denen andere Industriezweige an eine andere Zukunft dachten, denken mussten. Heute ächzen nicht wenige Bauherr:innen unter der steigenden Zinsbelastung, die aber tatsächlich schon bei Kaufvertragsschluss vorhersehbar war, die die meisten aber gerne ausblendeten angesichts der Erfüllung ihres Wohntraums auf historisch niedrigem Zinsniveau. Die Immobilienblase hält sich noch so gerade, ihr Zusammenfallen ist, wie schon der Zinssprung, erwartbar. Wird diese Korrektur einen überhitzten Markt durch Preisverfall heilen? Wird die Umlenkung des Kapitals in andere Geldvermehrungskanäle (beispielsweise Kreditgeschäfte für diejenigen, die nachfinanzieren müssen für gestiegene Baukredite) die Bodenpreise beispielsweise drücken? Und: Wollen wir das eigentlich? Denn niedrige Preise vermehren die Nachfrage, erhöhen die Baumasse, befördern die Flächenversiegelung, den Ressourcenverbrauch, den absoluten Energieverbrauch, den gefürchteten CO2-Fußabdruck etc.

Betreten verboten: Hier wurde öffentlicher Stadtraum geschlossen. Unsozialer Wohnungsbau, mitten in Berlin
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Betreten verboten: Hier wurde öffentlicher Stadtraum geschlossen. Unsozialer Wohnungsbau, mitten in Berlin
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Die derzeitige Wohnungsbaupolitik ist von brisanter gesellschaftlicher Dimension

In all diese Fragen hatte sich der Deutsche Werkbund, Landesverband Berlin, in den vergangenen Jahren mit einer Projektgruppe – bestehend aus fünf Arbeitsgruppen – eingearbeitet. Der Fokus lag dabei klar auf der „zunehmenden Unterversorgung mit bezahlbarem, insbesondere sozial-gefördertem Wohnungsbau in städtischen Regionen“. Die Motivation des Landesverbands ist klar formuliert. Er verweist auf die in den meist fachlich geführten Diskussionen fehlende Sicht auf die dem Thema inneliegende „brisante gesellschaftliche Dimension“. Denn über allen Mangel hinaus, der sich in der aktuellen Wohnungsbaubeschaffungsdebatte manifestiert, muss uns allen klar sein, dass die zunehmende Abkopplung des Immobilienmarkts von der Entwicklung der Löhne/Gehälter in den letzten Jahren für den künftigen sozialen Frieden in diesem Land nichts Gutes bedeutet. Die Zunahme der Wähler:innenstimmen an den politischen Rändern ist hier nur ein, aber ein nicht zu unterschätzendes Menetekel.

Dass der Werkbund Berlin nun eine Zusammenfassung seiner letztjährigen Aktivitäten zum Thema „Sozialer Wohnungsbau“ vorlegt, geht mit dem aus der Gründungsgeschichte hergeleiteten, aber offenbar auch schon länger eingeschlafenen Verantwortungsbewusstsein des Bundes für die Gesellschaft insgesamt Hand in Hand. Im Gegensatz zu der den Berufsalltag praktisch unterstützenden Arbeit von Kammern und Verbänden versteht sich der Deutsche Werkbund explizit auch als moralische Instanz, als ein Verbund theoretisch Gleichgesinnter, die das Soziale des (Bau-)Kulturellen in diesem Land begleiten, es mitschreiben und vielleicht auch mitlenken wollen.

Und so hat der Landesverband die über vier Jahre reichende Veranstaltungsreihe „Den sozialen Mietwohnungsbau neu erfinden“ jetzt aktuell in einer Zusammenfassung präsentiert, in der die Diskussionen und Foren und ihre Ergebnisse dokumentiert sind.

Strikte Zweckbindung von Rendite beispielsweise

Hier erscheinen einem nicht unbedingt nur die Ergebnisse als das Relevante. Es sind eher die zahlreichen Hinweise, die Stichworte, die Abzweigungen, die die Dokumentationsunternehmung „Sozialer Mietwohnungsbau“ genommen hat, die in der Summe das eigentlich Interessante zu sein scheinen. Sie alle dienen in jedem Fall dazu, das bereits Vermutete zu Ursachen und Wirkungen beim Thema Verwerfungen/Scheitern des sozialen Mietwohnungsbaus noch einmal und dann vielleicht besser zu verstehen und im Diskurs die relevanten Argumente zur Hand zu haben. Und zwar sowohl in der verbandsinternen Diskussion, aber natürlich auch in der allgemeinen über Stadtmodelle und deren nächste Zukunft.

Ein paar Stichworte sind: Der soziale Wohnungsbau brauche „eine zeitgemäße, neue und systemische Begründung und eine neue Umsetzung“, man müsse ihn auf der Folie der Klimadiskussion beschreiben und neu argumentieren, man müsse die Gemeinnützigkeit zurückholen, maximale Mieten festschreiben, Dividendenbeschränkungen in Verbindung mit einer strikten Zweckbindung der Gewinne (Reinvest in den Bestand), eine dauerhafte Vermögensbindung festsetzen, Bodenpolitik zum festen und kontinuierlich lebendig gehaltenen Bestandteil kommunaler Politik machen. Wir ­brauchen über die Betrachtung des Einzelobjekts ­hinaus den Blick auf einen sozial verträglichen Städtebau, mehr partizipativ arbeitende Werkzeuge in der Planung und Moderation von Stadträumen (der Werkbund nennt hier die mittlerweile unvermeidbar erscheinenden „kuratierten Erdgeschosse“ („Urbaner Sockel“), die „Stadtzimmer, Kieznischen“, ein „Aktivitätenband“ u. a.).

Neue Finanzierungsmodelle brauchen mehr Akzeptanz aus der Politik und der Geldwirtschaft, Genossenschaften sind hier das Stichwort oder auch eine Querfinanzierung gemischtgenutzter Immobilien, und grundsätzlich schlagen die Autor:innen vor, von anderen Ländern zu lernen, also mehr über den Gartenzaun/Tellerrand zu schauen. Und nicht zuletzt sollten der Bund und die Kommunen wieder verstärkt selbst bauen.

Dem Sozialen des Wohnungsbaus wieder Leben einhauchen

Ein weiterer Aspekt, den die Autor:innen nennen, ist der industrialisierte Wohnungsbau. Hier sollten endlich die Standards reformiert werden, Normen sollten Mindeststandards in einem stark reduzierten Regelwerk abbilden. Und das sollte – auch das keine ganz neue Forderung – in ein bundeseinheitliches Bauordnungsrecht münden. In welcher auch der „Gebäudetyp E“ in einer Musterbauordnung implementiert wäre. Und weil gerade alle darüber reden, fehlt auch das Stichwort der „Technologieoffenheit“ nicht, Übergangslösungen sollten möglich sein. Und dann eine regelrechte Forderung: Vorrangpflicht zur Nutzung analoger Systeme (z.  B. Fensterlüftung vor mechanischer Lüftung).

Ob das alles – und der zusammenfassende Bericht nennt viele weitere Details, die für den zukünftigen Diskurs Relevanz haben – reicht, dem „Sozialen Wohnungsbau“ Leben einzuhauchen? Ob das, was als praktikabel beschrieben wird, ausreicht, den Markt neu zu sortieren, Geld umzulenken, grundsätzliche Fehlentwicklungen in zusehends unsozialen Stadt- und also Lebensräumen, Orten, nachhaltig zu beheben? Eher nicht, aber es wäre wohl auch zu viel verlangt, wenn man diese gesamtgesellschaftlich bedeutende Arbeit nur einem Bund zuschreiben würde. Tatsächlich fehlt am Ende dann doch etwas Wesentliches: Dass alle Verbände, Bünde, Vereine und Stiftungen, (fast) alle politischen Lager und Institute, Hochschulen und Schulen und ja, auch die Kirchen, übergreifend an der einen Sache arbeiten: an einer nachhaltig gerechten Stadt für alle.

www.werkbund-berlin.de

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