Wandelbarkeit im Skelettbau

Der Wohnungsbau ist ein weites Feld, das sich nicht in einer einzelnen Ausgabe fassen lässt. Deshalb braucht es eine inhaltliche Fokussierung. Wir setzen mit diesem Heft auf den Skelettbau, den wir als Modell für eine zeitgemäße Architektur betrachten: Denn er ist offen, anpassungsfähig und zirkulär.

Historisch betrachtet ist der Skelettbau, abgesehen von Säulenhallen, gotischen Sakralbauten oder Zisternen, eine junge Konstruktionsweise. Dominant war seit jeher nicht die tragende Stütze mit Punktauflager, sondern die Wand als linea­res Deckenauflager. Ausgehend von ikonografischen Darstellungen wie der bekannten Zeichnung des Maison Dom-Ino wurde der Skelettbau zu einem Archetyp der Moderne.

Mit Blick auf die Gegenwart kann man sagen, dass sich der Skelettbau als beinahe universelle Konstruktionsweise durchgesetzt hat. Das Maison Dom-Ino kennen wir als „ruin in reverse“ aus dem gesamten Mittelmeerraum, ist aber eigentlich weltweit präsent: Einfache Betonskelette, die ausgemauert werden – oder eben auch nicht. Sie sind archetypisch im bes­ten Sinn des Wortes: Konstruktionen ohne Autorenschaft, ahistorische Strukturen, Phänomene einer zweiten Natur.

Trotz der Präsenz in weiten Teilen der Welt stellen wir fest, dass der Skelettbau im Wohnungsbau der mittel- und nordeuropäischen Länder nicht wirklich verbreitet ist. Seit wir Skelette für Wohnhäuser vorschlagen, müssen wir diese ge­genüber Bauherrschaften immer wieder erklären. Auch die Projektauswahl zu diesem Heft hat gezeigt, dass die Auswahl an interessanten Projekten sehr beschränkt ist.

Wir wollen hier nicht herausschälen, was die Gründe dafür sind. Meistens sind sie auch ganz banal: Ein Bauherr möchte nicht für eine Wand und eine Stütze bezahlen. Man nimmt zur Kenntnis, dass Stützen im Raum die Möblierbarkeit einschränken würden usw.

Es soll mit den im Heft gezeigten Projekten vielmehr darum gehen, die Potenziale des Skeletts im Wohnungsbau zu umreißen. Wir sehen neben architektonischen Möglichkeiten vor allem Aspekte eines erweiterten Nachhaltigkeitsverständnisses. Dabei besteht zuallererst das Potenzial der Umbaubarkeit. Sie ist im Skelettbau über die konsequenteste Form von Sys­temtrennung gegeben, nämlich der Trennung von Trag- und ­Raumstruktur. Die primäre, energieintensive und langlebige Tragstruktur ist im Skelett bezogen auf Material und Flächenbedarf „minimiert“. Die Vertikallasten werden punktuell über Stützen und mit wenig räumlicher Implikation abgeleitet. Zumeist folgt die Stützenplatzierung einem Raster, das idealerweise keine bestimmte Raumstruktur determiniert.

Die nichttragenden, „leichten“ Raumabschlüsse werden als sekundäres System in das Skelett eingewoben und können den Vorstellungen eines von Last befreiten Plans folgen. Die Grundrissentwicklung kann geschossweise anders sein, ­solange die Leitungsführungen über die Geschosse abgestimmt bleiben. Jede Geschossplatte bildet also einen neuen, neutralen Grund. Damit ist ein großes architektonisches Potenzial beschrieben. Aber auch das zwingendere Bauteil der Stütze ist architektonisch interessant, insbesondere dann, wenn sie nicht in Wände eingebaut wird, sondern frei im Raum steht. Sie erlaubt eine andere, feinere Form von Raumbildung als die Wand. Stützen können einen Raum im Raum ausscheiden oder einen Raum zentrieren.

Bezüglich der Grundrissentwicklung ist der Hinweis auf die verschiedenen Konstruktionen von Skelettbauten von Bedeutung. Während in Betonskeletten Flachdecken üblich sind, benötigen im Holzbau die Decken in der Regel ein Unterzugssystem. Auch diese Elemente sind für die Raumbildung interessant, verlangen aber nach einer Abstimmung von Deckenspiegel und Raumstruktur. Den eigentlichen plan libre gibt es daher nur mit der Flachdecke. Sie entspricht dem neutralen Grund des Bodens.

Die Umbaubarkeit von Skelettbauten hat zwei zeitliche Dimensionen. Im Neubau besteht das Potenzial für zukünftige Anpassungen oder komplett neue Ausbauten. Die andere liegt in ererbten Skelettbauten, die sich für den Umbau anbieten. Von diesen Projekten haben wir gelernt, dass neben dem Skelett auch die Fassade bestimmend ist und in gewisser Weise zum primären System gehört. Gut funktionieren Bandfenster oder andere Typen, die neutral bezüglich Innenraum und Funktion sind.

Skelettbauten sind nachhaltig, weil sie nicht die Nutzung, sondern die Struktur konservieren. Sie halten länger als ihre Programme, sie überdauern den Zweck. Ihr Wert liegt darin, Wandel zu ermöglichen, statt ihn zu verhindern. Vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe des Bauens heute: nicht Dauer gegen Veränderung zu verteidigen, sondern beides miteinander zu entwerfen.

Hören Sie dazu auch unseren Podcast mitElli Mosayebi, Ron Edelaar und Christian Inderbitzin
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