Hochhaus Triemli, Zürich/CH
EMI Architekt*innen haben ein Wohnhochhaus am nördlichen Ende des Quartiers Friesenberg und direkt unterhalb des Uetlibergs geplant. Das 40 m hohe Haus passt in seiner markanten Form sowie mit der einheitlichen Farbgebung der Beton- und Blechfassaden zu den benachbarten Großbauten aus den 1960er-Jahren, ist jedoch erst auf den zweiten Blick als Wohnungsbau erkennbar.
In Anbetracht des abfallenden Terrains vermittelt der Sockel des Triemli den Höhenunterschied über zwei Geschosse, wobei der Turm, der eben nicht auf der Ecke sitzt, den Versprung aufnimmt
Foto: Alexander Gebetsroither
Den Wohnungsmarkt prägen Ökonomie und Demografie – und da etwa 65 Prozent der Schweizer Haushalte laut Bundesamt für Statistik aus Singles oder Paaren ohne Kindern bestehen, gibt es einen großen Bedarf an Kleinwohnungen. Die Vermarkter des Neubaus am Zürcher Triemliplatz versprechen in der „Sphinx“, wie das doppelt gestufte Gebäude aufgrund seiner Form benannt wird, Grundrisse mit „Prestige und Individualität“. Die Wohnungen zielen in ihrer Größe und Machart auf Alleinlebende und Paare ab – EMI Architekt*innen haben ganze 70 Wohnungen in den Vierzehngeschosser geplant, die ein-, zwei- oder sogar dreiseitig orientiert sind.
EMI hinterfragten, wie nachhaltig es ist, ein ganzes Gebäude auf diese Zielgruppe auszurichten, und schlugen den Projektentwicklern einen Skelettbau vor, in dem Primär- und Sekundärstruktur klar getrennt sind. Die Bauweise ist zwar beim Hochhausbau grundsätzlich verbreitet, im Wohnungsbau in unseren Regionen jedoch kaum etabliert. Doch sollten sich künftig die Bedarfe verändern, kann mit ihr die grundlegende Struktur erhalten werden und in die freigeräumten Geschosse auch eine andere Nutzung einziehen.
Im Drohnenflug wird gut erkennbar, dass die Sphinx gar nicht das größte Gebäude am Hang ist und eine städtebauliche Vermittlung zwischen den etwas einfacher geformten, mit unter recht wuchtigen Nachbarn versucht
Foto: ZUEND IMAGES
Element-Baukasten für das Hochhaus
Für das Wohnhochhaus, das sich schmal entlang der Hauptstraße zieht, entwickelten die Architektinnen und Architekten einen begrenzten Baukasten an Elementen: doppelgeschossige und halbrund geformte Pilaster, quadratische Fenster sowie Sturzelemente, die über die Geschosse hinweg den Brandüberschlag verhindern. In der Ansicht wiederholen sich die Bauteile und werden zum Muster, das aber auch Brüche schafft: Die schräg gestellten Kreuzfenster lassen abwechslungsreichere Reflexionen zu als eine ebene Fläche; die hohen Pilaster betonen die Vertikale, indem sie jeweils zwei statt nur ein Geschoss rahmen. Nach Sockelgeschoss und vier Etagen endet der Vorbau in einer großen Terrasse, die zu einer einzelnen Wohnung gehört. Der Mittelteil des Baus zieht daneben als Turm weitere acht Geschosse nach oben, die über den aussteifenden Kern mit Liften und einer Treppe auf der Straßenseite erschlossen sind.
Lärm als entwurfsprägender Faktor
Pro Regelgeschoss gibt es vier Wohnungen, jeweils zwei an der Südfassade und zwei mit Ausblicken in mehrere Himmelsrichtungen. In diesen zeigt sich die Qualität des Skelettbaus: Wenige Stützen stehen in den Räumen, die Wände sind frei gesetzt. Weil es in den meisten Wohnungen keine Zimmertüren gibt, werden auch die kleinsten Grundrisse mit etwa
40 m2 Größe zum Raumkontinuum. Doch auch in den unteren Geschossen schaffen die immer wieder anders abgewinkelten Wände Nischen und Vorsprünge, die Spannung im Raum erzeugen. Besonders die hohe Lärmbelastung, die von der Birmensdorferstraße kommt, bestimmte die Ausrichtung der Wohnungen auf die gegenüberliegende Seite. Alle lärmunempfindlichen Räume wie Küchen und Bäder sind straßenseitig angeordnet, gelüftet wird über die Südseite.
Grundriss OG Sockel, M 1 : 400
Da die Fenster einen hohen Sturz und eine tiefe Brüstung haben, zieht es den Blick nach unten zur Stadt. Feine Knicke vermitteln den Eindruck einer nach innen gespannten Hülle – als würde der Stadtraum von außen Druck auf die Fassade ausüben. In den größeren Wohnungen erweitern eingezogene Glaswände vor den Fenstern die Wohnräume um unbeheizte Wintergärten. Echte Balkone gibt es lediglich auf der Südseite des Gebäudes. „Das ist einerseits lärmbedingt, andererseits entspricht es dem Typ des Hochhauses“, so Christian Inderbitzin, Partner bei EMI. „Auf der Straßenseite und im Luftraum der Stadt wollten wir eine eindeutige Konnotation als Wohnhaus mit typischen Elementen wie Balkonen vermeiden.“
Freie Raumgestaltung im Inneren
Die etwas schräg gestellten Wände der Wohnungen sorgen für interessante Raumengen und -aufweitungen entlang der Fassade und greifen damit die mehrwinklige Grundfigur des Gebäudes auf. Nach oben sind die Innenwände über breitere Fugen angeschlossen, die Durchbiegungen der Decke abfangen können. Gerade in Wohnungen, die keine Innentüren haben, sprechen die klare Primärstruktur, die freistehenden Stützen und nicht zuletzt das Mieterpublikum für einen solchen Ansatz, der zusätzliche Varianz ermöglicht. Unabhängig gesetzt, weil Teil der Sekundärstruktur, sind hingegen die technischen Installationen wie Leitungen, Fußbodenheizung und die Lüftung. Sollten die Etagen wirklich eines Tages neu aufgeteilt werden, könnten diese Elemente von der Primärstruktur gelöst und bedarfsentsprechend aufgebaut werden.
Monochrom und petrifiziert
So frei und offen die Räume im Inneren zu nutzen sind, so geschlossen wirkt der Anblick der Kubatur von außen. Die Fassade definierten die Planenden als Teil der Primärstruktur, die sich neutral zum Innenraum verhält und dem städtebaulichen Kontext verpflichtet ist. Die baurechtlichen Rahmenbedingungen, darunter auch die Vorgaben zum Zwei-Stunden-Schattenwurf auf die Nachbarbebauung, reizten EMI aus, um die polygonale und abgestufte Form zu erarbeiten. „Wir entwickelten eine dreiteilige Komposition mit einem Vorbau zum Platz, der über eine zweite Traufe zum Boden vermittelt, einem dahinterstehenden Turmkörper sowie niederen Hausteil entlang der Straßenachse“, so Inderbitzin. Alle Seiten des Gebäudes sind mit den Elementen des Baukastens gestaltet. Die Rundpfeiler dienen dabei als Gelenk, um die Herausforderungen zu bewältigen, die die wechselnden Winkel der polygonalen Fassade mit sich bringen. Das gleichfarbige Äußere erscheint je nach Lichteinfall in feineren oder härteren Grauabstufungen, wodurch das Relief plastischer wird. In seiner Einfarbigkeit wird das Gebäude zum künstlichen Felsen, was sich auch im Eingangsbereich zum Turm weiterzieht. „Im Zusammenhang mit diesem homogenen und monochromen Eindruck haben wir von einem petrifizierten Haus gesprochen“, so Inderbitzin.
Frei stehende Stützen in den Wohnungen verraten, dass es sich um einen Skelettbau handelt und führen zudem als bewusst freigestelltes Objekt ein zusätzliches Gestaltungselement im Raum ein
Foto: Roland Bernath
Maßstabsverschiebung
Zwar schimmert der Koloss am Uetliberg bei warmem Abendlicht in hellem Beigeorange, bei Tage erscheint das Gebäude jedoch mehrheitlich als massive Form, gleich einem Volumen in einem städtebaulichen Modell. Während die Visualisierungen zum Projekt noch ein fast silbern scheinendes Gebäude ankündigten, wirkt der fertige Bau je nach Witterung vielmehr wie eine einheitlich graue Skulptur. In Bezug auf die Großbauten und Bettenhäuser des Triemli-Spitals und den Wohnturm von Esther und Rudolf Guyer von 1966 scheint das Wohnhochhaus eine logische Reaktion. Gegenüber den wesentlich kleineren Wohnbebauungen des angrenzenden Quartiers Albisrieden und der lockeren, gründurchwirkten Bebauung am Fuße des Uetlibergs ist es jedoch eine deutliche Landmarke, die weithin zu sehen ist. Sie verschiebt den Maßstab in einer Zeit, in der das freundlich klingende Wort „Ersatzneubauten“ schon des öfteren Begehrlichkeiten weckte und zu so manchen Quartiersumformungen geführt hat.
⇥Katinka Corts
Projektdaten
Objekt: Hochhaus am Triemli-Platz
Standort: Birmensdorferstraße 481/483/485, 8055 Zürich/CH
Typologie: Wohn- und Gewerbehaus
Bauherrschaft: Senn Resources AG, St. Gallen / Swiss Life AG, Zürich, www. senn.com
Nutzung: Swiss Life AG, Zürich/CH, www.swisslife.de
Architektur: EMI Architekt*innen AG, Zürich/CH, www.emi-architekten.ch
Team: Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Associate: Alexander Gebetsroither, Valentin Surber, Projektleitung: David Leber, Julie Rigling, Architekt*innen: Beatrice Maineri, Adrian Richter Sibila, Mathilde Sudan, Praktikant*innen: Jannik Achenbach, Anna Clocchiatti, Anna Oexle
Bauleitung: Senn Resources AG, St. Gallen/CH
Bauzeit: 2019–2025
Zertifizierungen: SNBS Gold, Minergie/Flächen nach SIA 416
Brutto-Rauminhalt: 21 500 m3
Grundstücksfläche: 1 483 m²
Gebäudegrundfläche: 720 m²
Umgebungsfläche: 763 m²
Geschossfläche: total: 7 486 m², oberirdisch 5 664 m², unterirdisch 1 822 m²
Nettogeschossfläche: 6 488 m²
Nutzfläche: 3 998 m²
Fachplanung
Landschaftsarchitektur: S2L GmbH Landschaftsarchitekten, Zürich/CH, www.s2l.ch
Ingenieure: Dr. Lüchinger+Meyer Bauingenieure AG, Zürich/CH, www.lmp-ing.ch
HLKS-Planung: Anima Engineering AG, Basel/CH, www.anima.engineering
Elektroplanung: Anima Engineering AG, Basel/CH
Bauphysik: Wichser Akustik & Bauphysik AG, Zürich/CH, www.wichser.ch
Brandschutz: Hautle Anderegg + Partner AG, Bern/CH, www.ha-p.ch
Verkehrsplanung: TEAMverkehr.zug AG, Cham/CH, www.zug.teamverkehr.ch
Energie
Jahresheizwärmebedarf: 25,56 kW/m2a nach Systemnachweis SIA 380/1:2009
