Ökologischer Koloss
Energiebunker

30000 Menschen fanden 1943 im von Friedrich Tamms errichteten Luftschutzbunker im Reiherstiegviertel auf den Elbinseln Zuflucht vor den Angriffen der Alliierten. Nach einer gezielten Sprengung der britischen Armee wurde der Bunker im Innern vollkommen zerstört. Hierbei stürzten sechs der acht Ebenen ein, so dass das historische Bauwerk aufgrund von Einsturzgefahr ca. 60 Jahre leer stand. Die Historie und der Zerfall des Gebäudes ließ die Menschen in der Nachbarschaft auf einen Abriss hoffen. Doch der Flakturm wird nun einen anderen Zweck erfüllen – Energieerzeuger und Zeitzeuge.

Der auf einem massiven Betonsockel sitzende Baukörper stellt mit ca. 40 m Höhe, in dem von Wohnhäusern geprägten Quartier, einen gewaltigen Maßstabsprung dar – ein Schatten der Vergangenheit. Um den Bunker umzunutzen, organisierten HHS Planer + Architekten, Kassel,
den Innenraum neu. Lediglich die Treppen in die oberen Geschosse und die Hülle mit den bis zu 2 m dicken Betonwänden und der 4 m dicken Betondecke blieben erhalten. Im Inneren finden nun ein Biomasse-Block­heizkraftwerk und ein Holzhack­schnit­zel-Kessel Platz, deren Wärme gemeinsam mit der solarthermischen Anlage auf dem Dach den Wasserspeicher mit 2 Mio. Liter Fassungsvermögen speist. Dafür wurde das Gebäude entkernt, um einen über acht Geschosse reichenden Luftraum zu schaffen. Eine in 10 m Höhe gelegene Plattform ermöglicht Besuchern, bei Führungen das Nahwärmekraftwerk aus einer anderen Perspektive zu besichtigen. Die an der Südfassade angebrachten Photovoltaikpaneele erzeugen Strom, der in das Netz gespeist wird. Zusätzlich wird das nunmehr ökologische Kraftwerk mit Abwärme aus einer nahen Industrieanlage versorgt. Der Energie­bunker soll ab 2015 die angrenzenden 3 000 Wohnun­gen im nahegelegenen 120 ha großen Weltquartier mit Wärme versorgen – ein ambitioniertes Vorhaben. Insgesamt wird der Bunker ca. 22 500 MWh Wärme und ca. 3 000 MWh Strom produzieren. Das entspricht etwa dem Wärmebedarf von  3 000 bzw. dem Strombedarf von 1 000 Haushalten. Die Bauherren gehen von einer CO2-Ersparnis von ca. 6 600 t/a aus. Gleichzeitig wird der Flakturm für Besucher geöffnet. In einem Dokumentationszentrum im Sockel des Gebäudes wird die Geschichte des Bunkers und der Anwohner aufgearbeitet. Dem quadratischen Grundriss von 47 x 47 m, der im Sockelbereich nochmals um 10 m verbreitert ist, sind auf jeder der vier Ecken kreisrunde Gefechtsstände aufgesetzt. Das im nordwestlichen Gefechtsturm untergebrachte Café bietet Besuchern in 30 m Höhe durch die aufgebrochene Öffnung in der Fassade einen Blick über Hamburg. Es erweitert sich nach außen auf die umlaufende, auskragende Dachterrasse und erschließt den Freiluftausstellungsraum auf der obersten Ebene, der Gefechtsbettung.

Den Architekten war es wichtig, das ursprüngliche Bild des Bunkers zu erhalten. So sind die Photovoltaik- und Solarthermieanlage auf einer Stahlunterkonstruktion aufgeständert, um den Bau zu umhüllen, ihn aber nicht seiner Gestalt zu berauben. Aufgrund der zahlreichen Risse wurde die Hülle mit Spritzbeton saniert. Zwei Aufbrüche an der Fassade zeugen von der ehemaligen Betonfassade. S.C.


„Die Sanierung der Gebäudehülle hat in Bezug auf den Denkmalwert des Gebäudes eine besondere Herausforderung dargestellt. Mit dem Spritzbetonputz haben wir dem Bunker eine Hülle gegeben, die einen ähnlichen Alterungsprozess erlebt wie die alte. Für die Nutzung stellte sich eine vergleichbar komplexe Fragestellung. Am Ende ist es die Einzigartigkeit der Aufgabe und des Gebäudes, die uns an dem Projekt so faszinierten.“


Manfred Hegger, Partner bei HHS Architekten, Kassel
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