Kultur im Bunkerbauch

U-Boot-Bunker, St. Nazaire/FR

Jahrzehntelang versperrte ein ehemaliger U-Boot-Bunker den Blick der Stadt auf die Loire; dann entschied man sich, mit dem Betonmonster zu leben. Es folgten eine Masterplanung und zahlreiche Neubauten im und am Bunker. Jetzt wurden mit dem Umbau der Hallen 12 und 13 die letzten großen Baumaßnahmen abgeschlossen. Veranstaltungsäle für Saint Nazaire füllen jetzt den südlichen Bunkerabschnitt, ein Raum-im-Raum-Konzept der Architekten 51N4E und ­Bourbouze & Graindorge.

Einst war Saint-Nazaire eine florierende Hafenstadt an der nördlichen Küste Frankreichs. Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Teil des Hafens mit Landungsbrücken und Lagerhallen zum Stützpunkt der U-Boot-Flotte der deutschen Kriegsmarine. Um 1942 konnten 20 U-Boote in den 14 Kammern untergebracht werden. Die Stadt wurde im Krieg fast vollständig zerstört, der Bunker blieb unversehrt. Er kommt auf eine Länge von 300 m, eine Breite von 124 m und eine Höhe von bis zu 18 m; die immense Menge von 480 000 m³ Stahlbeton wurde verbaut. So steht der gewaltige Bunker auch nach dem Krieg und bis heute als Barriere zum Hafen und prägt die Stadt.

Bürgermeister Joël Batteux, von 1983 bis 2004 im Amt, initiierte das Projekt „Ville-Port“, die Öffnung des Hafens, nachdem in den 1990er-Jahren geklärt war, dass der Bunker aus Kostengründen und wegen der Gefahr für die umliegenden Nachbargebäude nicht gesprengt werden konnte. Seitdem wird der Bunker nach und nach geöffnet und die umliegende Infrastruktur zum Hafen hin verbessert. 1996 erhielt Manuel de Solá-Morales den Auftrag für eine städtebauliche Gesamtkonzeption. Inzwischen existiert eine Fußgängerrampe, die auf das begrünte Dach des Bunkers führt. Der Bunker beherbergt heute die Ausstellung „Escal’Atlantic“ und auf der ehemaligen Brache um den Bunker befinden sich aktuell ein Kinocenter, eine Mall, ein Hotel und Wohnblocks. LIN Architekten und Urbanisten mit Finn Geipel und Giulia Andi hatten sich 2007 in äußerst reduzierter Form dem südlichsten Bereich des Bunkers mit der Kammer 14 angenommen und einen flexiblen Ort für neue Kunst und zeitgenössische Musik geschaffen. Zudem bauten sie die interne Straße im Bunker um, welche nun die einzelnen umgebauten Hallen verbindet. 2018 ging der Umbau in die nächste Runde. Das belgische Kollektiv 51N4E aus Brüssel hat mit dem Architekturbüro Bourbouze & Graindorge aus Nantes die Kammern 12 und 13 zu einem Veranstaltungssaal mit dazugehörigen Funktionsräumen ausgebaut.

Ein Potpourri an Konstruktionen

Der Umbau in den Kammern 12 und 13 ist der bisher tiefgreifendste in den Bestand des Bunkers. Fundamente wurden erprobt und Teile der Wände entfernt. Vier verschiedene Einbauten wurden in die zwei Hallen gesetzt – mit diversen Konstruktionen und jeweils angepassten Materialien. Diese Heterogenität ist durch die unterschiedlichen Anforderungen an die Gebäude und die Verbindung mit dem Bunker entstanden. Doch die uneinheitliche Charakteristik wirkt an diesem Ort passend, das Bild vom „Kabinetts der Kuriositäten“, wie Gricha Bourbouze es beschreibt, ist in der monströsen Monolithik des Bunkers eine gelungene Abwechslung. Als Hauptproblem der Planung bezeichnet Gricha Bourbouze das ständig eindringende Wasser während der Baumaßnahmen. Obgleich der bestehende Betonboden teils porös ist, wurden keine Abdichtungsmaßnahmen getroffen. Trotz umfassenden Untersuchungen zur Standsicherheit des Gebäudes in den vergangenen Jahren des Umbauens, war eine gewisse Unsicherheit bei den Planungen zu den Neueinbauten vorhanden. So wurde angestrebt, so wenig wie möglich in die Substanz des Bunkers einzugreifen und das Vorhanden zu verwenden. Offensichtlich wird unmittelbar, dass die Konstruktion und die verwendeten Materialien nicht verkleidet wurden, das roh Belassene von den Architekten auch als Stilmittel verwendet wird.

Der Veranstaltungssaal

Die Kammer Nr. 12 ersetzt den ehemaligen Festsaal Jacques Brel, der sich im Umfeld des Bunkers befand und abgerissen wurde. Der neue Veranstaltungssaal ist multifunktional und kann von den rund 120 Vereinen von Saint Nazaire für musikalische oder theatralische Darbietungen, für Tanzgalas oder Bingoabende, Versammlungen oder Ausstellungen angemietet werden. Auf einer Länge von 80 m und 12 m Breite bietet er Raum für 2 800 BesucherInnen oder 850 Sitzplätze. Der lang gestreckte Raum ist teilbar: Das erste Viertel an der Wasserseite lässt sich abtrennen; auf der Straßenseite befindet sich die Bühne und ein Bühnenausgang.

Die ArchitektInnen entschieden sich für ein Raum-im-Raum-Konzept auch auf Grund des baulich schwächelnden Betonbaus, der teils brüchig war und schon eigentlich eingegossenen Stahl zeigte. Abstürzende Betonteile gefährdeten die Besucher. Anstatt aber die Betonstruktur zu sanieren, entschieden die Planer ein zweites Dach ins Innere der beiden Hallen zu setzen. Damit sind mit den  Wänden auch die Decken der Kammer 12 komplett verkleidet, die Rohheit und Massivität des Bunkers ist im neuen Veranstaltungssaal nur noch zu ahnen. Dazu trägt auch die warme Farbgebung einzelner Elemente bei, der Terrazzoboden wie auch die türhohe Holzvertäfelung (Brettschichtholzplatten) haben einen rötlichen Farbton erhalten. Hinter der Vertäfelung liegt die elektrische Infrastruktur verborgen. Ebenfalls hinter den Holzplatten stehen paarweise miteinander verschraubte Kerto-Furnierschichtholz Ständer, die das leichte, über 20  m weit spannende Stahlfachwerk tragen, dessen Untergurtet ebenfalls mit rötlich eingefärbten Brettschichtholz verstärkt ist. Die daran befestigten, höhenverstellbaren Deckenleuchter wurden extra für das Projekt entworfen.

Unterschiedliche Lastaufnahmen, verschiedene Fassaden

Im Kontrast zur edlen Optik des Veranstaltungssaals stehen der an die Halle direkt anschließende Funktionstrakt und die Einbauten in Halle 13. Das mittlere, schmale Funktionsgebäude wurde mit dünnen Betonunterzügen und einer Hourdisdecke ausgeführt – die Proportionen und Materialien kommen aus dem kostengünstigen Wohnungsbau. Die Neueinbauten werden auf der einen Längsseite von der Betonwand des Bunkers getragen, auf den anderen Seiten wurden neue Fundamente gelegt. In der Mitte der Halle 13 befindet sich ein Platz mit kleiner Tribüne, der von den Angestellten z. B. als Sportplatz genutzt wird. Zum Wasser hin zeigen sich die beiden neu gesetzten Fassaden unterschiedlich: Der Veranstaltungssaal hat eine edle, hellgelbe Pfostenriegelkonstruktion, der Funk­tionstrakt eine gestapelten Baucontainern ähnelnde Fassade.

Diversität im Bestand

Seit fast achtzig Jahren steht der Koloss aus Beton am Hafen Saint Nazaires. Seit den 1990er-Jahren erfolgt der Prozess seiner Umnutzung im Rahmen eines weiteren städtebaulichen Eingriffs. Nach und nach hat sich die Stadtbevölkerung dem Betonklotz angenähert, immer noch wird die Infrastruktur in Richtung Hafen ausgebaut. Mit dem neuen Veranstaltungssaal für die Gemeinde und die Vereine ist wieder etwas Schönes im Hässlichen entstanden. Ähnlich der Diversität der Veranstaltungen und der Nutzer ist auch die Architektur.⇥N. Sch.

Der U-Boot-Bunker in St. Nazaire, den die Deutschen dort im Zweiten Weltkrieg hinterlassen haben, stellt für die Stadt aufgrund seiner ­enormen Größe und Unzerstörbarkeit bis heute einen höchst problematischen Bestand dar. Umso bemerkenswerter ist der seit 1994 betriebene kreative Prozess der Umnutzung, der mit dem Veranstaltungssaal von 51N4E und Bourbouze & Graindorge einen weiteren gelungenen Teil dazugewonnen hat.«

⇥DBZ Heftpartner Teleinternetcafe

Projektdaten

Objekt: Alveoles Saint Nazaire

Ort: Boulevard de la Légion d‘Honneur, 44600 Saint-Nazaire/FR

Typologie: Veranstaltungssaal

Bauherr: Stadt Saint Nazaire

Architektur: 51N4E, Brüssel/BE, www.51n4e.com, zusammen mit Bourbouze & Graindorge, Nantes/FR, www.bourbouze-graindorge.com

Projektteam: Freek Persyn, Johan Anrys, Dieter Leyssen, Guillaume Boulanger, Annaïk Deceuninck, Benoit Lanon (51N4E)

Gricha Bourbouze, Maxime Retailleau, Nacho Hervias (B&G)

Generalunternehmer: André BTP, Nantes/FR, www.andre-btp.com

Fertigstellung: 2018

Fachplaner:

Tragwerksplanung: Bollinger Grohmann, Paris,
www.bollinger-grohmann.com

Ingenieurtechnik: ALTO

Bauphysik / Akustik: Daidalos Peutz, Löwen, www.peutz.de

Lichtplanung und -design: Nathalie Dewez, www.nathaliedewez.com

Bauleitung: Oceadis

Projektdaten:

Bruttofläche: 2 954 m²

Umbaukosten Halle 12/13: 6,1 Mio. €

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