Gefechtsturm IV in Hamburg mit grüner Zukunft

Es grünt schon auf dem Hochbunker, dem „Flakturm IV“, auch „Gefechtsturm IV“ genannt. Der steht am nördlichen Rand des Hamburger Heiligengeistfeld, dort, wo gefühlt immer schon der DOM genannte Jahrmarkt stattfindet. Der massige Betonbau mit einer Grundfläche von 75x75 m, wurde in rund 300 Tagen von ZwangsarbeiterInnen hochgezogen und ist einer der größten Hochbunker in Deutschland. Zur Flugabwehr hat er wenig ausrichten können, die Zerstörung der Stadt aus der Luft im Jahr 1943 spricht hier Bände und wirklich diente der Betonkoloss hauptsächlich als Luftschutzbunker. Offenbar beeindruckt von seiner Präsenz mitten in Hamburg, zog das Bauwerk schon ab der Nachkriegszeit schon früh die Medien- und Kreativszene an: Verleger Axel Springer entwickelte im Bunker Zeitungen, der damalige NWDR sendete von hier die „Tagesschau“ und später präsentierte Fotografen-Ikone F.C. Gundlach Andy Warhols erste Deutschland-Ausstellung.


Schließlich erwarb 1993 Prof. Dr. Thomas J. C. Matzen und in Folge die Matzen Immobilien GmbH das Erbbaurecht. Bauherr Thomas Matzen ist Hamburger und das Projekt des Bunker St. Pauli ganz offenbar mehr als ein Invest. Seinerzeit stellte er ohne öffentliche Vorgabe und Unterstützung den bis heute bestehenden Mietermix aus Künstlern, Musikschulen und -Clubs zusammen, die auch zukünftig unverändert ihre Heimat im Bestandsbau haben werden. Vor einigen Jahren entstand dann in der Nachbarschaftsinitiative „Hilldegarden“ die Idee eines „grünen Bunkers“, die Matzen auf Anhieb überzeugte. Die Anwohner wünschten sich für das Quartier öffentliche nutzbare Stadtteilflächen und zudem einen frei zugänglichen Stadtgarten auf dem Bunkerdach.

Es gab erste Entwürfe, dann wurde mit Schlaich Bergermann Partner, Stuttgart, ein prominentes Tragwerksplanerbüro ins Boot geholt. Die sollten schauen, was lastentechnisch auf dem Bauwerk überhaupt möglich sei. Und das ist, in Zahlen gesetzt, eine ganze Menge:

Ab Oberkante Bestand (ca. 38 m) sind aktuell fünf, mit jedem Geschoss zurückspringende Ebenen aufgesetzt. Die abschließende Dachebene hat eine Höhe von ca. 58 m, hier liegt der öffentlich zugängliche Dachgarten. Die Tragkonstruktion der Aufstockung besteht größtenteils aus Ortbeton plus Stahlbeton-Verbundbauteilen. Das Gesamteigengewicht der Tragkonstruktion (bestehend aus Decken, Wänden, Stützen, Trägern) wiegt ca.17500 t, dazu kommen noch ca. 10000 t Ausbau- und 6000 t Nutzlasten. Im Vergleich: Allein das Gewicht der Tragkonstruktion wiegt soviel wie die ca. 4 m dicke Abschlussplatte des Bunkers, sämtliche Zubauten erreichen rund 15-20 % des Gesamtgewichts des Bestandbaus.

Der Lastabtrag der Aufstockung erfolgt ausschließlich über 16 massive Geilinger Stützen auf den bis zu 4,5 m dicken Bunkeraußenwänden bzw. Bunkerschottwänden. Als Sonderkonstruktion müssen die Vierendeel-Stahlträger genannt werden, die in die Betondecke der innenliegenden Dreifeldturn-/Veranstaltungshalle eingegossen sind. Auf dieser leicht niedrigeren Geschossebene sind die Haustechnik, Technik- und Versorgungsräume untergebracht.

Der komplette Bestand ist – außer seiner fundamentalen Funktion, Fundament zu sein – so gut wie unangetastet, Erschließung, Ver- und Entsorgung sind aus dem Betonbau herausgehalten. Alle Planungen und Arbeiten sind in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz erfolgt. Neue, außen sichtbare Betonschächte führen die Fahrstühle, einer von nicht wenigen Kritikpunkten der Kritiker an diesem Projekt, die den Bunker gerne in seiner Rohheit erhalten hätten.

Denn zwar sieht der Bunker immer noch nach Beton aus, doch die Grüneinfärbungen der Bauteile deuten schon darauf hin, was den Bau – der neben dem öffentlichen Dachgarten im Wesentlichen ein Hotel mit 136 Zimmern, die Multifunktionshalle, tagsüber genutzt für den Schulsport!) sowie einen Gedenk- und Informationsort bietet – noch bevorsteht: Er wird grün. In der Hamburger Baumschule Lorenz von Ehren warten bereits etwa 4700 Pflanzen auf ihren Umzug aufs Bunkerdach. Darunter Baumarten wie Feld-Ahorn, Weißer Winterglockenapfel, Strauch-Waldkiefer, Zoeschener Ahorn oder Stechpalme, dazu Großsträucher, Kletterpflanzen, Hecken und Rosen. Sie alle müssen Hitze, Sturm und Regen trotzen, trockenheitsresistent und frosthart und in dieser Höhe auch windunempfindlich sein. Die großen Pflanzen werden sämtlich unterirdisch verankert, um sie gegen Windsog zu sichern.

Zu den aufgestellten Pflanzen, die mit ihrer Höhe von bis zu sechs Metern durch einen Wald-auf-dem-Haus-Eindruck vermitteln können, kommen immergrüne Fassadenkletterer und überhängende Gehölze. Überwiegend ist eine immergrüne Dachbegrünung vorgesehen, die über Retentionsboxen unterhalb der Bepflanzung und der Wege und eine automatische Bewässerung mittels Tropfleitungen und Unterflurbewässerung versorgt wird. Das Retentionsdach wird über eine offene Kaskadenentwässerung mit Regenwasser und zusätzlich zum Teil über eine schwimmergesteuerte Zuleitung mit Trinkwasser versorgt. Sämtliche Vegetationsflächen werden damit über zwei Bewässerungssysteme versorgt: einmal über den Wasseranstau von der unteren Schicht der Begrünung aus nach oben (Kohäsion), dann über eine Tröpfchenbewässerung. Beide Systeme werden durch Temperatur- und Feuchtigkeitssensoren unterstützt und wetterangepasst individuell geregelt.

Wo der grün eingefärbte Sichtbeton nicht untergebracht werden konnte, wird mit unterschiedlich grün gefärbten Ziegeln eine Vorsatzschale aufgemauert. Um das Grün oben auch visuell zu erden und zudem eine Erschließung des Dachgartens auf natürlichem Wege zu gewährleisten, wird es einen rund 300 m langen „Bergpfad“ bis in Kragenhöhe geben. Von hier aus gelangen die Fußgänger über eine Treppenanlage und über eine vorgesetzte Aufzugsanlage weiter nach oben. Große Teile der Planung auf dem Kragen (öffentliche zugängige Außenflächen) wurden in Nutzung und Gestaltung durch das schon genannte Beteiligungsprojekt „Hilldegarden e.V.“ mit Anwohnern des Stadtteils St. Pauli entwickelt. Auf der den Turm ehemals abschließenden Fläche mit den roh belassenen Resten des Kommandostands wird ein Teil des Gedenk- und Informationsorts untergebracht, der ansonsten an ausgewählten Orten im Gesamtbunker verteilt ist.

Zentrales Planerbüro ist das für die Objektplanung (LPH 3-8) verantwortliche Büro phase 10 Ingenieur- und Planungsgesellschaft mbH, Freiberg. Mit dessen geschäftsführendem Gesellschafter und Projektleiter, Ronny Erfurt, hatten wir das Vergnügen, über den weitgehend fertiggestellten Rohbau geführt zu werden. Überrascht waren wir von seiner Feststellung, dass auch ein derart massives Gebäude eine nur begrenzte Tragfähigkeit besitze. Er betonte, dass über alle bauliche Herausforderung – beispielsweise die Anschlüsse Aufstockung / Bestand – das Grünkonzept ein wesentlicher Punkt in diesem Projekt sei. Er versteht die Begrünung als ein Zeichen des Bauherrn an die Stadt, hier in vielen weiteren Projekten diese Begrünung zu versuchen, gerade auch in der Arbeit mit dem Bestand. Auf die Frage, ob er denn glaube, dass man das Projekt im ersten Halbjahr 2022 fertiggestellt übergeben könne, kam ein klares Ja, wir schaffen das. Er sieht die Fertigstellung des komplizierten Rohbaugefüges als hauptsächlichen Meilenstein in der Projektabwicklung, und der sei ja erreicht!

Mit im engsten Planerteam sind noch für die TGA (LPH 3–8) die IPP ESN Power Engineering GmbH, für die Tragwerksplanung (LPH 3–8) Wetzel & von Seht und die Außenanlagen (LPH 1–8) das Büro Landschaftsarchitektur+. Insgesamt arbeiten etwa 180 Menschen und 25 Gewerke für die Vision des „grünen Bunkers“. Wenn wir alle dann im kommenden Jahr den Bergpfad erklimmen und vom Dachgarten aus – oder auch aus dem Café – über die gigantische Innenstadtbrache Heiligengeistfeld zum Hafen hinüberschauen, werden wir uns erstens fragen: Wieso haben wir so lange darauf warten müssen und zweitens und am Ende: Von Projekten solcher Art benötigen wir einfach mehr in unseren Städten. Jetzt gilt es, das Versprechen, hier öffentlichen Stadtraum allen Menschen anzubieten, auch durchzuhalten.


www.bunker-stpauli.de
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