Thermisch aktivierte Gebäudehülle

Wohnhaus,
Maishofen/AT

Den Ort Maishofen im Pinzgau mit seinen knapp 3 600 Einwohnern werden die wenigsten auf Anhieb auf der Landkarte finden. Die Region ist geprägt vom Tourismus, was sich auch im örtlichen alpinen Architekturstil niederschlägt. Aber ein Wohnhaus sticht heraus: Die Materialität aus terrabraunen, großformatigen Beton-platten ist wohltuend anders. Und der Blick in die Fassade verrät, warum das Gebäude auch technisch anders ist.

Den Ort Maishofen im Pinzgau mit seinen knapp 3 600 Einwohnern werden die wenigsten auf Anhieb auf der Landkarte finden. Die Region ist geprägt vom Tourismus, was sich auch im örtlichen alpinen Architekturstil niederschlägt. Jedoch sticht ein Wohnhaus heraus: Denn die Materialität der Fassaade aus terrabraunen, großformatigen Betonplatten ist anders. Und der Blick in die Fassade verrät, warum das Gebäude auch technisch innovativ ist. Möglich macht diesen Effekt ein feines Gespür der am Bau Beteiligten für die Wirkung des Blicks über den Baustoff-Tellerrand hinaus. Auch der bislang unbebaute Familiengrund ist einzigartig, zwischen einem Bachlauf und einer Einfamilienhaussiedlung mit unverbauten Blick auf die Berge und Weidefläche der Kühe vor dem Almauftrieb in fußläufiger Entfernung zum Ortskern.
Der Architekt Gerald Kessler war zum Zeitpunkt der Planungen nach Arbeitsstationen in Vorarlberg gerade für die Bürogründung wieder in die Heimat zurückgekommen. Für ihn spielte die harmonische Einbindung in diese Landschaft eine große Rolle, neben der eigentlichen Bauaufgabe, ein Wohnhaus für zwei Generationen zu entwickeln. Drei Erwachsene, drei Kinder und der Familienhund leben buchstäblich unter zwei Dächern, die jedoch nur bedingt die Raumteilung nach außen abbilden. Ein Ort für das Zusammenleben und zugleich Rückzugsorte für alle Generationen waren gewünscht. Gelöst hat Gerald Kessler diese Anforderung der Bauherren über einen flächigen Grund­körper, aus dem sich zwei in Höhe und Dachneigung analoge Satteldächer erheben. Die gedoppelte Gebäudeform orientiert sich an der Nachbarschaft, deren Bebauungsstruktur von Wohnhäusern mit versetzten Garagen geprägt ist. Um die Massivität des großen Erdgeschosses aufzubrechen, verschieben sich die Baukörper im Sinne der Nutzung zueinander. Während die Garage mit dem angeschlossenen Vorraum und der Fassadenfront mit einem eingeschnittenen Innenhof von der Straße sichtbar ist, sind das großräumige Entree und
die Garderobe für beide Wohneinheiten sowie die anschließenden
öffentlichen Räume für Koch-, Ess- und Wohnbereich nach hinten versetzt. Die Stufen der Privatheit sind durch die geschickte Anordnung von Raumabfolge und Wandscheiben erlebbar. Einschnitte und Auskragungen ergeben qualitätvolle Freiflächen, die gezielte Ausblicke, Kommunikationsflächen oder intime Rückzugsorte ermöglichen.

Schnittmenge zu den privaten Schlafräumen der jungen Familie im südlichen Satteldach ist ein Mehrwertraum, aktuell als Büro genutzt, der je nach Wunsch mit einer Schiebetür dem offenen Wohn­bereich oder den Privatbereichen zugeordnet werden kann. Die drei Kinderzimmer sind bewusst klein gehalten, um den großzügigen Flurbereich als Kommunikationszone zu etablieren.

Die aneinandergereihten Zimmer, inklusive des Bereichs der Eltern, leben vom offenen Blick in die Dachschrägen des Raums, in die sich die Bäder wie Boxen mit Oberlichtern einschieben. Die Dimension des Dachraums hat etwas Erhabenes, die Vorzüge von Licht und Luft sind greifbar. Der nördliche Baukörper kragt nach Westen und Osten aus und bildet somit einen großen überdachten Eingangsbereich. Er hat eine geschützte Loggia im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss einen gemeinsamen Freibereich, der beide Baukörper über eine nicht nur symbolisch gesetzte Brücke verbindet. Während im Erdgeschoss die Subtraktion durch den eingeschobenen Innenhof das raumbildende Element ist, ist der Mittelpunkt des offenen Wohnbereichs der zentrale Kamin. Der Raum verlängert sich optisch durch die Glasflächen im Dachspitz in beide Richtungen und lässt die Bewohner am Verlauf der Sonne teilhaben.

Die Innenräume spiegeln den Gedanken des „weichen“ Innen­lebens wieder. So sind die Wandflächen mit einer homogenen Weißtannen­oberfläche und die Böden mit Steineiche belegt. Die Böden im Eingangsbereich sowie die Bäder sind vollflächig mit großformatigen, dunklen Betonplatten ausgekleidet. Die glänzende Oberfläche, die in einem präzisen Verlegemuster vom Boden in die Wandflächen übergeht, steht in bewusstem Kontrast zu den weiß gespachtelten Decken­untersichten. Die angenehme Atmosphäre der natürlichen Materialien war Architekt und Bauherren gleichermaßen wichtig. Was auch manchmal herausfordernd sein konnte, wie Gerald Kessler bestätigt: „Wer genau weiß, was er will, der weiß auch um die Qualitäten des Materials und was handwerklich alles möglich ist. Dies alles zu erreichen, ist nicht immer einfach, aber durch den partnerschaftlichen Dialog mit den ausführenden lokalen Firmen erfolgreich möglich. Hier ist das Land noch ländlich, man achtet auf Zeitlosigkeit und muss keinen schnellen Trends hinterherlaufen. Außerdem ist der Zugang zu Materialien ein anderer, man spielt damit, es darf auch mal etwas rustikaler sein.“

Fassade aus glasfaserverstärktem Beton

Der Ansatz, alles aus einem Guss zu entwickeln, setzt sich auch in der Fassade fort. 550 m² Hüllfläche bestehen aus 13 mm starken Platten aus glasfaserverstärktem Beton im Farbton „terra“. Konstruktiv bedeutet dies eine große Herausforderung, muss doch alles im Detail durchdacht werden. So ist der Entwurf neben dem programmati-

schen und strukturellen Ansatz stark über die Materialseite gedacht – in Elementgrößen, Effizienz und Baulogistik, verbunden mit der ästhetischen Wirkung. Die Giebelseite zur Straße hin verdeutlicht die Grundidee am besten. Die flächig geschlossenen Untersichten der Dachhaut nehmen der Konstruktion die Schwere und bilden zugleich einen Rahmen für die FibreC-Platten. Es entsteht bei Sonnenschein eine optische Illusion, bei der der Schattenwurf einem Lichtspiel gleicht. Erst beim näheren Hinsehen erkennt man den Materialwechsel zwischen Kupferdach, Fassadenplatten und den Untersichten aus Lärchenholzschalung. Bewusst ist die Struktur in der Fassade gewählt, Homogenität wäre konsequenter gewesen, würde aber nicht zum lokalen Kontext passen. Auch die Ehrlichkeit des Materials selbst mit unperfekten Stellen ist bewusst gezeigt. Zur optimalen Ausnutzung der Platten wurde die maximale Elementbreite von 120 cm aneinandergereiht und dort, wo notwendig, durch L-Winkel als Passstücke ergänzt. Hierdurch konnte ein großer Vorfertigungsgrad erzielt werden, der bei der Montage der vorgehängten Fassade vor der Tragstruktur aus Isospan-Wänden von Vorteil war. Um die Platten flächig zu halten, wurde die komplette Befestigung unsichtbar über Hinterschnittanker auf einer Unterkonstruktion umgesetzt.

Eine thermisch aktivierte Hülle

Der eigentliche Clou steckt in der Südfassade. Mit dem Ansatz, die Gebäudehüllen für die Energiewende nutzbar und damit intelligenter zu machen, wurden die Beton­platten thermisch aktiviert. Unter dem Begriff „Bionics“ forscht das Team um Wolfgang Rieder von Rieder Smart Elements an der Möglichkeit, einen positiven Beitrag zur Energiewende über den Gebäudebestand zu leisten. Eingelegte Kapillarrohrmatten in der Faserbetonplatte entziehen der Hülle die durch Sonneneinstrahlung entstandene Wärme, die bei Bedarf entweder direkt in den Energiekreislauf des Gebäudes eingespeist werden kann oder zum Zwischenspeichern in den unterirdischen Eisspeicher geleitet wird. Das Prinzip ist einfach: Wenn der Sonneneintrag schon an der Oberfläche abgefangen und umgeleitet werden kann, muss auch keine zusätzliche
Energie zur Kühlung aufgewendet werden. Ergänzt wird das fast autarke Energiesystem durch eine Solaranlage auf dem Dach und die Wirkungsweise des Eisspeichers.

Die Technologie, die zuvor schon an massiven Wänden getestet wurde, ist nun erstmals als Pionierprojekt in einem Wohnhaus und der vorgelagerten Begrenzungsmauer eingesetzt worden. Die Lage mit der Ausrichtung nach Süden bot sich an, die in der Entwicklung befindliche Produktlinie Bionics einzusetzen. Um das ganze Gebäude sind Messstationen verteilt, die einen genauen Überblick über Ertrag und Verbrauch geben. Nicht eine mögliche Zertifizierung war das Ziel des Energiekonzepts, sondern der Wunsch, mit „Hausverstand“ zu bauen. Dazu gehören neben der Wahl der Technik auch die Farbigkeit der Fassade und die vorgefundenen klimatischen Bedingungen. Die Begeisterung für das Material und der Wunsch, die Grenzen des Machbaren auszureizen, spielten sicherlich auch eine Rolle. Sonst lässt sich nicht erklären, warum die Herausforderungen bezüglich eines möglichst flächigen Einbaus der speziellen Rohre und Anschlussverbindungen und der Montage so präzise mitgedacht wurden. Neben dem Umweltgedanken steht auch die CO2-Reduktion im Vordergrund sowie die Minimierung gesundheitsgefährdender Bestandteile in der Produktion. Vom DIBt – dem Deutschen Institut für Bautechnik – hat das Bionics-System übrigens inzwischen die offizielle Zulassung erhalten.

Fazit

Man merkt den Bewohnern und dem Architekten die Freude über das gelungene Projekt auch zwei Jahre nach der Übergabe sichtlich an. „Radikaler geht es immer,“ lacht Gerald Kessler. „Aber mir ist es wichtiger, dass der Bauherr sich wohl fühlt. Ich baue schließlich nicht für ein
Fotoalbum, sondern für die Menschen. Man geht einen Weg miteinander, im Dialog lässt jeder etwas in den Prozess einfließen, wodurch verschiedene Atmosphären entstehen, die Gemeinschaft und Rückzug erst möglich machen.“ Auch die Bauherrin kramt noch mal ein Foto vom ersten Pappmodell auf ihrem Handy hervor. Der Blick
darauf zeigt uns eine fast unveränderte, 1:1 realisierte Grundidee. Und sie gibt uns einen schönen Schlusssatz mit auf den Weg: „Wir haben zuvor mitten im Ort in einem urigen, denkmalgeschützten Gebäude gewohnt, dem kompletten Gegenteil zur jetzigen Situation. Es ist toll, wie schnell man sich an Licht und Luftigkeit gewöhnt.“ Eva Maria Herrmann, München

www.architektur-kessler.de

Baudaten

Objekt: 2-Familienhaus Standort: Maishofen/AT
Typologie: Wohngebäude

Bauherr/Nutzer: Fam. Meinhart

Architekt/Bauleitung: Architektur Kessler, Mittersill, www.architektur-kessler.at
Bauzeit: Mai 2015 – Mai 2016

Fachplaner

Tragwerksplaner: Hölzl Baumanagement GmbH, Mittersill, www.buerohoelzl.com

Fassadentechniker: Rieder Smart Elements GmbH, Maishofen, www.rieder.cc/de; Architektur Kessler  Innenarchitekt/Lichtplaner: Architektur Kessler, Mittersill, www.architektur-kessler.at

Projektdaten

Grundstücksgröße: 1 000 m²
Grundflächenzahl: 0,41
Nutzfläche: 335 m²
Technikfläche: 10 m²

Energiekonzept

Die Hauptenergie für das Haus wird über die FibreC Bionics Fassade und den Energiezaun gewonnen. Die Energie, die in den Betonbauteilen gespeichert ist, wird mittels wasserdurchströmten Kapillarrohrmatten aus dem Beton in das Haus oder in den Zwischenspeicher (= Eisspeicher) befördert. Der Eisspeicher in dieser Form kann eine Phasenverschiebung für die Benötigung der Energie von ca. 5 – 7 Tagen erreichen. Zusammen mit der Photovoltaikanlage auf dem Dach (für den Betrieb der Wasserumwälzpumpen zur Wasserdurchströmung der FibreC Fassade) ist das Haus nahezu autark.

Hersteller

Fenster: Lechner Fenster, www.lechner-fenster.at
Fassade/Heizung: Rieder Smart Elements GmbH, www.rieder.cc/de
Wand: Isospan, www.isospan.eu
Boden/Holzdielen/Parkett: Hakwood B. V., www.hakwood.com/de
Sonnenschutz: Starmann Sonnenschutz GmbH, www.starmann.at
Sanitär: Duravit AG, www.duravit.de
Beleuchtung: Akzente Lichtsysteme GmbH, Innsbruck
Außenbodenbelag: Betonwerk Rieder GmbH, www.rieder.cc/de   

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