Schule – adäquater Lebensraum?


Prof. Dipl.-Ing. Architekt Christoph Parade zum Thema „Schulbauten“

„Lassen Sie Ihre Bemühungen um bessere Architektur, die Schüler machen doch ohnehin alles kaputt“… Ratschläge dieser Art sind bei geplanten Schulbauten immer wieder zu hören. Dahinter verbirgt sich eine weit verbreitete Geisteshaltung: Schulen gelten zwar als Ort des Lernens, architektonisch aber erfüllen sie eher geltende Bauvorschriften als die Bedürfnisse von Kindern und Lehrern.

Nicht so bei dem bereits Ende der 50er Jahre von Hans Scharoun erbauten Gymnasium in Lünen mit seiner maßstäblichen, differenzierten und ganz auf das Individuum abgestellten Planung. Die politische Entwicklung in den 70er und 80er Jahren machte diese Ansätze zunichte. Unter dem Vorwand, Chancengleichheit herstellen zu wollen, entstanden Monsterbauten mit dem Zweckdenken einer unmittelbaren Bedarfsdeckung, deren negative Auswirkungen bis heute spürbar sind.

Der generelle Denkansatz, Räume zu schaffen, welche über die vordergründige Funktionalität hinaus Aufenthaltsqualität vermitteln, ist ein Aspekt, der immer wieder – aus vermeintlichen Kostengründen – vernachlässigt wird. Reduzierte Räume blockieren jedoch Lern- und Lehrverhalten.

Gerade die technisierte und formalisierte Welt des Lernens braucht ein Äquivalent an Sinnlichkeit. Dieser Aspekt kommt bei den derzeitigen Umwandlungen bestehender Schulen in Ganztagsschulen zu kurz. Kinder mögen helle wie dunkle Räume, Licht und Schatten, Platz zum Toben und für den Rückzug. Sind diese unterschiedlichen Räume nicht vorhanden, ist Vandalismus programmiert. Er ist im Übrigen besonders dort zu finden, wo die Schüler keinen emotionalen Bezug zu ihrer Schule haben.

Die simple Devise, „der Schüler muss sich wohl fühlen“ ist ein Leitsatz, der über allen architektonischen Details stehen sollte. Planungen, die sich auf das Weglassen von allem scheinbar Überflüssigen oder die „neue Einfachheit“ berufen welche reale Bedürfnisse der Kinder ignorieren, bergen vor allem die Gefahr in sich, dass unter diesem Diktat aber auch jede architektonische Phantasielosigkeit gerechtfertigt werden kann. Den Rest erledigen dann Programmreduzierungen. Einige Beispiele:

Entsprechen z. B. unterdimensionierte Speiseräume, welche auch atmosphärisch kaum die Norm von Fastfood-Ketten erreichen, dem Ziel, den Kindern ein „zweites Zuhause“ zu bieten? Verständlich, wenn dann ein Großteil der Schüler direkt zu Dönerbuden abwandert. Vor allem, wenn durch Minimierung von Freizeit- und Ruheräumen ohnehin kein „Bleibeanreiz“ besteht.

Diskussionen über Zentralgarderoben als sinnvolle soziale Kontaktmöglichkeit finden nicht mehr statt. Stattdessen werden einfache Spinde planlos in den Fluren abgestellt, was den Verkehrsfluss enorm behindert; aggressives Verhalten programmiert. Hinzu kommt, dass individuelles Lernen – ein wesentliches pädagogisches Konzept – mangels entsprechender baulicher Vorkehrungen ebenfalls oft nur in Fluren stattfinden kann.

Bedingt durch neue Unterrichtsformen und damit verbundenen Sitzordnungen hat sich auch die bisherige normengerechte Beleuchtungsanordnung längst überlebt.

Ökologische Aspekte, auch als pädagogischer Anreiz, kommen, da langfristig angelegt, meist zu kurz. Stattdessen Vollwärmeschutz als alleinige Zielvorgabe ohne Berücksichtigung des bauphysikalischen Gesamtgefüges – wobei Raumklima, Belüftung oder räumliche Qualitäten meist auf der Strecke bleiben.

Weder einseitig technische Perfektion, wirtschaftliche Zwänge noch formalistische Architektur dürfen das eigentliche Ziel, Räume mit Aufenthaltsqualität zu schaffen, zunichte machen.

Der Architekt

Prof. Dipl.-Ing. Architekt Christoph Parade, Studium TH Stuttgart und Princeton University / USA (L. Kahn, K. Tange, B. Fuller).
1962 Bürogründung in Düsseldorf mit Brigitte Parade. Zusätzlich Partnerbüros in Algerien und Japan. Professur Univ. of Applied Sciences Münster, Gastprofessur Uni Havanna/Kuba, UIA-Delegierter  Sport – Freizeit – Tourismus. Fast alle Aufträge über Wettbewerbserfolge. Vorwiegend Bauten im öffentlichen Raum. Über 30 Schulbauten, Büro- und Freizeitbauten, Museen, Bauten der Forschung etc. Arbeiten und Vorträge in Zusammenhang mit nachhaltigem Bauen. Laufende Auszeichnungen für vorbildliche Bauten in Deutschland und Europa.
 

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