Schule als dynamischer Ort steter Veränderung

4. Aachener
Gesamtschule, Aachen

Für ein experimentelles Lehrkonzept realisierten
KRESINGS eine vierzügige Gesamtschule in einer
ehemaligen Realschule. In der Aachener Innenstadt
ist mit den Erweiterungsbauten nicht nur ein markantes
Schulensemble, sondern auch ein neues Zentrum entstanden, das dem umliegenden Wohnquartier neues Leben einhaucht.

Ein offener, eigenverantwortlicher Lernprozess löst den Frontalunterricht ab: Nur noch drei Schulstunden in der Woche lernen die Schüler der 4. Aachener Gesamtschule in einem herkömmlichen Fachunterricht im Klassenverband. Für alle anderen Lehreinheiten haben der Schul­leiter Hanno Bennemann und der didaktische Leiter Martin Spätling gemeinsam mit dem Kollegium neue Unterrichtsformen entwickelt. Das früher gefürchtete Klassenbuch wurde durch ein individuelles Logbuch ersetzt, in dem die Schüler all ihre Aktivitäten und Lernergebnisse eintragen. Der Schultag hat sich seit der Einführung des neuen Lernkonzepts radikal gewandelt. Nach einer Morgenbegrüßung im Stuhlkreis in der Klasse beginnt anschließend das eigenverantwortliche Lernen in jahrgangsübergreifenden Lernbüros. In diesen Räumen finden die Schüler in Containern alle Lernunterlagen vor, die sie für das individuelle Erlernen benötigen. Es sind die ehemaligen Klassenräume, die aber nur noch zu wenigen Fächern als solche genutzt werden. In der meisten Zeit werden sie durch flexible, leicht verrückbare Bestuhlung schnell zum Lernbüro. Die Schüler können dann spontan entscheiden, ob sie alleine oder in der Gruppe lernen möchten. Jeweils vier Lernbüros formen eine Organisationseinheit. Sie umringen einen verglasten Teamquader, in dem acht Lehrer an ihrem Arbeitsplatz konzentriert arbeiten können und gleichzeitig für die Schüler ansprechbar sind. Die räumliche Nähe zwischen den Lernbüros der Schüler und den Teamquadern der Lehrer schafft eine enge Beziehung in einem Lernprozess, den die Schüler eigenverantwortlich gestalten.

Mit Blick auf die steigende Nachfrage nach Plätzen an Gesamtschulen genehmigte die Bezirksregierung Köln im August 2011 die Einrichtung einer 4. Aachener Gesamtschule, die bereits zum Schuljahr 2011/2012 in den Räumen der ehemaligen David-HansemannRealschule ihren Lehrbetrieb aufnahm. Für die Entwicklung einer modernen und zeitgemäß ausgestatteten Ganztagsschule beauftragte die Schulverwaltung der Stadt Aachen Hausmann Architekten mit einer Studie. In zwei Workshops diskutierten Lehrer, Schüler und Eltern Themenbereiche wie den Betrieb als Ganztagsschule, die Ausstattung von spezifischen Lernräumen und die Gestaltung der Lehrerbereiche. In Einzelgesprächen, Planspielen und Diskussionen waren es vor allem Fünftklässler der gerade gegründeten Gesamtschule, die mit ihren Ideen die Konzeption bereicherten.

Bei immer mehr Schulbauten entscheiden sich Behörden mit einer sogenannten „Leistungsphase Null“ die Architekturwettbewerbe vorzubereiten. Obwohl die bundesweiten Lehrpläne viele Aspekte vorgeben, entdecken immer mehr Schulen die Vorteile eines individuellen Profils mit Lehrkonzepten, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Tagesabläufe von Schülern und Lehrern angepasst sind. Die Studie von Hausmann Architekten analysierte das didaktische Konzept, die Lehrer-Schüler-Beziehung und welche besonderen Veranstaltungen in der zukünftigen Gesamtschule stattfinden sollten.

Auf dieser Grundlage wurden Räume z. B. für Differenzierung, Inklusion, Ruhe oder eine Lehrküche in das Raumprogramm aufgenommen, die ursprünglich nicht berücksichtigt waren. Aus dem angepassten Raumprogramm des Wettbewerbs entwickelten die Architekten von KRESINGS spezifische Räume für freies Lernen oder Unterricht im Klassenverband sowie Teamquader für Lehrer und einen Ruheraum. Die Erschließungszonen wurden mit Sitznischen und -bänken in den Wänden zu einer multifunktionalen Lern- und Kommunikationszone ausgebildet. Diese sogenannten Lerninseln schaffen als Holzeinbauten eine wohnliche Atmosphäre und erfüllen dennoch die strengen Brandschutzanforderungen.

KRESINGS, die bereits Schulbauten wie die Martin-Luther-King-Gesamtschule in Marl und das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Münster konzipiert hatten, gewannen im Herbst 2011 mit einer ausgewogenen Verbindung von Alt- und Neubau den Wettbewerb um die 4. Aachener Gesamtschule. Für eine stadtteilprägende Adressbildung positionierten sie die Turnhalle als markanten Baukörper unmittel­bar an der Sandkaulstraße. Die Sporthalle wurde teilweise in das leicht ansteigende Gelände des Schulhofs eingegraben, das RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten als grüne Oase im Stadtblock-inneren gestalteten. Die Halle fügt sich mit einer Kombination aus bronzefarbener Aluminium- und beiger Klinkerfassade harmonisch in das Gesamtschulensemble ein. Optisch leitet sie zum neuen Hauptgebäude über, das mit dem gleichen Fassadenkonzept gestaltet wurde. Als langgestreckter Riegel verbindet dieser Neubau die „Türme“ im Norden und Süden des ehemaligen Schulgebäudes des Aachener Architekten Paul Michael Pielen, die als Bestand mit ihren Treppenhäusern erhalten blieben. 1959 war die ehemalige Volksschule in gelockerter Bauweise als Musterschule errichtet worden. Bis heute verkörpern die lichtdurchfluteten Lernräume überzeugend die architektonische Leitidee von Licht, Luft und Sonne. Ein monochromer weißer Fassadenanstrich überzieht die sanierten Bereiche wie auch die alten Trapezblechverkleidungen und verleiht den Altbauten eine würdevolle Erscheinung. Zwischen die beiden „Türme“ legt sich derlanggestrecke Riegel im Passivhausstandard, der heute symbiotisch Alt- und Neubau verbindet.

Das zweigeschossige Entrée wird neben Zeugnisvergaben und Schulaufführungen auch für die Verkaufsstände der Schüler in den Pausen verwendet. Gemeinsam mit der angrenzenden Mensa kann es für Abend- und Wochenendveranstaltungen separat genutzt werden, während die restlichen Räume der Schule geschlossen sind. Über die Bestandstreppen in den „Türmen“ erreichen die Schüler die 16 Lernbüros im Altbau. Sie können über Fenster natürlich belüftet werden. Die angrenzenden Teamquader der Lehrer liegen bereits im Neubau, der im Rahmen des Passivhausstandards mit einer nachhaltigen Gebäudetechnik und Klimaanlage ausgestattet ist. Eine breite, helle Erschließungszone verbindet in einem kinder- und jugendgerechten Maßstab die Werkräume für Kunst, Kochen und Dramaturgie mit Funktionsräumen wie dem Sekretariat und dem Lehrercafé. Differenzierungs- und Inklusions-Räume dienen der individuellen Förderung. Im zweiten Obergeschoss betonen Oberlichter die Lerninseln im Korridor, die mit Sitzbänken spontane Begegnungen, den offenen Austausch und das gemeinschaftliche Lernen unterstützen.

Ein Jahr nach der Eröffnung fühlen sich Schüler und Lehrer in der 4. Aachener Gesamtschule zu Hause und befinden sich noch immer in einer euphorischen Aufbruchsstimmung. Wie wird es zukünftig nach den Klassen 5 bis 8 für die Schüler weitergehen? Noch gibt es keine konkreten Umbaupläne für den 2. Standort in der Sandkaulstraße. Noch kehren die Schüler hier in der Oberstufe in die herkömmliche Klassenstruktur zurück. Daher bleibt es auch in den nächsten Jahren spannend in der 4. Aachener Gesamtschule, die auch zukünftig für die eine oder andere didaktische Überraschung gut sein wird. Die hohen Anmeldezahlen zeigen, dass die überzeugende Verschmelzung von didaktischem Konzept und durchdachter Architektur letztendlich den Schultyp der Gesamtschule erheblich aufgewertet hat. Mit seinem breiten sozialen Programm ist diese Gesamtschule eine ausgewachsene Konkurrenz für die Gymnasien um die Rolle als Spitzenreiter des Bildungswesens. Bettina Schürkamp, Köln

Baudaten

Objekt: 4. Gesamtschule Aachen
Standort: Sandkaulstraße 75, 52062 Aachen
Typologie: Ganztags-Gesamtschule mit Zweifach-Sporthalle
Bauherr: Stadt Aachen, Lagerhausstr. 20, 52062 Aachen
Nutzer: 4. Gesamtschule Aachen
Architekt / Generalplaner: KRESINGS, Münster, www.kresings.com
Mitarbeiter (Team): Thomas Vöge (Projektleiter), Timm Schlarmann, Raul Zinni-Gerk, Tilo Pfeiffer, Frank Küllertz (Ausschreibung)
Bauleitung: Hubertus Holle, Matthias Povel, Achim Speer, Wolfgang Jasper
Bauzeit: Oktober 2014 – August 2016

Fachplaner

Tragwerksplaner: gantert + wiemeler ingenieurplanung, Münster, www.gwims.de
TGA-Planer (HSLE): DS-Plan Ingenieur­gesellschaft mbH, Köln, www.ds-plan.com
Bauphysik/Raumakustik/Schallschutz: GRANER + PARTNER Ingenieure, Bergisch Gladbach, www.graner-ingenieure.de
Thermische Simulation: GRANER + PARTNER Ingenieure, Bergisch Gladbach, www.graner-ingenieure.de
Landschaftsarchitekt: RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten, Bonn, www.rmpsl.la
Brandschutzplaner/Schadstoffberatung/SiGeKo: BFT Cognos GmbH, Aachen, www.bft-cognos.de
Aufzugplaner: DS-Plan mit UPDOWN Ingenieurteam für Fördertechnik GmbH, Hürth, www.updown-ingenieure.de
Küchenplaner: HÖRSTKE Großkücheneinrichtungen GmbH, Witten
Vermessungsbüro: Hagen Lenzke Vermessungsbüro, Aachen, www.vermessung-aachen.de
Gründungsberatung: Prof. Dr.-Ing. Dieler und Partner GmbH, Aachen

Projektdaten

Grundstücksfläche: 15 589 m²
Grundflächenzahl: 0,31
Geschossflächenzahl: 0,63
Nettogrundfläche gesamt: 7 845 m²
Nutzfläche: 5 677,94 m²
Technikfläche: 608,82 m²
Verkehrsfläche: 1 771,44 m²
Brutto-Grundfläche: 9 077 m²
Brutto-Rauminhalt: 39 546 m³

Baukosten

Gesamt brutto ca. KG 300 bis KG 700: 15,15 Mio €

Hauptnutzfläche: 1 912,04 €/m²
Brutto-Rauminhalt: 379,31 €/m³

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 57 kWh/m²a
Jahresheizwärmebedarf: 18 kWh/m²a (beides nach PHPP)  
Passivhaus-Standard

Gebäudehülle

Aufbau:
Außenwand mit 240 mm Dämmung (WLS 035), Bodenplatte gegen Erdreich mit 30 mm Trittschall (WLS 035) und gesamt 200 mm Perimeterdämmung (WLS 035), Decke gegen ungeheizten Keller mit 30 mm Trittschalldämmung (WLS 035) und gesamt 200 mm Perimeterdämmung, Flachdach mit 260 mm Gefälledämmung im Mittel (WLS 040)
U-Werte:
Außenwand Außenluft = 0,154 W/(m²K)
Außenwand Erdreich = 0,154 W/(m²K)
Bodenplatte = 0,155 W/(m²K) Dach = 0,141 W/(m²K) Uw-Wert Fenster = 0,77   W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 0,70   W/(m²K)
Luftwechselrate n50 = 0,6 1/h

Hersteller

Gebäudehülle

Dach (Neubau): Paul Bauder GmbH & Co. KG, www.bauder.de  Fenster (Alu): Schüco International KG, www.schueco.com
Fassade (Neubau): Klinkerwerke Janinhoff GmbH & Co., www.janinhoff.de
Bestand: Brillux GmbH & Co. KG, www.brillux.de
Decke: Knauf Gips KG, www.knauf.de
Abgehängte Hygienedecke: OWAcoustic Premium, www.owa.de
Dämmung (Dach Neubau): DEUTSCHE ROCKWOOL GMBH & Co. KG, www.rockwool.de
Sonnenschutz: Warema Renkhoff SE, www.warema.de  Oberlichter: Velux Deutschland GmbH, www.velux.de
                                                                       Brandschutz                 Türen/Tore: Schüco International KG, www.schueco.com
Verglasung: Glaszentrum Magdeburg GmbH, www.glaszentrum-magdeburg.de; GLS Spezial & Farbglashandel GmbH, www.glsgmbh.de
RWA-Anlage: Jet Gruppe, www.jet-gruppe.de
RLT-Anlage: robatherm GmbH + Co. KG, www.robatherm.com
Brandschutzklappen: TROX GmbH, www.trox.de
                        Gebäudeautomation
Heizung/Lüftung/Sanitär/Bewässerung:
Siemens AG, www.siemens.com
 
Aufzüge: Windscheid & Wendel Aufzüge

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