Öffentlicher „Hof der Domherren“

Gemeindezentrum Kannikegården, Ribe/DK

2012 gewann das Büro Lundgaard & Tranberg Architects den Wettbewerb für das Gemeindezentrum am zentralen Marktplatz in Ribe. Entstanden ist nun ein Gebäude, das nicht zuletzt durch die sensible Auswahl der Materialien eine Brücke schlägt zwischen historischer und zeitgemäßer dänischer Baukultur.

Der kleine Ort Ribe an der dänischen Westküste ist geprägt von seiner mittelalterlichen Backsteinstruktur. Inmitten des Ortes, gegenüber der größten romanischen Kirche Dänemarks, stellte das Architekturbüro Lundgaard & Tranberg 2016 das Gemeindezentrum „Kannikegården“ (auf Deutsch: Hof der Domherren) fertig, das in sich auf wunderbare Weise Altes und Modernes vereint, ohne historisierend zu wirken. Besonders markant ist die Dacheindeckung mit einem großformatigen, handgeformten, 63 cm langen und 35 cm breiten so genannten Cover-Ziegel der Firma Peter­sen Tegl, die über den Ortgang hinaus auch an der Fassade hinuntergezogen wurde und somit die Fassadenverkleidung des ersten Obergeschosses bildet. Das Erdgeschoss hingegen ist von einer umlaufenden Verglasung sowie groben, vertikalen Eichenholzlamellen vor den Fenstern und quadratischen Stahlbetonstützen, deren Schalungen bewusst ungenau gearbeitet worden sind, geprägt.

Mit einem unglaublichen Gespür für das in den historischen Kontext passenden Material mit rauer und doch sensibler Ausstrahlung und starker haptischer Anziehung haben die Architekten hier die Wahl für die bestimmenden Baumaterialien getroffen.

Sich einlassen und respektieren

Die städtebauliche Figur des Gebäudes war im Prinzip durch die angrenzenden Gebäude vorgegeben. Die Häuser stehen hier im Zentrum der Stadt so eng beieinander, dass es zwingend notwendig ist, sich aufeinander einzulassen und auch füreinander „zu sorgen“. So springt der Baukörper des Gemeindezentrums an seiner Rückseite leicht zurück und macht hier eine unsymmetrische Krümmung. Eine Geste, die für mehr Licht, auch bei den Nachbarbauten, sorgt und dem Brandschutz gerecht wird. Der Übergang zu der höher liegenden Straße wurde von dem Büro Schønherr Landschaftsarchitekten durch einen abgetreppten Klostergarten hergestellt. Auch der Marktplatz an der Vorderseite wurde im Zuge der Neubebauung von dem Büro mit einem unregelmäßigen Granitbelag neu gestaltet. Es ist auch das vollkommene Einlassen auf den Ort mit seinen Backsteinbauten, seiner mittelalterlich engen Struktur und den historischen Funden, das in diesem Projekt überzeugt – ein „Sicheinlassen“ und Respektieren auf der einen Seite und eine dennoch zeitgemäße Umsetzung auf der anderen Seite. Wobei zeitgemäß nicht nur klare, großformatige Formen bezeichnet, sondern auch das Bedürfnis nach dem Einfachen. Dieser Wunsch nach Einfachheit und Klarheit zeigt sich dann auch in der Konstruktion.

Grundgerüst und Organisation

„Die Grundidee war, eine einfache Konstruktion zu wählen, die für das gesamte Gebäude funktioniert“, erläutert hierzu Erik Frandsen, Projektleiter im Büro Lundgaard & Tranberg. „Aus ökonomischen Gründen wurde es eine tragende Konstruktion aus Stahl statt Holz, sowohl in den Wänden als auch im Dach, die auf Stahlbetonstützen steht. Dieser Stahlrahmen bekam dann eine leichte Hülle aus vorgefertigten Leichtbauelementen und Mineralwolledämmung sowie eine einfache Tragstruktur zur Aufhängung der Cover-Ziegel.“ Der obere Gebäudeteil, getragen durch den Stahlrahmen, zeigt sich mit nur wenigen, unregelmäßigen kleinen Fensteröffnungen, während das verglaste Erdgeschoss die Besucher offen empfangen soll.

Eine zusätzlich zu bewältigende Aufgabe bestand nämlich darin, die auf dem Grundstück entdeckten Grundmauern des Refektoriums des Domherrenklosters aus dem 12. Jahrhundert in das Gebäude zu integrieren und auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die his­torischen Mauern lagen allerdings 2,50 m unterhalb des Platzniveaus, über den das Gemeindezentrum erschlossen wird. Betritt man also das Gebäude über das kleine Eingangsfoyer, gelangt der Besucher über eine Stahltreppe auf die -1-Ebene der Mauerreste. Oben auf der 0-Ebene ist ein etwa 40 m² großer Raum für unterschiedliche Nutzungen vorgesehen. In erster Linie dient dieser als Essraum für die Priester der Kirche, die nun während der Mahlzeit auf die Mauern des historischen Essraumes schauen. Der Raum kann auch für andere Aktivitäten, wie Chorproben oder Unterricht genutzt werden. Rechts neben dem Eingang besteht die Verbindung über eine Schleuse mit dem mittelalterlichen Prozessionsgang. Zudem führen eine halbgewendelte Treppe sowie ein Aufzug in die oberen Geschosse, wobei die Treppe sich ab dem 1. OG als geradläufige Figur fortsetzt.

Während das Erdgeschoss, wie beschrieben, umlaufend mit einer geschosshohen Verglasung umgeben ist, durch die relativ viel Licht in das Gebäude fällt, sind die Büroräume des ersten Obergeschosses nur durch sehr kleine Fensteröffnungen belichtet. „Wir wollten zum einen im Sinne der äußeren Form eine Art Ziegelpanzer über das Gebäude legen, in dem große Öffnungen gestört hätten“, erklärt Architekt Frandsen. „Zum anderen passte die Idee der kleinen Öffnungen auch in unser Innenraumkonzept, da die Räume vor allen Dingen Geborgenheit und Vertrauen ausstrahlen sollten, denn hierher kommen die Menschen auch, wenn sie in Sorge sind und eine beschützende Umgebung brauchen.“ Im 2. OG ist unter der hohen Dachschräge ein großer 100 Plätze fassender Gemeindesaal angeordnet, der auch gerne für nicht kirchliche Veranstaltungen wie Konzerte, Lesungen, Vorträge oder Filmvorführungen genutzt werden kann und soll, denn die Öffnung der Räume für die Bürger der Stadt Ribe ist von Seiten der Kirche ausgesprochen erwünscht!

Charmante Rauheit und Unschärfe

Auffällig sind in dem Projekt die gewollten Unebenheiten und Unschärfen, die dem Bau seine besondere Ausstrahlung verleihen. So haben die Cover-Ziegel der Außenhaut Maßtoleranzen von über 1 cm und auf den Sichtbetonoberflächen der Stützen zeichnen sich die groben Bretter der Schalung ab. Auch die kräftigen Eichenbohlen, die als senkrechte drehbare Lamellen vor den Fenstern des Erdgeschosses angebracht sind, wirken natürlich. „Die Lamellen erfüllen übrigens gleich mehrere Aufgaben gleichzeitig“, so Frandsen. „Sie dienen als Sonnenschutz und werfen dabei einen Schatten auf die Verglasung. Dadurch spiegelt diese nicht mehr und das Glas wird transparent. Außerdem steht der Betrachter zwischen den Lamellen, wenn er einen Blick in das Gebäude wirft und wird so bereits in die Gebäudehülle einbezogen.“ Eichenbohlen gibt es auch in dem unteren Ausstellungsraum, allerdings nicht als Bodenbelag, sondern in Form einer abgehängten Lamellendecke. Am Dach findet sich ein weiteres ungewöhnliches Detail, das in dieses Projekt genau hineinpasst: eine von groben Stahlklammern eingefasste leicht unebene Ziegelverkleidung der Dachrinnen. Einen exakten Abschluss wollten die Architekten hingegen an den Ecken des Daches. Hierfür wählten sie Bleche aus Tombak, einer Messinglegierung mit hohem Kupferanteil, deren Oberfläche auch auf lange Sicht in seiner Farbigkeit an den Ziegel angepasst ist. Erstaunlich ist in diesem Kontext die Entscheidung der Architekten für Gipswände im Innenbereich. Ebenso wie das Stahlgerüst sind diese dem vorgegebenen engen Kostenrahmen geschuldet, den die Architekten unbedingt einzuhalten hatten. In der Farbwahl wiederum passen auch die Innenwände sehr gut in das Gesamtkonzept. Ein dunkles Rot sowie verschiedene Ockertöne lehnen sich einerseits an die Farbigkeit der Ziegel sowie andererseits an die Kalkbemalungen der Domkirche an und werden als unifarbene Flächen in moderner Weise umgesetzt.

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Baudaten

Objekt: Kannikegården
Standort: Torvet 13, Ribe/DK
Typologie: Versammlungsstätte
Bauherr und Nutzer: Ribe Gemeinderat
Architekt: Lundgaard & Tranberg Architects,
Kopenhagen/DK, www.ltarkitekter.dk
Bauzeit: September 2012 – Dezember 2015

Fachplaner

Ingenieur: Oesten Ingeniør-og Arkitekter ApS,
Aabenraa/DK, www.oia.dk
Landschaftsarchitekt: Schønherr A/S, Aarhus/DK,
www.schonherr.dk in Zusammenarbeit mit Lundgaard & Tranberg Architects

Projektdaten

Gesamtfläche innen: 1079 m², inklusive 270 m²
unbeheizte Fläche und 624 m² Gemeindezentrum
Baukosten: ca. 2,77 Mio. €

Hersteller

Dachziegel: Petersen Tegl A/S, www.de.petersen-tegl.dk
Holzboden: Hørning Parket A/S, www.horningfloor.dk
Beleuchtung: Møller + Rothe, www.mollerrothe.com
Dachfenster: Velux, www.velux.de

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