»Das modellhafte Betrachten von Wirklichkeit und Planung und das Übereinanderlegen von beiden wird in zehn Jahren Standard sein.«

Wilhelm Veenhuis ist geschäftsführender Gesellschafter der MWM Software & Beratung und Mitglied des Vorstands im Bundesverband Bausoftware BVBS. Dort leitet er den Arbeitskreis Datenaustausch/Baunebengewerbe/BIM. Wir haben ihn nach seiner Vision gefragt..

DBZ: Herr Veenhuis, die Standardisierung des Datenaustauschs ist ein erklärtes Ziel des BVBS. Wie gehen Sie das in Ihrem Arbeitskreis an?

Wilhelm Veenhuis: Der Datenaustausch nach GAEB (Gemeinsamer Ausschuss Elektronik im Bauwesen) für den Bereich Ausschreibung und Leistungsverzeichnisse hat in den vergangenen 30 Jahren eine ungeheure Qualitätssteigerung erfahren. Das kann ich mit gutem Gewissen auf die Arbeit unseres Verbands zurückführen. Im BVBS gibt es eine Liste von GAEB-Experten: Also wenn ich weiß, mit welchem Softwarehaus ich sprechen muss, weiß ich auch sofort, mit welchem Mitarbeiter, sodass ich Dinge unmittelbar klären kann. Das war früher wesentlich schwieriger. Das Zweite, das meiner Meinung nach für eine Qualitätssteigerung gesorgt hat, sind die Zertifizierungen für GAEB-Softwareprodukte, die wir durchführen. Dafür hat sich der BVBS stark gemacht. Inzwischen gibt es schon 140 Zertifizierungsvorgänge. Da die Messlatte für diese Zertifizierungen ziemlich hoch liegt, stellen die Zertifizierungen für die Softwarehäuser einen großen Qualitätsgewinn dar.

Müssen Ihre Mitglieder sich der Zertifizierung stellen oder ist das freiwillig?

Es ist eine freiwillige Zertifizierung, aber ich kenne ausschreibende Stellen, die diese Zertifizierung erwarten. Mittlerweile sind die Zertifizierungen befristet, also die Unternehmen müssen sich dem Zertifizierungsprozess in regelmäßigen Abständen erneut stellen. Wir haben bei MWM als relativ kleines Softwarehaus im BVBS allein sechs Zertifizierungen für unsere Produkte, bei anderen Unternehmen ist die Zahl zum Teil sehr viel größer.

Welche Problematik stellt sich beim Datenaustauschverfahren mit GAEB?

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den letzten Monaten irgendwo ein Problem mit dem Austausch von GAEB-Dateien hatte. Das hat sich sehr stark geändert und es gibt natürlich viele verschiedene Faktoren, warum das so ist. Für die Überprüfung von GAEB-Dateien stellt der GAEB einen sogenannten GAEB-Checker zur Verfügung. Das ist ein unabhängiges Softwaretool, mit dem man
GAEB-Dateien testen kann. Mit Ampelfarben wird dann angezeigt, ob alles in Ordnung ist: Bei Grün ist alles ok und Rot bedeutet Fehlermeldung. Das kann zum Beispiel eine doppelte Ordnungszahl sein, die im GAEB nicht erlaubt ist.

Aber im Grunde haben wir eine sehr hohe Stabilität im GAEB-Datenaustausch. In bestimmten Bereichen gibt es eine sehr hohe Zahl von GAEB-Dateien. Bei der Deutschen Bahn zum Beispiel wird inzwischen alles komplett digital ausgeführt, sowohl in der Ausschreibung wie auch in der Bauabrechnung. Und trotzdem gibt es in diesem Bereich eigentlich keine Störungen mehr. Da haben wir eine sehr hohe Robustheit erreicht.

Wie kann man sich die Arbeit in Ihrem Arbeitskreis vorstellen?

Im AK Datenaustausch sind in der Regel 30 Teilnehmer, das sind Geschäftsführer von Unternehmen, Mitarbeiter, die Bereiche leiten oder auch Softwareentwickler, das ist sehr unterschiedlich. Bei neuen Aufgabenstellungen setzt sich daraus eine Arbeitsgruppe zusammen, ca. fünf bis zehn Leute, und die stellen ihre Ergebnisse dem Gesamtgremium vor. Die Softwarehäuser übernehmen im Arbeitskreis quasi eine Partnerschaft für einen Bereich aus dem Bauwesen. Es gibt Softwarehäuser, die machen Software für Architekten, die ausschreiben, andere machen Software für Handwerker und wieder andere für Bauunternehmer. Diese Softwarehäuser übernehmen dann im Arbeitskreis die Position ihrer Klientel, deren Rollen ja auch im Bauprozess sehr unterschiedlich sind. Den sich daraus ergebenden Diskussionen muss man sich stellen, denn wir können hier nicht mit Kompromissen arbeiten. Wir müssen die Dinge ausdiskutieren und klären – wenn wir die Definitionen nicht scharf genug treffen, gibt es später im Datenaustausch Probleme. Das verlangt viel Respekt für die Aufgaben der anderen Softwarehäuser und deren Lösungen.

Womit beschäftigt sich der Arbeitskreis Daten-
austausch aktuell?

Das ist eine schöne Frage. Unser Arbeitskreis beschäftigt sich gerade intensiv mit GAEB 3.3 − dieses neue GAEB-Verfahren ermöglicht es, vom Leis­tungsverzeichnis eine Verbindung zu 3D-Modellen und zu BIM-Modellen herzustellen. Damit haben wir vor drei Jahren begonnen. GAEB 3.3 wurde zwar schon im Mai verabschiedet, allerdings wird es jetzt noch ein Update dazu geben. Durch diese Verknüpfung kann man im LV eine Position anwählen, zum Beispiel eine Säule, und mit der Visualisierung im 3D-Modell verknüpfen. Der Kalkulator hat damit auf einen Blick viele Informationen, die er sich vorher mühsam aus den 2D-Plänen herausarbeiten musste.

In den letzten Jahren sind 3D-Modelle durch BIM sehr stark im Kommen, Leistungsverzeichnisse dagegen werden schon seit 30 Jahren digital ausgetauscht. Das sind zwei verschiedene Normierungen. BIM ist mit dem IFC-Standard interna­tional, bei Ausschreibungen sind wir mit dem GAEB-Standard national unterwegs. Mit GAEB 3.3 haben wir jetzt die Möglichkeit geschaffen, beides zu verknüpfen. Damit haben wir auch den Bestand von GAEB für die nächsten 20 bis 30 Jahre gesichert.

Ein anderes aktuelles Beispiel ist die XRechnung, also die Digitalisierung im Rechnungswesen. Für die Projekte der Öffentlichen Hand dürfen ab November 2020 nur noch elektronische Rechnungen abgegeben werden. Wir haben aber jetzt festgestellt, dass man komplexe Leistungsverzeichnisse gar nicht in einer XRechnung abbilden kann. Damit setzen wir uns gerade auseinander. Die Lösung liegt eigentlich auf der Hand: Wir haben eine GAEB-Datei, die eine Rechnung abbildet, das ist eine XML-Datei, die komplexe LV-Strukturen abbilden kann. Jetzt hat die EU jedoch verabredet, dass man keine XML-Dateien integrieren kann. Also muss jetzt erreicht werden, dass das auf EU-Ebene doch zugelassen wird. Das deutet schon an, wie komplex das manchmal werden kann.

Ich gehe davon aus, dass wir auf der digitalBAU 2020 im Februar in Köln die ersten Anwendungen sehen, die GAEB 3.3 verarbeiten können. Und wir werden auch die ersten Anwendungen sehen, die XRechnungen verarbeiten.

Die Schnittstellenproblematik bei BIM-Modellen ist noch nicht so weit wie GAEB, ist das richtig?

Ja, wir haben mit GAEB ja inzwischen eine lange Tradition, da darf also bei BIM und IFC noch einiges passieren. Die Probleme, dass man von Auftragnehmer und Auftraggeber unterschiedliche Angaben bekommt, haben wir allerdings genauso. Ich kenne die Aussagen von Planern, die sagen, ich werde meine GAEB-Dateien nicht los, meine Handwerker wollen die gar nicht. Und die Handwerker sagen mir, mein Planer gibt mir keine GAEB-Dateien. Das ist eher ein Kommunikationsproblem. Der BVBS hat eine Umfrage gemacht im Bauwesen mit über 1 200 Beteiligten. Dabei kam heraus, dass 93 % im Bauwesen GAEB kennen und 89 % es auch einsetzen. Es gibt also eine sehr hohe Bereitschaft, mit GAEB-Dateien zu arbeiten.

Mit GAEB 3.3 wollen wir die Verbindung zum BIM-Modell schaffen. Der Arbeitskreis schafft dafür jetzt die Standards und dann muss der Markt die entsprechenden Produkte dazu liefern. Man kann Modell und LV heute schon verknüpfen, aber das ist proprietär, also softwarebezogen. Das, was wir entwickeln, ist ein offenes System: mit einer GAEB-Datei aus der Kalkulation A und einem Modell aus der Software B – beide halten die Norm ein und man kann die Verbindung aufbauen. Der große Vorteil ist die Systemunabhängigkeit. Mir ist sehr wichtig, dass alles, was der GAEB und auch wir hier im Arbeitskreis Datenaustausch erarbeiten, kostenlos und frei und offen zur Verfügung stehen, damit es ein offener Standard bleibt.

Wie machen Sie das technisch?

Laut GAEB ist das ein sogenannter Mengensplit: Es gibt eine Gesamtmenge und auf der anderen Seite ein bestimmtes Element mit einer Teilmenge. Diesem Element ist ein sogenanntes GUID (Globally Unique Identifier) zugeordnet; dieser Identifikator ist eine weltweit einmalige Nummer, die in dem 3D-Modell hinter dem Bauelement hinterlegt wird. Die GUIDs in der LV-Position und im 3D-Modell sorgen dafür, dass die Softwareprodukte beide miteinander verknüpfen können. Die GUID ist eine lebenslange Nummer, also wenn das Bauelement in 20 Jahren verändert werden soll, kann ich über diese Nummer mein LV wiederfinden und nachlesen, welche Betongüte zum Beispiel benutzt wurde. Wir sorgen im GAEB dafür, dass die GUIDs mit übertragen werden. Wenn beide, Modell und LV, schon fertig sind, gibt es eine Umsetztabelle dazwischen, in der die verschiedenen GUIDs miteinander verschmolzen werden. Diese Technik steht schon als DIN-Norm zur Verfügung. Eigentlich sind diese Dinge von der Basis her also technisch schon gelöst, sie müssen nur noch umgesetzt werden.

Wie sehen Sie die Zukunft des digitalen Wandels im Bauwesen?

Die Dynamik in der technischen Entwicklung im Bauwesen ist natürlich jetzt viel größer als noch im letzten Jahrhundert. Ich glaube allerdings nicht, dass sich die Struktur im Bauwesen verändern muss, denn unsere kleinteilige Struktur bedeutet ja nicht, dass wir nicht gleichzeitig auch enorm innovativ sein können. Im Augenblick etablieren sich viele neue Start-Ups, die auch Mitglied im BVBS werden; das gab es in den Jahren vorher nicht so stark. Ich war in der Jury vom BVBS, die von acht Start-Ups drei auswählen durfte, die auf der DigitalBAU in Köln kostenlos ausstellen dürfen, und dort habe ich begeisterte Menschen kennengelernt, die tolle, innovative Firmen hochziehen. Warum jetzt? Zwei Dinge verändern sich gerade: Es entstehen Softwarefirmen, die Portallösungen haben, deren Lösungen internetbasiert sind. Diese Portallösungen sind sehr produktiv und es entsteht Mehrwert. Das Zweite sind Softwarefirmen im Bereich VR und AR, da entstehen im Augenblick völlig faszinierende Lösungen, die total wichtig sind. Das gibt der Digitalisierung einen großen Schub.

Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, ich richte mein Smartphone auf die Kreuzung und sehe dann auf dem Display, wo die Leitungen unter der Straße verlaufen, weil beim Einbau der Leitungen Fotos davon in einem Portal hinterlegt worden sind, dann ist das sehr hilfreich. Da entstehen viele neue Werkzeuge, die sich miteinander verknüpfen lassen und über die Bedienung mit dem Smartphone für jeden Anwender möglich sind. Das werden wir im Bauwesen spüren.

Dynamisiert das Smartphone mit seinen Apps das Arbeiten mit neuen Werkzeugen?

Definitiv ja! Das Gerät hat ja jeder immer dabei. MWM arbeitet viel mit etwas größeren Tablets, die unter Windows laufen, aber die hat der Bauleiter nicht immer zur Hand − sein Smartphone aber schon. Ich glaube, da muss man nochmal umdenken, denn das Smartphone ist sehr wichtig für die neuen Tools. Ein Beispiel: Ich mache mit dem Smartphone Fotos von Fundamenten, spiele die in mein System ein, und das positioniert die Fotos automatisch an den richtigen Stellen, weil es zu jedem Foto die GPS-Position kennt. Da ist die Digitalisierung eine effektive Hilfe, die man vor allem auch als Zeitersparnis spüren wird.

Und haben Sie eine Vision? Wo sind wir in 10 Jahren?

Wir werden sowohl von planerischen Dingen 3D-Modelle haben wie auch von der Wirklichkeit. Im planerischen Bereich ist der große Vorteil, dass Entscheider, die nicht vom Bau sind, sich das Projekt und Detaillösungen besser vorstellen können als von einem 2D-Plan. Sie sehen, die Türen gehen nach innen auf, das lesen sie aus dem 2D-Plan nicht so leicht heraus. Das Abbild der Wirklichkeit kann ich mir via Smartphone oder mit anderen Techniken holen und beliebig transportieren. Ich stehe auf einer Baustelle, habe ein Problem mit einem Aufzugschacht, und ich schalte Fachleute, die sich irgendwo anders befinden, kurz ein: Wir diskutieren das gemeinsam und haben auch die Bilder und Pläne dazu. Das modellhafte Betrachten von Wirklichkeit und Planung und das Übereinanderlegen von beiden wird in zehn Jahren Standard sein. Da arbeiten wir dran und davon träumen wir auch.

Herr Veenhuis, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Wilhelm Veenhuis führte Inga Schaefer für die DBZ am 27. November 2019 per Telefon.

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