Absturzsicherung – Planung von Sicherheitsmaßnahmen auf dem Flachdach
Bei der Absturzsicherung wird die Gefahr von nicht durchsturzsicheren Teilbereichen der Flachdächer von Hochschulen und anderen öffentlichen Gebäuden häufig nicht beachtet. Der Beitrag stellt Sicherheitssysteme vor und benennt rechtliche Vorgaben für die Planung.
Medial immer wieder ein trauriges Thema und dennoch nach wie vor zu wenig in den Köpfen der Bau-Akteure verankert: der Schutz gegen Durchsturz. Während die Gefahr eines Sturzes von der Flachdachkante recht offensichtlich ist, wird die Gefahr, die von konstruktiv nicht durchsturzsicheren Dachteilflächen ausgeht, häufig übersehen. Dabei gilt es, eine Vielzahl an Fragen zu klären: Sind hier auch von planerischer Seite rechtliche Vorgaben zu beachten? Welche Lösungen schaffen Abhilfe und kann auch im Bestand schnell nachgerüstet werden? Wie beurteilt der Sicherheits- und Gesundheitskoordinator (SiGeKo) die Situation zum Thema „Durchsturzsicherheit“ und welche Konsequenzen sind seiner Meinung nach zielführend?
Planungsvorgabe Sicherungssysteme
Rechtlich untermauert wird die Notwendigkeit solcher Sicherungsmaßnahmen durch die Arbeitsstättenrichtlinie (ASR A2.1) sowie die 2017 aktualisierte DIN 4426:2017-01. Letztere formuliert entsprechende sicherheitstechnische Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege und versteht sich als Grundlage für eine auf dem Stand der Technik basierende Planungsvorgabe projektbezogener Sicherungssysteme für die Instandhaltung baulicher Anlagen sowie für die Ausschreibung und Ausführung von Bauleistungen.
Daraus resultiert gerade für Planer und Betreiber von Gewerbeimmobilien jeglicher Art eine besondere Verantwortung: Sie müssen eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen, Normen, Regeln, Richtlinien und Vorschriften berücksichtigen, um eine rechtssichere – und damit auch risiko- und gefahrenvermeidende – Planung und Nutzung von Gebäuden und Anlagen (wie RWA-Anlagen) zu gewährleisten. Hier gilt es frühzeitig zu analysieren, zu planen und zu organisieren, um insbesondere Personenschäden und eine daraus mögliche persönliche strafrechtliche Haftung zu vermeiden.
Ein latentes Unfallrisiko entsteht regelmäßig bei Arbeiten in der Höhe, beispielsweise bei Tätigkeiten auf Flachdächern. Hier fallen im laufenden Gebäudebetrieb Wartungs-, Instandhaltungs- oder auch Reparaturarbeiten an. Diese können im Bereich des Dachrandes, in dessen Nähe oder im Umfeld planmäßig nicht betretbarer Dachteilflächen beziehungsweise Dachbauteile liegen. Daher sind die dort erforderlichen Verkehrswege oder Arbeitsplätze besonders zu betrachten.
Ganz wichtig: Gerade bei öffentlichen Gebäuden wie Schulen oder Hochschulen bleibt immer auch zu bedenken, dass sich Unbefugte auf das Dach und damit in Gefahr begeben können! Bei der Planung und Umsetzung von dafür geeigneten Schutzmaßnahmen haben daher allgemein wirksame technische Schutzmaßnahmen – die permanent und kollektiv wirken – unbedingten Vorrang gegenüber persönlichen (wie etwa Absturzsicherung durch individuelle Sicherheitsgeschirre und andere personengebundene Vorrichtungen) oder organisatorischen Maßnahmen (wie etwa Baustellensicherungen). Eine rechtliche Orientierung hierfür bieten das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), die Baustellenverordnung (BauStellV) beziehungsweise die Unterlage für spätere Arbeiten, DIN 4426:2017–01, die ASR A2.1 (Technische Regeln für Arbeitsstätten) und die TRBS 2121 (Technische Regeln für Betriebssicherheit).
Absturzsicherung – für jedermann und zu jederzeit
Ziel der Absturzsicherung ist es, den Gefahrenbereich zum Beispiel durch permanent und kollektiv wirkende Umwehrungen, Überdeckungen oder möglichst hoch montierte Durchsturzsicherungen frühestmöglich zu schützen, sodass ein potentieller Absturz verhindert wird. Im Sinne einer Gefährdungsbeurteilung sind sogenannte Durch-sturzsicherungen, die an öffenbaren Produkten angebracht, appliziert oder integriert werden, kritisch zu hinterfragen. Diese bieten – je nach System – als Überdeckung zwar einen Durchtritt-, Durchsturz-, Hagel- oder Sonnenschutz, der jedoch nur bei starren oder geschlossenen Elementen wirksam wird. Sobald die Öffnung eine bestimmte Öffnungshöhe überschreitet, beispielsweise beim Lüften, bei der Wartung oder einer Reparatur, verlieren solche Konstruktionen in der Regel ihre Schutzwirkung komplett. Relevant ist dies u.a. bei der der aktuellen DIN 4426, welche die regelmäßigen Wartungen an RWA-Anlagen betrachtet. Um solche Arbeiten regelkonform abzusichern, ist eine rein äußerliche Durchsturzsicherheit nicht ausreichend; bzw. der Einsatz von Geländern kritisch zu hinterfragen.
Sichere Voraussetzungen schaffen
Diesen Anforderungen an die Arbeitssicherheit hat die JET-Gruppe Rechnung getragen und ihr Sortiment rund um Sicherheitsprodukte für Lichtbänder und Lichtkuppeln an die Änderungen rechtlicher Forderungen angepasst. Auf der BAU 2019 in München wurde mit dem System JET-LK-DDN ein permanent und kollektiv wirkendes, filigranes Stahl-Sicherheitsnetz vorgestellt. Im oberen Bereich des Lichtkuppelaufsetzkranzes befestigt, erfüllt es die Anforderungen an eine Absturzsicherung der Rangfolge 1 gem. ASR A2.1 durchgängig. Damit können auch mögliche Öffnungsbereiche, wie beispielsweise RWA-Kuppeln, gegen Absturz gesichert werden.
Das Sicherungsnetz wird auf Höhe der Absturzkante, innenliegend im oberen Bereich des Aufsetzkranzes, angebracht. Damit bietet es auch bei geöffnetem Tageslichtelement einen permanent und kollektiv wirkenden Schutz gegen Durchsturz und erfüllt die höchste Schutzklasse gemäß ASR A2.1. – die Absturzsicherung. Die Installation beinhaltet die innovative Kombination einer energieabsorbierenden Befestigungskonsole und eines objektiven Prüfverfahrens. Dieses Prüfverfahren ermöglicht im Falle der Nachrüstung eine objektive Beurteilung der Tragfähigkeit der Unterkonstruktion, also des bestehenden Lichtkuppel-Aufsetzkranzes. Denn um die Sicherheit beim Einbau in die unterschiedlichsten Aufsetzkränze zu gewährleisten, muss zunächst die Tragfähigkeit des jeweiligen Kranzes geprüft werden.
Expertenmeinung zum Thema Durchsturzsicherheit
SiGeKo Dipl.-Ing. (TU) Holger Kruse – Institut für Baustellensicherheit (Lippstadt)
„Durchsturz – diese Form eines Absturzes in einen tieferliegenden Bereich erfolgt zumeist durch eine Öffnung, die dort nicht zufällig, sondern beispielsweise am Dach wissentlich für eine Belichtungs- oder RWA-Anlage geplant worden ist. Zur Durchsturzvermeidung müssen schon in der Planung, gleich ob für Neubau, Umbau oder Bauen im Bestand, geeignete sicherheitstechnische Maßnahmen vorgesehen und später fachgerecht eingebaut werden. Die Qualität der Planung ist daher von besonderer Bedeutung. Im Bestand älterer Gebäude wird dies mit der regelmäßig zu überprüfenden Gefährdungsbeurteilung vorgenommen. Ergibt diese eine Durchsturzgefahr, muss der Arbeitsschutz durch Nachrüstung von Durchsturzsicherungen angepasst werden – denn einen „Bestandsschutz“ kennt das Arbeitsschutzrecht nicht, nur sichere Arbeitsplätze. Leider sieht die Praxis noch anders aus. Es wird Zeit für einen Kurswechsel, um sicher oben zu bleiben.“
Ein aktuelles Beispiel aus Nordrhein-Westfalen
Sachverhalt:
Am 14. November 2011 stürzte ein 46-jähriger Dachdecker bei Reparaturarbeiten auf dem Dach der Dreisbachhalle bei Netphen (Kreis Siegen-Wittgenstein) durch eine defekte Lichtkuppel. Der Mann verletzte sich schwer und kann sich heute nur auf Krücken und im Rollstuhl fortbewegen.
Rechtsprechung:
Im Frühherbst 2018 fiel nun schließlich das Urteil vor dem zuständigen Oberlandesgericht in Hamm. Auch hier sahen die Richter eine erhebliche Mitschuld der Stadt als erwiesen an: So sei der fachkundige Kläger zwar verpflichtet gewesen, die Baustellensicherheit zu gewährleisten. Er falle aber dennoch in den persönlichen Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht. Neben 55 000 Euro, die die Stadt Netphen dem Dachdecker als Schmerzensgeld und Schadenersatz zahlen muss, fällt, laut Urteil, zudem die Zahlung eines monatlichen Verdienstausfalles von 2 300 Euro an.
Quellen: Pressemitteilungen des OLG Hamm v. 19.04. und 07.09.2018 https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/handwerker-prozess-urteil-hamm-100.html
Rangfolge der Schutzmaßnahmen gegen Absturz
Die ASR A2.1 (Technische Regeln für Arbeitsstätten) definiert eine genaue Rangfolge der Schutzmaßnahmen gegen Absturz. Absteigend nach Wirksamkeit ergeben sich:
- die Absturzsicherung,
- die Auffangeinrichtung und
- die persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA).
Die anzustrebende und laut ASR und ArbSchG – sofern möglich – stets zu verwendende Schutzmaßnahme ist die Absturzsicherung. Hierbei handelt es sich um eine „zwangsläufig wirksame Einrichtung, die einen Absturz auch ohne bewusstes Mitwirken der Beschäftigten verhindert“ (ASR A2.1 Pkt. 3.5).
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Weitere Informationen: www.kongress-absturzsicherheit.de