Hans Scharoun in Marl

Die ehemalige Volksschule in Marl konnte nach Jahren der Sanierung wieder eröffnet werden. Ein Erfolgsprojekt

Als die damals noch Volksschule genannte Grund- und Hauptschule in Marl 1971 an der Westfalenstraße feierlich eröffnet wurde, blieb ihr Architekt der Veranstaltung fern. Angeblich riefen ihn wichtigere Dinge als eine Schulübergabe auf eine Baustelle. Wohl in Berlin.

In Lünen hatte Hans Scharoun schon Jahre zuvor eine erste Schule realisiert und war dafür auch bei den Kollegen angefeindet worden. In Marl, wo Scharoun sein baupädagogische Konzept, seine Vision von einer besseren Architektur in Reinstform hat abliefern können, befürchtete er vielleicht noch stärkeren Gegenwind von Seiten der Fachkritik.

Aber im Gegenteil war die Schule damals und Jahre noch ein sehr angenommener Ort im damaligen Neubaugebiet Marl-Drewer, bis sie, wie so viele andere Schul- oder Bürobauten aus diesen Jahren unter der Last der Baumängel und der fehlenden intensiven Pflege zu schwächeln begann. Es wurde repariert und saniert. Was nichts anderes hieß, als die Löcher im Dach zu flicken und noch einmal Farbe (die falsche) auf die Holzrahmen der Fenster zu streichen.

Irgendwann war dann Schluss, die Stadt Marl beauftragte das Architekturbüro Pfeiffer Ellermann Preckel (Münster) mit einem Gutachten zur Ermittlung der Kosten für eine denkmalgerechte Sanierung des Schulgebäudes. In dieser Phase – die der Projektarchitekt in einem Interview, das wir in der Oktober-Ausgabe der DBZ abdrucken werden, mit dem Wort „Grauen“ umschrieb und hier das Bild vom Zustand der Schule meinte – in dieser Phase wurden Überlegungen laut, den seit 2004 unter Denkmalschutz stehenden Bau als Altersheim zu nutzen oder, wenn gar nichts mehr ginge, ihn abzureißen, Denkmalschutz hin oder her. Marl hatte und hat bis heute nicht das Geld, sich den Luxus eines Denkmals zu leisten, und werde diesem auch noch so große Einmaligkeit zugesprochen.

Die Pläne waren bald vom Tisch, das Gutachten wie auch viele Veranstaltungen von Architektenverbänden im Haus zeigten deutlich, dass es keine wirtschaftlichere Lösung für den Bestand gab, als ihn als Schule zu erhalten.

Und das ist ein Glück für die Stadt, für die Architekturgeschichte und ganz gewiss – und das wird in solchen Zusammenhängen oft unterschlagen, für die Schüler und ihre Lehrer. Ein Besuch in Marl, der für das Interview mit Christoph Ellermann geplant war, war ein Gewinn. Für den Redakteur, der sicherlich schon viele Schulen gesehen hat. Neue und alte. Scharouns organischer Entwurf, der konsequent auf die Bedürfnisse der Schüler ausgerichtet war und das Architektonische hintan stellt, macht jemanden, der in einem funktionalen Neubau (Grundschule) und später in einem Altbau (Gymnasium) mit langen dunklen Fluren und kasernenartig organisierten Räumen und kalten Außenflächen seine Lehrjahre zubrachte, fast wehmütig. Hier lernen zu können muss das Lernen schon durch sich selbst fördern: sehr viel Tageslicht, Toiletten für Jungen und Mädchen zu jedem der 18 Klassenräume (Scharoun nannte sie „Klassenwohnungen“), Garderobe mit Waschbecken, Konchen am Klassenraum für konzentriertes Arbeiten oder Entspannung, direkter Zugang zu einer geschützten Terrasse mit umlaufender Sitzbank, vor den Klassen große Erschließungsräume für Spielen, Toben, Austauschen oder Gruppenarbeit.

Die leichten Niveauversprünge, die zahlreiche Treppen generieren, das Fehlen des rechten Winkels sowohl in den Binnenräumen aber auch im Erschließungssystem, alles das macht die in der Fläche riesige Schule zu einem recht intimen Ort des Lernens.

Den Architekten muss das Lob ausgesprochen werden, dass sie nicht der Versuchung erlegen waren, hier eigenes zum Ausdruck zu bringen. Was, wie Christoph Ellermann im Gespräch klarstellte, nicht weniger Kreativität erfordert, als jedes neue Bauen. Be. K.

 

Am 19. August 2015 wurde die Scharounschule für Grund- und Musikschule wiedereröffnet.


Pfeiffer Ellermann Preckel, Münster


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