Ganz schön industriell

Die DBZ hat Neubau und Erweiterung des Folkwang Museums in Essen vorab besichtigt

Der Name „Folkwang“ hat noch immer einen guten Klang, Schule und Museum standen einmal für die heute klassische Avantgarde. Doch das Museum in Essen konnte sich, trotz international renommierter Sammlungsstücke, in den letzten Jahren, vielleicht auch Jahrzehnten nicht so recht in Szene setzen, die Besucherzahlen stagnierten, waren rückläufig. Ein Trend, den Folkwang und andere große Museen in Deutschland allein durch die großen monografischen Ausstellungen korrigieren konnten, Publikumslieblinge wie Caspar David Friedrich oder Klosterschätze aus tibetischen Klöstern lockten in der Ruhrmetropole Hunderttausende. Dass der Schwund des Interesses vielleicht den Ausstellungsräumen und den durch sie verschuldeten harmlosen Ausstellungskonzepten geschuldet war, beweist vielleicht der Erfolg eben dieser großartigen Sammlung, die sie in den beiden Jahren der Umbau- und Neubauzeit erfuhr: Die Ausstellung erster Arbeiten von Delacroix, Courbet, Manet, Renoir, Monet, Cézanne, van Gogh, Gauguin, Matisse, Munch, Marc, Kandinsky, Nolde, Kirchner oder Magritte lockte immerhin 300000 Besucher, allerdings in die Kruppsche Villa nahebei.
 
Das sei alles andere, aber kein Wunder, so der Architekt des Neubaus David Chipperfield anlässlich einer Presseführung, denn insbesondere der Erweiterungsbau des Folkwang Musuems von 1983 (Architekten: Kiemle, Kreidt und Partner, Allerkamp, Niehaus, Skonia) wäre, gelinde gesagt, eine kleine Katastrophe! Dem Altbau der Sechziger Jahre (Architeken: Horst Loy und Werner Kreutzberger) angefügt, wäre er unübersichtlich gewesen in der Weise, dass man die dort ausgestellte Kunst als solche kaum hätte wahrnehmen können. Kollegenschelte? Offenbar berechtigt, den der Abriss, der für den Neubau nötig war, verlief reibungs-, also in jeder Hinsicht widerstandslos. Und schnell musste das Ganze ohnehin laufen, 2010 startet das internationale Präsentationsjahr der Ruhrmetropolen unter dem Titel RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas. Mehr internationales Marketing geht nicht, wer das verpasste, dem käme länger nicht mehr solches über den Weg gelaufen.
 
Anfang 2007 gewannen Chipperfield Architects den renommierten Wettbewerb mit Zuladung und vorgeschaltetem Auswahlverfahren, in weniger als zwei Jahren konnte der Neubau realisiert werden; mit Firmen aus der Region, wie Museumschef Hartwig Fischer nicht ohne Stolz anmerkte. Die vielleicht wesentlichste Unterstützung kam ebenfalls aus der Region: Nachdem seit Jahren Erweiterungs- und Umbaupläne öffentlich kursierten, sprach schließlich die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, in persona deren Kuratoriumsvorsitzender Prof. Dr. h.c. mult. Berthold Beitz, ein gern gehörtes Machtwort: 55 Millionen Euro wolle sie aus dem Stiftungsfond geben, dafür solle man endlich etwas bauen. Und: Der Name Krupp wird nicht über dem Eingang, nicht auf den Servietten des Restaurants, vielleicht gar nirgendwo auftauchen.
 
Vier zentrale Entwurfsparameter bestimmen den Neubau, der dem gerade restaurierten und unter Denkmalschutz stehenden Altbau 3600 m²  Ausstellungsfläche hinzufügt, diese also mehr als verdoppelt: Die Ausstellung befindet sich auf nur einer Ebene – darüber Verwaltung; Neuorientierung des Eingangs zur Bismarkstraße; White Cube mit Tages(ober)licht; Transparenz. Die Konzentration auf eine Ebene, die mit dem Obergeschoss des Altbaus jetzt auf einer Höhe liegt, erzwang einen das gewölbte Bodenniveau ausgleichenden Sockel (darin u. a. Depots und die von der Stadt finanzierte Tiefgarage mit 136 Stellplätzen). Der Sockel hinter fast weißem Betonstein ermöglicht große Freitreppen beispielsweise zum Eingangshof, der – mit seinen frisch gepflanzten Bäumen noch sehr karg – zwischen Stadt und Musentempel vermitteln soll. Die Konzentration auf eine Ebene ermöglichte auch die Transparenz des Baues, dessen einfaches Grundraster aus Ausstellungsvolumen, Ausstellungsgängen und Binnenhöfen weite Blicke ermöglicht, teils komplett durch Neu- und Altbau hindurch. Die glaswandgefassten Höfe mit Rasenteppichen in kräftigem Grün und unsicher dastehenden Bäumen bringen Tageslicht in die anliegenden Ausstellungsräume. Solches Licht von der Seite mischt sich mit dem Oberlicht der Räume, verändert es bei zunehmender Tiefe, nimmt ihm das über horizontal aufgespannte Lichtmembranen erzeugte Einheitliche, Richtungslose. Und je weiter man sich in das Innere der großen Ausstellungseinheiten bewegt, umso weniger Seitenlicht gefährdet die präsentierten Arbeiten. In diesen Räumen, die beispielsweise für das Plakatmuseum oder die Fotographische Sammlung bereitstehen, ist konservatorisch zwingend Dämmerung befohlen; der man um zwei Ecken biegend entkommen kann; und auf die kleine Autobahn draußen schaut.
 
Große Glasfenster durchbrechen immer wieder die Außenhaut des Neubaus, hier soll, insbesondere auf der Nordwestseite, Kunst in den Straßenraum hineinwirken. Transparenz also, die ansonsten auf der Fassade nur angedeutet wird, die großen Glasplatten aus verschmolzenem Grünglasbruch schützen als sekundäre Fassadenschicht die Betonkonstruktion dahinter. Lediglich die Fluchttreppenhäuser werden hinter der Glasschicht verborgen; wie hier das Tageslicht in den Raum dringt, war leider (oder soll man sagen: glücklicherweise?) nicht möglich, wirkliche Gründe zur Evakuierung lagen nicht vor.
 
Der Boden im Museumsneubau ist durchgehend geschliffener Beton mit Terrazzo-Anmutung. Da teils tonnenschwere Kunst mit Transportern zu bewegen ist, muss der Boden belastbar sein. Insbesondere in dem knapp 1400 m² großen Ausstellungssaal für Wechselausstellungen, der zur Presseschau noch völlig offen war, für alles mögliche jedoch in alles mögliche unterteilt werden kann, wirkt der Boden industriell.
 
Insgesamt gesehen macht der Neubau aus dem Hause Chipperfield einen angenehm nüchternen, eben industriellen Eindruck (es liegt aber nicht an den Krupp-Geldern). Lange Achsen, große Bewegungsflächen, Tageslicht über Sheddächer, keine intimen Räume, beste Orientierung in und zwischen den einzelnen Abteilungen, keine gebogene Decke, keine gekrümmte Wand, kaum Funktionsdurchmischungen. White Cube in Perfektion, das Rasengrün wird die müden Augen zwischendrin erfrischen, die Betreiber sollten allerdings noch mehr Ruhebänke aufstellen. Und wer möchte, kann sich der Ansicht des Hausherren Hartwig Fischer anschließen: Ihm ist der Blick über den Eingangshof hinaus auf die hinter der vielbefahrenen Bismarkstraße liegende, frisch sanierte Gründerhausbebauung ein südländisches Bild; „do you think the same, David?“ Chipperfield (kurzes Zögern, dann): „No“. So denkt sich jeder seine Welt, der eine muss sie noch aushalten, den anderen zieht es zu neuen Aufgaben. Be. K.

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