Im Gespräch mit … Angelika Fitz und Elke Krasny, Az W, Wien/AT

Über Haltung in der Architektur sprechen

Alternatives Bauen massenhaft zur Anwendung zu bringen, das ist der Ansatz der pakistanischen Architektin Yasmeen Lari. Das hat etwas von „die Welt retten“, und so verwundert es auch nicht, dass die hier den meisten wohl unbekannte Architektin in der vielrezipierten Ausstellung „Critical Care. Architektur für einen Planeten in der Krise“ im Architekturzentrum Wien bereits eine Rolle gespielt hat. Nun also – natürlich im Az W – eine Art Fortsetzung, Fokussierung … Wir sprachen mit der Direktorin, Angelika Fitz, und der Mitkuratorin, Elke Krasny, über Yasmeen Lari und ihre Mission, die auch die unsere sein könnte („Yasmeen Lari. Architektur für die Zukunft“, im Az W ab 9. März 2023)

Interview: Benedikt Kraft / DBZ

... Elke Krasny (l.), Angelika Fitz
Foto: Katharina Gossow

... Elke Krasny (l.), Angelika Fitz
Foto: Katharina Gossow


Yasmeen Lari war mir bis zu eurer Ausstellung im AZW unbekannt. Bin ich da alleine?

Angelika Fitz (AF): Da bist du sicherlich nicht alleine, was viel über unsere Architekturwelt aussagt, die europäische, deutschsprachige. Tatsächlich ist Yasmeen Lari in Pakistan eine Star-Architektin. Als der mittlerweile interna­tional sehr renommierte Aga Khan Award in den 1980er-Jahren ins Leben gerufen wurde, war sie mit dabei. Sie arbeitet international vernetzt, hat zur Zeit eine Gastprofessur in Cambridge. Warum viele sie hier in Westeuropa nicht kennen, liegt auch an unserer Geschichte, die immer noch die Sicht auf die Welt beeinflusst und von Kolonialismus und strukturellem Rassismus geprägt ist. Wobei Lari in den letzten Jahren einige Preise erhalten hat, so 2020 den vom RIBA verliehenen Jane Drew Preis.

Wie seid ihr nun, wie ist das Team des Az W auf Yasmeen Lari gestoßen?

AF: Wir hatten die Architektin 2019 als eine von 21 Positionen bei unserer Ausstellung „Critical Care“ dabei …

Elke Krasny (EK): Ein Beispiel aus der Arbeit von Yasmeen Lari war eine von den 21 ausgestellten Positionen, die zeigen, dass Architektur eine Praxis des Sorgetragens ist. Und auf Lari bezogen hat ihre Arbeitsweise vor allem bei jüngeren Kolleg:innen und Studierenden eine große Neugierde geweckt.

Weil die Architektin einen Nerv getroffen hat?

EK: Ganz sicher. Viele Menschen in der jüngeren Generation leisten Beiträge, gegen die Klima­katastrophe und für eine andere Zukunft zu arbeiten. In der Architekturlehre sind andere Vorbilder gefragt als die Heroen der Moderne. Und da denke ich, dass unbekannt zu sein nicht unbedingt ein Nachteil sein muss oder etwas Negatives. Überhaupt nehme ich bei der jüngeren Generation wahr, dass es eine große Bereitschaft gibt, sich auch mit Positionen auseinanderzusetzen, die neu und also auch noch nicht so bekannt sind. Und wir wollten – ausgehend vom Auftakt mit der Critital Care-Ausstellung – mehr wissen, wir wollten mehr als diese eine beispielhafte Arbeit, die wir damals im Az W ausgestellt haben.

AF: Wir waren schon im Vorfeld von Critical Care mit Yasmeen Lari persönlich in Kontakt. Wir hatten sie nach Wien eingeladen zu einem Vortrag im Rahmen eines Symposiums. Das heißt, wir waren über Jahre mit ihr in einem sehr intensiven inhaltlichen Austausch, und mit Marvi Mazhar ist 2022 noch eine ehemalige Mitarbeiterin, die jetzt selbst Architektin und Aktivistin ist, ins kuratorische Team gekommen.

Könnt ihr Yasmeen Lari für uns, die wir sie nicht kennen, beschreiben? Gab es Offenbarungen, Überraschungen?

EK: Wir haben diese Energie und diesen Willen zur Transformation bewundert. Auch diese unglaubliche Belesenheit! In ihr habe ich definitiv ein Vorbild gefunden.

AF: Faszinierend ist ihre universelle Bildung, ihr Wissen. Sie ist wie viele ihrer Generation aus Südasien in UK ausgebildet worden, hat an der Oxford School of Architecture studiert. Und zusätzlich zu diesem „westlichen Wissen“ hat sie sich nach ihrer Rückkehr nach Pakistan umfangreiches Wissen über lokale historische Bautraditionen erarbeitet, Zusammenhänge, die an der Universität nicht gelehrt wurden. Das ist extrem beeindruckend.

EK: Dazu kommt ihre Vielsprachigkeit. Sie spricht unter anderem Urdu, Farsi, Arabisch, Englisch. Das ist im europäischen Zusammenhang, der oft mono- oder bilingual ist, bewunderungswürdig.

Zurück zur Ausstellung, könnt ihr kurz beschreiben, wie diese in die Ausstellungsreihen der letzten Jahre passt? Gibt es einen Link, einen roten Faden?

AF: Ganz eindeutig. Wir beschäftigen uns im Az W mit den gesellschaftlichen Dimensionen von ­Architektur. Durchaus auch in einem planetarischen Sinn, also über die menschliche Gesellschaft ­hinaus. Wir fragen, wie wir es schaffen können, dass dieser Planet bewohnbar bleibt. Was ganz viel mit Planen und Bauen zu tun hat. Als Museum interessiert uns zu zeigen, was Architektur und Planung mit unser aller Leben macht. Architektur geht uns alle an, nicht nur Expert:innen! Mich hatte vor Jahren einmal jemand auf einer Pressekonferenz gefragt, ob denn ein Architekturmuseum nicht vor allem für Architekt:innen zuständig sei? Seltsame Frage, hatte ich gedacht. Niemand würde doch bei einem Kunstmuseum fragen, ob das nur für Künstler:innen ist.

Ein weiterer Hintergrund zur Yasmeen Lari Ausstellung ist, dass ich im Az W vor fünf Jahren eine Reihe mit Einzelausstellungen zu Architektinnen gestartet habe. Aber sehr bewusst keine „Frauen bauen“-Ausstellung. Denn dann wäre man danach schnell wieder beim gewohnten Kanon mit seinen Meistern. Und unsere Solo-Ausstellungen experimentieren mit neuen Formaten, sie tendieren zu Themenausstellungen. Wenn wir Persönlichkeiten herausheben, dann nicht – wie häufig in der Vergangenheit – um neue Meister:innen in die Architekturgeschichte einzuschreiben, sondern um zu zeigen, was an ihrer Arbeit besonders und für den Diskurs relevant ist. Jetzt nehmen wir das Werk Yasmeen Laris als Beispiel, um über Haltung innerhalb der Architektur zu sprechen und – der Untertitel heißt ja „Architektur für die Zukunft“ – wie sich das Verhältnis von Architektur zur Zukunft verändert hat in den Jahrzehnten.

EK: Die Frage des Verhältnisses der Architektur zur Zukunft ist das, was aus dieser monografischen Ausstellung auch eine Themenausstellung gemacht hat. Weil das Bauen immer etwas mit Zukunft zu tun hat. Denn was wir bauen, ist ja nicht nur heute da. Und – wie wir heute wissen – bestimmt das Gebaute, bestimmen damit Architektur, Bauindustrie und Bauwirtschaft, welche Art von Zukunft wir hinsichtlich Klima und Umwelt haben können. Dass Yasmeen Lari – analytisch betrachtet – hier eine prototypische Entwicklung durchlaufen hat, die von der ersten Euphorie über das spätere Star-Architektinnen-Dasein zu einer Infragestellung des ganzen Systems und einem brüchig gewordenden Verhältnis zur Zukunft reicht, ist über das rein Biografische hinaus hochinteressant. Für Lari endete dieser Prozess der Bewusstwerdung in der Erkenntnis, dass Zukunft unmöglich so kontinuierlich weitergehen wird wie bisher. Und dieser Erkenntnis ist die Hinwendung zu einer Architektur für die 99 % der Menschheit gefolgt, wie sie das auch selbst beschreibt. Wir würden nie behaupten, dass dieser Weg einfach ist, aber dennoch erkennen wir über alle Zwänge hinaus so etwas wie eine architektonische Handlungsfähigkeit. Und das kann man am Beispiel von Yasmeen Lari sehr gut zeigen.

Warum müssen wir immer in die Ferne schauen? Gibt es eine Yasmeen Lari auch in Europa?

AF: Da sind wir jetzt an einem wichtigen Punkt. Wir hatten bei „Critical Care“ 21 globale Positionen, darunter auch einige aus Europa. Und auch da ging es nicht um bestimmte Materialien oder Konstruktionstechniken, es ging um Haltungen, konkret um das Sorgetragen. Und das realisiert sich immer in regionalen Kontexten. Wenn Lacaton Vassal, die auch bei „Critical Care“ dabei waren, in Bordeaux Betonfertigteile verwenden, dann bauen sie nicht mit Lehm. Aber sie tragen Sorge, dass ein Bestand in eine gute Zukunft geführt wird.

Kein Material bietet eine universelle Lösung. Was regional übergreifend Thema ist, dass wir zuerst auf den Bestand schauen sollten, mit dem, was da ist umgehen. Das sieht auch Yasmeen Lari so, die in Pakistan ein Gesetz initiiert hat, dass nicht nur große Denkmale oder Paläste unter Denkmalschutz gestellt werden, sondern auch Bauten der Alltagsarchitektur. Wie wir den Bestand in die Zukunft bringen, ist eine ökologische Frage, aber auch eine kulturelle, eine identitätspolitische. Care, Sorgetragen bedeutet, möglichst nichts zu zerstören, wenn wir neue räumliche Strukturen schaffen.

EK: Ich weiß nicht, ob du die Plakate hinter uns hängen sehen kannst?

Kann ich.

EK: Das hier verweist auf eine Ausstellung, die das Az W zu „Boden für Alle“ gemacht hat. Dass dieses Thema unmittelbar über Angelikas Schreibtisch hängt, neben dem Plakat „Yasmeen Lari. Architektur für die Zukunft“, finde ich wunderbar.

Als ständige Mahnung?

AF: Als Erinnerung daran, dass wir gleichzeitig sehr lokal und sehr international arbeiten; trotz der so viele Dinge umfassenden Größe des Themas Boden. Wir haben gerade mit dieser Ausstellung gelernt, dass wir sehr viel bewirken können. Die Ausstellung hat jetzt ihre 25. Station in Österreich, also nicht nur in den Landeshauptstädten, auch in kleineren Gemeinden. Sie wird zum Teil von Bürgermeister:innen, zum Teil von NGOs angefordert. Ein Bürgermeister hat mir letztes Jahr gesagt, er möchte die Ausstellung in einer kleinen steirischen Gemeinde haben. Weil er seiner Bevölkerung erklären muss, dass sie einen Entwicklungsstopp brauchen. Das heißt, wir sind auch lokalpolitisch unterwegs, eigentlich schwer vorstellbar bei einem Museum dieser Größe.

EK: Ich hole jetzt doch mal auch das Internationale in den Blick. Zum Beispiel bei Umweltkatastrophen, auf die ad hoc international reagiert wird mit baulichen Notfallmaßnahmen, meist aus einer noch immer nicht kritisch hinterfragten globalisierten Helfer:innen-Perspektive. Da sind neo­koloniale Strukturen am Werk: Menschen, die helfend aus dem globalen Norden kommen und mit ganz bestimmten Vorstellungen operieren. Also Vorstellungen über Geschlechterordnungen, Vorstellungen über Baumaterialien, Vorstellungen, wie am besten Hilfe geleistet wird. Und genau dagegen arbeitet Yasmeen Lari an. Gegen Architektur als globales/globalisiertes System. Die Architektin arbeitet mit lokalem Wissen, reagiert mit unterschiedlichsten Maßnahmen nach Erd­beben, Hochwasser oder kriegerischen Auseinandersetzungen. Nicht sofort und reflexartig die Container, die Betonmodulbauten.

Deine Frage vorhin, warum wir in die Ferne schauen müssen, möchte ich so beantworten: dass wir spezifisch von der Arbeit ausgehend begreifen, lernen müssen. Nicht, dass Yasmeen Lari die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen verweigert, sie möchte vielmehr andere Formen etablieren, unter anderem die einer heterarchischen Zusammenarbeit. Sie möchte Netzwerke, Konstellationen von Akteur:innen zwischen ­Gruppen herstellen, die mit unterschiedlichen ­Zu­gängen zu Macht ausgestattet sind. Das kann man systemisch auf andere Zusammenhänge übertragen.

Was könnte Yasmeen Lari von uns lernen?

EK: Das müssten wir jetzt eigentlich Yasmeen Lari fragen. Zentral ist das Anliegen, eine Generation von Architekt:innen zu fördern, die eine andere Haltung in die Architektur bringt und ein anderes Bauen möglich macht.

Wer finanziert die Ausstellung? Sponsoren aus der Bauindustrie wohl eher nicht?!

AF: Es gibt jetzt keine spezifischen Projektsponsoren. Die Ausstellung finanziert sich aus dem Etat des Museums, der sich zu zwei Dritteln aus öffentlichen Geldern zusammensetzt. Die anderen 30 % sind Drittmittel – Eintritte, Verkäufe und Koo­perationen. Aber natürlich auch Sponsoren, die sich in der Regel bei uns mehrere Jahre ans Haus binden. Und weil du es angedeutet hast: Uns ist wichtig, dass wir im Dialog mit der bauen­den Industrie sind. Vor allem mit denen, die sich für eine gute Architektur und für die Bewohnbarkeit des Planeten im weitesten Sinne stark machen.

Was wäre der größte Erfolg dieser eurer Arbeit? Viele Besucher:innnen? Lange Presseartikel? Ein Echo aus der Politik?

AF: Das Thema der Wirksamkeit von Ausstellungsarbeit ist eine interessante Frage in der Kulturvermittlung insgesamt. Es gibt nüchterne Zahlen, das Qualitative ist schwerer messbar. Was wir bei „Critical Care“ sagen können ist, dass die Begleitpublikation auch nach der Ausstellung und bis heute sehr intensiv an vielen internationalen Universitäten verwendet wird. Elke hat es anfangs schon gesagt, dass wir häufig Anfragen erhalten von und für Seminare, Studios etc. Hier scheint Wissen in Anwendung gebraucht zu sein. Ich denke, wenn wir das mit dieser Ausstellung und dem Katalog [bei MIT Press, Be. K.]wieder schaffen, wäre das wirklich wunderbar.

EK: Ich glaube nicht an den einen großen Erfolg. Was mich immer motiviert beim Ausstellungen- und Büchermachen, ist die Hoffnung auf langfris-tige Wirksamkeit. Eine Ausstellung ist immer ein zeitlich und räumlich begrenztes Medium. Aber ist eine Ausstellung gut gemacht, wirkt sie noch Jahrzehnte später, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Das ist es, was mich nach wie vor motiviert, Dinge in einem Raum zu versammeln, durch die wir uns bewegen können und von dort etwas mitnehmen. Mindestens ebenso wichtig ist es, ein Buch zu machen, sowohl gedruckt wie auch digital. Und das sich, wie Angelika schon betont hat, multipliziert über die Architekturausbildung. Wir brauchen also Bücher, die mehr als Coffee-Tables sind, die im Studium ihre Anwendung finden, wirklich eingesetzt werden in der Lehre. Wenn wir das schaffen, ist das einer der wesentlichen Bausteine für das, was du als Erfolg bezeichnet hast. Das Wissen soll nachhaltig disseminiert werden und Teil einer Wissensproduktion und einer ethischen Perspektive innerhalb von Architektur werden.

Und Neugierde. Ein leider sehr strapazierter Begriff, ein auch banales Wort, aber ich finde das überhaupt nicht banal. Also dass Menschen neugierig sind und dadurch Neues lernen im Gegenüber von gebauter Umwelt und zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich denke, das würde ich auch mit zu diesem Erfolg zählen.

Mit Angelika Fitz, Direktorin des Az W, und Prof. Dr. Elke Krasny, Kuratorin und Autorin, unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft via Zoom am
1. Februar 2023.

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