Sensoria, Haus der Düfte und Aromen, Holzminden
In der niedersächsischen Kleinstadt Holzminden, einem Zentrum der Duft- und Aromenindustrie, erhebt sich seit Herbst 2024 ein rostrotes Gebäude, das sich seiner Umgebung nicht unterordnet, sondern sie unterschwellig zitiert: „Sensoria“, ein interaktives Museum der Düfte und Aromen, beansprucht seine Rolle im Stadtraum durch eine moderne Fassade aus Cortenstahl-Schindeln, die ebenso skulptural wie schützend wirkt – und dabei doch eng mit der Baugeschichte des Weserberglands verwoben ist.
Schon von der Ferne hat das Museum Sensoria hat eine skulpurale Erscheinung
Foto: Werner Huthmacher
Holzminden liegt am beliebten Weser-Radweg und damit direkt an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Die Stadt nennt sich „Stadt der Düfte und Aromen“, da hier 1874 erstmals Vanillin synthetisch hergestellt wurde. Noch heute sitzt in Holzminden der börsennotierte Duft- und Aromenhersteller Symrise AG mit weltweit knapp 13 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Jahrzehntelang war das zentral gelegene Grundstück direkt an der Weserbrücke eine Baulücke, bevor 2019 das Berliner Architekturbüro Anderhalten Architekten die Ausschreibung zum Bau des Museums für sich entschied. Im Juli 2022 erfolgte der erste Spatenstich. Heute steht an dieser Stelle ein dreigeschossiger Bau mit polygonaler Grundform und rostroter Fassade, die sich mit rund 4 300 Metallschindeln aus Cortenstahl im Stadtraum präsentiert. Die Idee zur Gestaltung resultiert aus der Fragestellung, die sich bei einem Museum für flüchtige Exponate beinahe zwangsläufig stellt: „Wie verpackt man etwas, das man nicht sehen kann?“ – so beschreibt Architekt Claus Anderhalten den konzeptionellen Ausgangspunkt.
Während das OG und der Dachgarten die geschuppte Haut tragen, öffnet sich das EG mit seinen großen Fenstern bewusst zur Stadt hin
Foto: Werner Huthmacher
Die Antwort liegt in einer abstrahierten Reminiszenz an regionale Bautraditionen: Im Weserbergland finden sich bis heute Fassaden mit rautenförmig gefügten Sandsteinplatten – dünn geschnittene Formate, die als Referenz für die metallene Neuinterpretation dienten. Statt Naturstein entschieden sich die Berliner Architektinnen und Architekten bewusst für eine Transformation des Materials: Cortenstahl – spröde, patiniert, beinahe wehrhaft – ist ein auffälliger Kontrast zur sinnlichen Welt der Aromen. Die im Umlauf gebräuchlichen Assoziationen reichen demnach von Schuppentier über Ritterrüstung bis hin zu Schutzkleidung – ein Panzer für die fragilen Duftwelten im Innern.
Konstruktion und Materialität
Die Fassadenkonstruktion folgt dem Prinzip einer vorgehängten hinterlüfteten Fassade (VHF): Eine klassische Unterkonstruktion nimmt die einzelnen Schindeln auf, die sämtlich Sonderanfertigungen sind. Der handwerkliche Aufwand war entsprechend groß. Jede Schindel wurde einzeln von einer Metallbaufirma gekantet, die Verschraubungen verstecken sich unter überlappenden Rändern. In drei Grundgeometrien gefertigt, unterscheiden sich die 1,5 mm starken und 400 mm breiten Schindeln lediglich durch besagte Kantungen. Mit der dünnen Materialstärke tragen die Schindeln im Vergleich zu traditionellen Natursteinplatten zu einer deutlichen Reduktion des Fassadengewichts bei. So entstand eine Gebäudehülle, die trotz ihrer offensichtlichen Präsenz leicht wirkt.
Der dreigeschossige Bau wurde mit rund 4 300 Metallschindeln aus Cortenstahl verkleidet
Foto: Werner Huthmacher
Um einen reibungslosen Ablauf auf der Baustelle zu ermöglichen, hatten die Architektinnen und Architekten mit der ausführenden Metallbaufirma vorab ein Mock-up gebaut. Dieses Modell wurde in Edelstahl geplant, da das Rosten des Cortens vom Bauherrn zunächst skeptisch gesehen wurde. „Mit einer entsprechenden Oberflächenbehandlung wurde das aber zu teuer, so dass wir dann doch beim Cortenstahl landeten“, berichtet Claus Anderhalten.
Mit Cortenstahl plante das Büro zum ersten Mal, gleichwohl hatte man mit Metallfassaden schon Erfahrung, da Anderhalten Architekten auf dem Campus für Industriedesign der Burg Giebichenstein eine Fassade aus goldeloxierten Aluminiumtafeln entworfen hatten. Der Patinierungsprozess einer Cortenstahl-Fassade läuft jedoch naturgemäß ganz anders ab.
Die verschiedenen Geometrien der Schindeln und ihr Anbringen an der Fassade war herausfordernd – trotz vorheriger Berechnungen am Computer und parallelen Versuchen am Modell. Die ersten 250 Schindeln kamen prompt falsch gekantet auf die Baustelle, erinnert sich Anderhalten. Da die Unterkonstruktion jedoch schon angebracht war, musste das Verschrauben der Schindeln korrigiert werden. Durch eine leicht andere Überlappung bekam man das Problem vor Ort in den Griff.
Auf insgesamt 850 m2 Nutzfläche sind Dauer- und Wechselausstellungen untergebracht
Foto: Werner Huthmacher
Zwischen Funktion und Wirkung
Die Cortenhaut übernimmt mehr als eine bloße Schutzfunktion: 160 Schindeln sind hinterleuchtet, wodurch das Gebäude insbesondere nachts weit über die Weserbrücke hinweg strahlt und zum neuen touristischen Wahrzeichen der Stadt avanciert. Gleichzeitig ermöglichen die durchbrochenen Elemente vermeintliche visuelle Verbindungen zwischen Innen und Außen.
Besonderes Augenmerk galt der Oberflächenbehandlung. Die Schindeln wurden gestrahlt, vorbewittert und gewachst, um die initiale Rostentwicklung zu kontrollieren und dennoch die typische Patinierung des Materials zuzulassen. Cortenstahl lebt vom Wandel, vom sichtbaren Alterungsprozess – ein Effekt, den Bauherr und Architekt bewusst zuließen, trotz der bereits erkennbaren Spuren von Rostabtrag, der jedoch wie ein gewollter Schatten auf dem Pflaster rund um das Haus wirkt.
Das Fassadenkonzept basiert auf einer erkennbaren Zonierung: Während das Obergeschoss und der Dachgarten die geschuppte Haut tragen, öffnet sich das Erdgeschoss bewusst zur Stadt hin. Ein großflächiges „Schaufenster“ gewährt Touristen und Einheimischen Einblicke in das Foyer, wirbt für Ausstellungen und markiert so den Zugang zur Duftwelt im Innern. „Die Fassade ist damit zweigeteilt mit einem transparenten Sockel, auf dem das Schuppentier ruht“, so Anderhalten.
Die Besucher gehen über die barrierefreien Rampen mit einem Anstieg von 6 % durch das Gebäude
Foto: Werner Huthmacher
Barrierefreie Rampen im Innern
Der dreigeschossige Bau besteht aus einem Tragwerk aus Stahlbeton. Terrazzo und Lehmputze ergänzen den reduzierten Materialeinsatz. Rampen führen im Innern durch das gesamte Gebäude, allein das Dach ist nur mit Treppe oder Aufzug erreichbar. Auf 850 m2 Nutzungsfläche sind Dauer- und Wechselausstellung und ein Foyer mit Museumshop, Tourist-Info und Backoffice untergebracht. Der Gast geht über die Rampen mit einem Anstieg von 6 % durch das Gebäude und überwindet so barrierefrei die Geschossebenen. Laut den Tragwerksplanern des Berliner Büros ifb frohloff staffa kühl ecker sind die Decken materialsparend als sogenannte Rippendecken mit Verstärkungen (Unterzügen) und einer dünneren Untersicht gebaut. So konnten die etwa 11 m breiten Rampen ohne Stützen vom Erdgeschoss ins erste Obergeschoss geführt werden. In Bereichen mit kürzeren Spannweiten kommen einfachere Flachdecken zum Einsatz.
Einige Wände sind geneigt und wurden statisch als tragende Bauteile geplant. Diese Bauweise erlaubte es den Tragwerksplanern, im Eingangsbereich eine freitragende Ecke zu gestalten, bei der zwei Seiten auskragen und ohne direkte Stützen auskommen. Die dadurch entstehenden Lasten werden gezielt über eine Betonscheibe in eine Stütze im Erdgeschoss weitergeleitet.
Der Weg im Innern führt durch analoge und digital animierte „olfaktorische“ Themen, vorbei an einer „Duftorgel“ und endet im „Duftgarten“ auf dem Dach des Gebäudes mit einem Blick über Stadt.
Grundriss
EG, M 1:400
8 Start Ausstellung
9 Foyer
10 Stadtmarketing
11 Backoffice
12 Technik
13 Lager
14 Garderobe
15 Kasse
16 Stadtmarketing
Herausforderungen: Gründung, Kosten, Handarbeit
Das Gebäude war nicht nur ein gestalterischer, sondern auch ein wirtschaftlicher Kraftakt. Am Eingang zur Altstadt und direkt an der Weser gelegen, erforderte der Baugrund eine weiße Wanne auf einer Pfahlgründung. Zudem mussten Reste historischer Bebauung und unzureichend gegründete Nachbargebäude unterfangen werden. Hinzu kamen die üblichen pandemiebedingten Preissteigerungen beim Baumaterial. Das Projekt wurde am Ende mit einem Bauvolumen von 11,7 Mio. € (KG 300 und 400) realisiert, ausschließlich getragen von der Stadt und Fördermitteln.
Detailschnitt Fassade Dachanschluss, M 1:15
1 Dachrandabdeckung aus Cortenstahl d=4mm
2 Dachaufbau
3 Restschindel
4 Hintergrundplatte aus Blech wetterfest, schwarz, sd=0,15
5 Unterkonstruktion Metallschindel Vertikale Profile QRO 60-4, S235
6 Distanzhalter / Befestigung an der Rohwand
7 Isolator, thermische Trennung aus Polypropylen, d= 6mm
8 Mineralwolle nach DIN EN13 162
NW 0,034 sd=0,2m
9 Stahlbetonwand d= 25cm C25/30 gem. Angabe Statik 2300, sd=0,2
10 Putzmörtel aus Kalk , Kalkzement und hydraulischem Kalk, sd=0,15
11 Lehmoberputz fein
12 Metallschindel aus Cortenstahl in 3 verschiedenen Geometrien, Oberfläche gestrahlt und vorbewittert,
gewachst, Rhombus-förmig, mittige Abkantung,
Abkantung Rand, zweiseitig, 40 mm breit, d=ca. 1,5 mm
Die Gebäudehülle des interaktiven Duftmuseums Sensoria spricht eine Sprache, die auf den Schutz flüchtiger Düfte, auf Erinnerung und auf Transformation der umliegenden Fassaden zielt. Sie verankert das Gebäude in der Stadt, verleiht ihm Charakter und wirkt durch den ungewohntem Materialein-satz. Damit zeigt das Museum exemplarisch, wie zeitgenössische Architektur regional verankert und zugleich eigenständig sein kann – und das auch jenseits der Metropolen. Ein Konzept, das aufzugehen scheint: Seit der Eröffnung am 28. September 2024 zählte Sensoria-Geschäftsführerin Barbara Richter bereits 18 000 Besucherinnen und Besucher. Erster Erfolg für die Architekten: Der Bau war für den DAM-Preis 2026 nominiert – dank seiner Fassade.
Heide Teschner/DBZ
Projektdaten
Objekt: Sensoria
Standort: Obere Straße 45, 37603 Holzminden
Typologie: Museum
Bauherrin: Stadt Holzminden
Architektur: Anderhalten Architekten, Berlin,
www.anderhalten.com
Teamleitung: Wolfgang Schöning
Bauleitung: Ann-Katrin Dernbach, Matthias Bodenhausen
Bauzeit: 2019–09.2024
Grundstücksgröße: 822 m²
Grundflächenzahl (GRZ): 0,73
Nutzfläche gesamt: 852,50 m²
Technikfläche: 124 m²
Verkehrsfläche: 69,50 m²
Brutto-Grundfläche: 1 251,40 m²
Brutto-Rauminhalt: 5 705 m³
Baukosten (nach DIN 276):
Gesamt brutto: ca. 11,7 Mio. €
Fachplanung
Tragwerksplanung: ifb frohloff staffa kühl ecker Beratende Ingenieure PartG mbB, Berlin,
www.ifb-berlin.de, Projektleitung: Frank Natzke
Fassadentechnik: GEBOtherm Hildesheim,
www.gebotherm.com
Lichtplanung: a.g. Licht GbR, Köln, www.aglicht.de
Bauphysik/Akustik/Energieberatung: Thormälen + Peukert, Paderborn, www.tp-ing.de
Landschaftsarchitektur: Büro für Freiraumplanung Dipl.-Ing. Birgit Czyppull, Bevern/Forst,
www.czyppull.de
Brandschutz: Lorenz + Müller Ingenieure, Holzminden, www.lorenz-brandschutz.de
Ausstellungsplaner: Nowakteufelknyrim GmbH, Düsseldorf, www.n-t-k.de
Energie
Der Energiebedarf des Gebäudes wird gedeckt über eine Brunnen-Wärmepumpe und Photovoltaik.
Primärenergiebedarf: 146,21 kWh/m²a
Endenergiebedarf: Wärme 27 kWh/m²a, Strom
54 kWh/m²a
U-Werte Gebäudehülle:
Außenwand: 5,80 W/(m²K)
Bodenplatte: 5,43 W/(m²K)
Dach: 5,10 (1 OG), 5,30 (2. OG) W/(m²K)
Fenster (Uw): 0,9 W/(m²K), Abminderungsfaktor Rahmenanteil: 0,70 W/(m²K)
Verglasung (Ug): 0,345 W/(m²K)
Hersteller
Beleuchtung: a.g. Licht GbR, Köln, www.aglicht.de
Bodenbeläge: Chemothechnik, Abstatt,
www.chemotechnik.de
Fassade/Außenwand: GEBOtherm Hildesheim,
www.gebotherm.com
Fenster: Schüco, Berlin, www.schueco.com
Innenwände/Trockenbau: Knauf Digital GmbH, München, www.knauf.com
Sonnenschutz: WAREMA Renkhoff SE, Marktheidenfeld, www.warema.com
Türen /Tore: Schüco, Berlin, www.schueco.com