Hobo Hotel, Helsinki/FI
Für eine spannende wie kontrastreiche Reurbanisierung von Helsinkis Stadtzentrum steht das jüngste Hobo Hotel von studio aisslinger, das im April 2024 seine Pforten weit mehr als gewohnt für die Öffentlichkeit öffnete. In unmittelbarer Nachbarschaft zum „Kämp“, dem ältesten Grand Hotel Helsinkis, wendet es sich dezidiert an andere Nutzer, nämlich an urbane und junge Stadtnomaden, die dort vielfältige Work-, Life- und Eventangebote vorfinden.
Von außen unscheinbar: das Hobo in Helsinki
Foto: Nicolo Lanfranchi
Das Hobo Helsinki ist der zweite Baustein einer neuen Generation von Konzepthotels, die 2017 mit einem Pilotprojekt, dem „Hobo Stockholm“ begann und in Kürze weitere „Hobos“ in Oslo und Kopenhagen hervorbringen wird, die alle von Werner Aisslinger mit einem unverwechselbar lokalen Patchwork aus nordischer Einfachheit und rauerem Neuberliner Design für die Strawberry Group Scandinavia gestaltet werden sollen, die über 240 Hotels im Ostseeraum betreibt.
Frei nach dem Motto des Unternehmens „go local, get global“ soll dabei der Name „Hobo“ für eine neue Hotelgeneration stehen, die – mehr als eine Unterkunft – authentische und inspirierende Treffpunkte anbieten will, wo lokale Communities und Stadtnomaden zwangslos zu den unterschiedlichsten Anlässen zusammenkommen, sich austauschen und Spuren hinterlassen können; wo in größeren und öffentlicheren Dimensionen als in Boutique-Hotels gewohnt und gearbeitet, aber auch bei Pop-up-Events geshoppt, gefeiert oder getanzt werden kann.
Sehr kreativ definierte dafür das Unternehmen den Begriff „Hobo“ um, der ursprünglich Obdachlose der USA während der Depressionszeit bezeichnete, die auf der Suche nach Arbeit Güterzüge ohne Fahrscheine nutzten. Obdachlose will die Strawberry Group bei Übernachtungspreisen ab 125 € jedoch gewiss nicht anziehen und erweiterte den Begriff progressiv: „Für uns steht ‚Hobo‘ für einen nachdenklichen, sozial bewussten und neugierigen Menschen. Jemand, der sich als Weltbürger versteht. Obwohl unser Name aus der Geschichte stammt, streben wir nach Fortschritt und sind uns stets bewusst, dass die Zukunft unsere größte Inspiration ist.“
Radikal freigeräumt von Verkleidungen wurden die Decken im Erdgeschoss, was die Räume höher wirken ließ
Foto: Nicolo Lanfranchi
Genug zum Begriff und hin zu den Herausforderungen, vor denen das studio aisslinger stand, das in nur 14 Monaten Planungs- und Bauzeit das neue Hobo Helsinki mit 183 Zimmern realisieren musste. Bis auf das Erd- und erste Obergeschoss konnte so nur wenig an den Grundrissen eines Baukomplexes verändert werden, der Bauteile aus dem 19. Jahrhundert und vor allem den 1960er-Jahren umfasst, die bereits mehrfach umgenutzt worden waren. Denn in den sechziger Jahren sollten das alte Grand-Hotel Kämp und seine Nachbarbauten abgerissen werden, was nur knapp abgewendet werden konnte, indem man es 1965 in einen neuen größeren Bürokomplex für die Kansallis-Osake-Bank integrierte. In mehreren Schritten folgte nach dem Auszug der Bank in den 1990er-Jahren die Rückverwandlung des „Kämp“ in ein Grand-Hotel – und ab 2007 der Umbau des 60er-Jahre-Bürohauses in das Hotel „Glo Kluuvi“, das wiederum 2013 in ein Lifestyle-Hotel umgebaut wurde.
Eine lichte Weite mit fließenden Übergängen, vielen grafischen Oberflächen und großzügige Ausblicke in den Stadtraum
Foto: Nicolo Lanfranchi
Moderates Umbaukonzept
Gemeinsam mit dem finnischen Architekturbüro SARC Architects, die übrigens die neue Finnische Botschaft in Berlin bauten und aktuell das „Kämp” sanieren, entwickelte Werner Aisslinger ein sehr moderates Umbaukonzept für das Hobo Helsinki: mit wenigen Korrekturen der Erschließungen, der weitgehenden Übernahme der teilweise sehr ungewöhnlichen Zimmerzuschnitte und einem beherzten Freiräumen von EG und 1. OG für fließende Co-Working-, Gastronomie-, Seminar- und Konferenz- und Pop-up-Event-Nutzungen. Da das Erdgeschoss aufgrund einer separaten Ladengalerie nur eine recht kleine Grundfläche bot, wurde aus dem früheren Hotelempfang eine Bar, während der neue Empfang zur Straßenseite rückte und dort dank digitalem Check-In auf das Wesentliche reduziert gestaltet wurde.
Im Erdgeschoss und in einigen Hotelzimmern wurden den Bestandswänden teilweise rote Retro-Lochziegel vorgebaut
Foto: Nicolo Lanfranchi
Im weitaus größeren ersten Obergeschoss, das auch ein Nachbargebäude miteinschließt, wurden ein neuer Seminar- und Konferenztrakt sowie unterschiedliche Sitz- und Lounge-Inseln geschaffen. Dabei wurde größter Wert auf leicht veränderbare Bestuhlungen gelegt, die nun in Verbindung mit verschiedenen Podienpodesten viele unterschiedliche Raumnutzungen und eine maximale Variabilität für Konzerte, Feiern, Diskussionen oder Vorträge ermöglichen. Nur bei der Wahl der Leuchtkörper musste studio aisslinger akzeptieren, dass der Auftraggeber in vielen Bereichen eine andere Lichtplanung mit günstigeren Leuchten bevorzugte.
Radikal freigeräumt von Verkleidungen wurden jedoch von aisslinger studio die Decken im Erd- und Obergeschoss, was die Geschosshöhen visuell angenehm erhöhte und im ersten Obergeschoss wieder eine markante Stahl-Kassettendecke aus den sechziger Jahren zum Vorschein brachte. Ganz unterschiedliche Raumatmosphären entwickeln die beiden Geschosse darüber: eine lichte Weite mit fließenden Übergängen, vielen grafischen Oberflächen im geschosshoch verglasten Obergeschoss und großzügigen Ausblicken auf den Stadtraum sowie eine große Intimität, ja Zurückgezogenheit und Wärme unter einer ochsenrotgestrichenen Decke in den eher verwinkelten Situationen des Ergeschosses mit seinen viel haptischer ausgeführten Oberflächen.
In den Badezimmern dehnen sich kontrastreich Fliesen in zweifarbigen Schachbrettmustern über Boden und Wände aus
Foto: Nicolo Lanfranchi
So wurden im Erdgeschoss und auch in einigen Hotelzimmern den Bestandswänden abschnittsweise rote Retro-Lochziegel von Desimpel M65 im Format 19 x 9 x 6,5 cm strukturell so vorgebaut, das nun ihre Löcher in Verbindung mit Holzstäben als Steckwände fungieren, die sehr unterschiedliche Ablagen wie kleine Regalbretter oder Stangen aufnehmen können. Für andere, anregende Vexierspiele mit Raum und Oberfläche stehen hingegen in den Räumen unterschiedliche, geschosshohe farbige Spiegel, die, um vorhandene Stützen und Wände montiert, für rasch wandelnde Raumwahrnehmungen sorgen und immer wieder die Tiefe der Räume sehr eindrücklich visuell erweitern, aber auch zugleich verrätseln.
Manch Älterem mag der eklektische Aisslinger-Mix aus Neuem und Altem, aus viel grafischer Pop-Art und haptischer Minimal-Art, aus High-End-Design und improvisiertem Flohmarkt an manchen Stellen zu wild erscheinen, doch der Erfolg der Hobo-Hotels beim jungen Zielpublikum ist unübersehbar. Jeder Wechsel von Raum zu Raum oder auch nur ein paar Schritte in den großen Raumbereichen versprechen das Erleben neuer Kontraste und Kombinationen. Das bewusst heterogen ausgesuchte Mobiliar wurde dabei integral in die Raumgestaltung und -wahrnehmung miteinbezogen. Auf den wiederkehrenden Schachbrettmustern der Terrazzofliesen, die sich nicht nur über die Böden, sondern wiederkehrend auch über die Wände erstrecken, findet sich so ein Universum unterschiedlich gestalteter Sitzangebote ein, deren Kombination klug durchdacht ist. Da stehen nun etwa die raumgreifenden CIRQL NU-Lounge Sessel von Aisslinger/Dedon mit ihren unterschiedlichen Faserfarben und -typen neben den auf das Wesentlichste reduzierten Alvar Aalto/Artek Stühlen 60 oder den eigens entwickelten, ausladenden Hobo Contract-Sofas von Aisslinger sowie Design-Director Tina Bunyaprasit/Cappellini.
Mal kleinteilig, mal großformatig finden sich viele Muster auch in den Hotelzimmern wieder, wo schon einmal ein Vorhang hinter dem Bett ein Ziegelmuster tragen kann oder sich in den Badezimmern kontrastreich Fliesen in zweifarbigen Schachbrettmustern über Boden und Wände ausdehnen können. Dennoch überwiegt hier eher gestalterische Zurückhaltung mit klug gesetzten, oft transluzenten Raumteilern zwischen Schlaf- und Nassbereich, sparsam eingesetzten Sitz- und Ablagemöglichkeiten sowie dezenten Farbakzenten. Ruhe und Entspannung überwiegen hier im Kontrast zu den vielen möglichen Aktivitäten in den öffentlichen Bereichen von Hobo, die maximale Vernetzung und Kommunikation zu fördern versuchen.
Große Spiegel finden sich auch in manchen Zimmern, jedoch immer sehr reduziert eingesetzt, um die Räume größer erscheinen zu lassen. Dafür bietet das Hobo Helsinki eine erstaunliche Vielfalt an Zimmern in Größe und Zuschnitt in fünf Kategorien umfassen: zwei Suiten mit 74 bzw. 94 m2, wahlweise mit einem Lounge- oder Dinner-Bereich, fünf Studios mit 34 bis 43 m2, 70 große Zimmer mit 25 bis 31 m2, 80 Zimmer mit 17 bis 21 m2 sowie 26 sogenannte Sleeper-Rooms mit 13 bis 16 m2.
Grundriss Gastzimmer, M 1 : 150
Nordisches Design mit Berliner Einschlag
Allein die ebenfalls anzutreffenden neuen Ziegelwände mit kleinen Ablagebrettchen, Haken oder Stangen als Ersatz für Regale oder Schränke überzeugen offenbar viele Gäste nicht, die häufiger größere Ablagen für Taschen und Koffer, Hemden oder Hosen vermissen. Die positiven Aspekte des Hobo Helsinki betreffend dominiert in den Bewertungen des Hotels interessanterweise neben den vielen angebotenen Events und dem Co-Working vor allem seine Gestaltung, die fast durchweg als bestes nordisches Design gelobt wird – obwohl sich mit studio aisslinger auch unschwer eine gute Portion Berlin, eine gewisse Rauheit des Unfertigen und ein recht kontrastreiches Nebeneinander von sehr unterschiedlichen Elementen und Materialien ausmachen lässt. Aus dem Stadtleben Helsinkis sind jedenfalls schon heute seine Gemeinschaftsbereiche für Co-Working, Pop-up-Shops und Meetings, die Bar mit ihrer Bühne für Livemusik sowie seine außergewöhnliche One-World-Gastronomie im Obergeschoss nicht mehr wegzudenken.
Die Erwartungen des Auftraggebers erfüllt das neue Hotel so bereits, dem noch viele weitere in beständiger Transformation und angepasst an die lokalen Bedürfnisse folgen sollen; oder wie es Petter A. Stordalen, der Eigentümer von Strawberry, ausdrückt: „Das Schöne am Konzept von Hobo ist, dass es keine Vorlage dafür gibt, wie Hobo sein sollte oder was es sein sollte. Das Konzept soll sich ständig weiterentwickeln und widerspiegeln, wie sich die Stadt entwickelt.“ Derlei Optimismus und Offenheit gegenüber dem Wandel ist in der Tat in Berlin seltener zu finden und schon sehr skandinavisch.
„Wir haben versucht, etwas Collagenhaftes und Unkonventionelles zu bauen und eine offene, loftartige Atmosphäre zu schaffen“, fasst Werner Aisslinger zusammen. Der einzige Wermutstropfen dieses faszinierenden Hotels? Bis auf eine neue farbige Teil-Beleuchtung des Hotel-Vordachs ist von der Straße aus vom Wandel des Hauses tagsüber kaum etwas zu erkennen. Claus Käpplinger, Berlin
Projektdaten
Objekt: Hobo Hotel Helsinki
Standort: Helsinki
Typologie: Hotel
Bauherrin: Ilmarinen, www.ilmarinen.fi
Nutzerin: Strawberry Group Scandinavia, www.strawberryhotels.com
Architektur: SARC Architects, www.sarcsigge.fi
Innenarchitektur: studio aisslinger, Berlin
www.aisslinger.de
studio aisslinger, Team: Creative Direction: Tina Bunyaprasit, Project Lead: Jamie Hughes, Interior Architect: Tom Parker, Supervision: Werner Aisslinger
Generalunternehmung: Consti Korjausrakentaminen Oy, www.consti.fi
Bauzeit: 01.2023–04.2024
Geschossflächenzahl: 9
Nutzfläche: ca. 8 000 m²
Fachplanung
Lichtplanung: Ramboll, www.ramboll.com
Hersteller
Beleuchtung: &Tradition, www.andtradition.com, Sol De Mayo, www.sol-mayo.com, Belid, www.belid.com
Möbel: Cappellini, www.cappellini.com, Dedon,
www.dedon.de, Artek, www.artek.fi
