Energiezentrale Unterfeld, Zug/CH
Technikgebäude sind spätestens seit der Industrialisierung eine nötige Bauaufgabe und im Angesicht eines Klimawandels gilt dies umso mehr. Der Wandel unserer Lebensweise hin zu mehr Nachhaltigkeit betrifft auch einen Wandel der gebauten Umwelt, in der wir leben. Dass diese auch über ihren Nutzen hinaus gestaltet wird, ist allerdings nicht immer üblich. Das Beispiel der Energiezentrale in Unterfeld führt dabei vor, dass es sich lohnt, auch rein technische Bauaufgaben zu gestalten, zumal ihre Bedeutung für uns zunimmt.
Foto: Philip Heckhausen
Der Wettbewerb
Die Energiezentrale Unterfeld im Schweizer Kanton Zug liegt an einer der nördlichen Zufahrtsstraßen der gleichnamigen Stadt und ist umgeben von Grün- und Freizeitflächen, die westlich an den Fluss Lorze grenzen. Sie ist das einzige oberirdische Bauwerk eines Wärme- und Kälteverbunds namens „Circulago“, welcher mehrere Gebiete im Norden des Zugersees mit Energie versorgt. Dabei wird das Seewasser aus bis zu 26m Tiefe und bei einer Temperatur zwischen 4-6°C in ein Versorgungsnetz eingebracht und mit Hilfe von Wärmetauschern und -pumpen genutzt, um die Haushalte der Kundschaft im Winter mit Wärme und im Sommer mit Kühlung zu versorgen. Da sich die Energiezentrale allerdings in einem Landschaftsschutzgebiet befindet, war eine unterirdische Anlage, trotz des unterirdisch gelegenen Versorgungsnetzes, nicht gewünscht, was wiederum auf Anraten der Zuger Stadtbildkommission zu einem geladenen Wettbewerb für die Fassadengestaltung führte. In diesem konnte sich 2021 das Züricher Architekturbüro Lütjens Padmanabhan zusammen mit Bischoff Landschaftsarchitekten aus Baden durchsetzen. Zu diesem Zeitpunkt war die eigentliche, vornehmlich technische Planung der Energiezentrale bereits so gut wie abgeschlossen, was auch die Einhausung betraf. „Unser Projekt ist eigentlich nur die Fassade und das Dach“ berichtet Oliver Lütjens, Partner bei Lütjens Padmanabhan. Die Vorgaben des Fassaden-Wettbewerbs betrafen vor allem formale Punkte, wie ein gewünschtes 5 x 5 m Raster mit einer potenziellen Erweiterbarkeit um eine Achse in Längsrichtung des Baukörpers, sowie ausreichende Zugangsmöglichkeiten zur verbauten Technik.
Südseite der Energiezentrale
Foto: Philip Heckhausen
Faserzementkleid ...
Grundlage der Fassade ist eine großzügig angelegte Unterkonstruktion aus vorgefertigten, über die gesamte Gebäudehöhe reichenden Stahlrahmen, die zwischen der eigentlichen Einhausung und der Fassade genug Platz für die Revision freihalten. Die „Haut“ des Gebäudes besteht aus gewellten Faserzementplatten (Eternit) im Rohmaß, die in fünf horizontalen, 2,5 m hohen Schichten um das Gebäude gelegt sind. Die unteren drei Schichten sind dabei schräg nach unten, die oberen beiden wiederum schräg nach oben ausgestellt, so dass sich in der Ansicht eine Art doppelter Trichter ergibt. Zuschnitte waren nicht gewünscht, um im Sinne eines „Cradle 2 Cradle“-Prinzips die sortenreine Demontage von unverschnittenen Platten zu gewährleisten. Wo Öffnungen nötig waren, ließ man aus der unteren Reihe eine Platte weg und schob die in der zweite Reihe darüber liegende so weit nach oben, bis die nötige Höhe erreicht wurde. Dabei ändern diese angehobenen Platten ihre Ausrichtung und stellen sich ebenso wie die oberen beiden Reihen des „Platten-Kleides“ nach oben aus. Diese konstruktiv scheinbar erstmal widersinnige Art der Montage, bei der die Überlappung der Platten umgekehrt und nach oben geöffnet wird, zieht sich um das gesamte Gebäude. „Diese Form erinnert daran, dass das Haus sich nach oben öffnet und auf das Wasser wartet“ erklärt Lütjens. Dabei handelt es sich um ein zentrales Merkmal des Entwurfs, bei dem auf Höhe der Stoßkanten der Platten innenliegende Pflanztröge eingebracht sind. Aus diesen wachsen umlaufende, horizontale, grüne Bänder, die mit der Zeit den recht technoiden, flächigen Ausdruck der Fassade aufbrechen.
Langsam aber sicher wachsen die Pflanzen in den Pflanztrögen und geben eine Vorahnung, wie sich die Fassade mit der Zeit immer weiter verändern wird
Foto: Florian Bischoff
… mit grünem Futteral
„Wir lösen die Vegetation von den Platten und führen Spalten ein“, erklärt Florian Bischoff von Bischoff Landschaftsarchitekten dazu. „Dafür gibt es Referenzen aus den Schweizer Bergen, in dessen Felsspalten sich das Wasser sammelt, wodurch sich dort dann Pflanzen ansiedeln.“ Technisch möglich macht das bei der Energiezentrale ein konstant bewässertes System aus Pflanztrögen, in denen unterschiedliche Pflanzen gedeihen, die je nach Saison und Himmelsausrichtung von den Landschaftsarchitekten ausgesucht wurden. „Die Bepflanzung ist auf der Nordseite schatten-, auf der Südseite hitzeverträglicher.“ erläutert Bischoff. „Beispielsweise gibt es für das Frühjahr einen Anteil an Zwiebelpflanzen wie Lauch, Osterglocken oder Tulpen, die dann wieder verschwinden. Manche sind aber auch verholzend, wie kleinblättrige Weiden, die sich über das ganze Jahr entwickeln.“ Auf lange Sicht entsteht so ein vertikaler Garten, der sich in fünf horizontalen Ebenen zwischen den Fassadenspalten immer weiter ausbreitet.
Isometrie der Pflanztröge und ihrer Befestigung
1 Bepflanzung
2 horizontale Verbindung ø 90 mm,
Loch bereits im Werk ausgeführt,
Position je nach Trogebene unterschiedlich.
Montage Rohr von Systemlieferant
Trog- und Bewässerungssystem
3 Befüllung mit Drainagematte,
Substrat etc.
Von kommunizierenden Gefäßen …
Die Bewässerung speist sich aus mehreren Quellen, wobei zunächst anfallendes Regenwasser genutzt wird. Hinzu kommt, dass neben all der in der Energiezentrale verbauten Technik auch eine kleine Teeküche vorgesehen wurde, dessen Trinkwasserqualität auf ein regelmäßiges Hygienespülen der Leitungen angewiesen ist. Das dabei anfallende Spülwasser wird weiter in den Bewässerungskreislauf der Fassade geleitet. Da die intensive Begrünung der Fassade aber auf einen permanenten Wasserstand angewiesen ist, wird über ein System von Minima- und Maximasonden der Wasserstand in der Substratschicht der Pflanztröge konstant überwacht und bei Bedarf Wasser nachgegossen. Sollte wiederum der Wasserstand zu sehr steigen, läuft das Wasser per Überlaufventil ab und verteilt sich dabei kaskadenartig von oben nach unten in den Trögen und fließt schlussendlich über den Platz ab. Um allerdings auch die Horizontalverbindung der Tröge respektive ihren gleichmäßigen Wasserstand sicher zu stellen, wurde ein technisch gesteuertes System von „kommunizierenden Gefäßen“ eingebaut, wie Bischoff sagt. Damit werden sowohl die unterschiedlichen Witterungsverhältnisse der Fassadenausrichtung kompensiert, als auch die Unterbrechungen der Trogreihen durch Türen oder Tore in der Fassade, womit ein gleichbleibender Wasserspiegel in den Trögen gehalten wird.
Neben der anspruchsvollen Technik für die Bewässerung, gibt es auch einige kleine elektrotechnische Komponenten an der Fassade, bspw. Beleuchtung, Kameras oder Bewegungsmelder
Foto: Philip Heckhausen
… und den Schweizer Bergen
Die silbern beschichteten Platten werden dabei als bewusster Kontrast zu dieser organischen Komponente des Entwurfs eingesetzt. Als Referenz diente dabei unter anderem die rurale Architektur der Schweiz, die immer wieder mit Faserzement-Platten verkleidet ist. „Durch die zementöse Oberfläche ist er [Eternit; HR] weniger technisch. Er stellt eher eine Verbindung mit Bauten […] wie beispielsweise Bauernhöfen her, die teilweise aus Holz gebaut sind und teilweise verputzt. Aber es gibt auch Schuppen oder Dächer, die aus Eternit gebaut sind. Für uns war diese kulturelle Verbindung zum Landwirtschaftsraum wichtig“, erzählt Lütjens. „Vor allem unter Bäumen, wo dann ein wenig Laub auf das Dach fällt, hat man nach zehn Jahren den schönsten Bewuchs auf dem Dach“, ergänzt Bischoff. Angesprochen darauf, warum man kein Wellblech in Betracht gezogen hat, wird auf die Erfahrungen von Lütjens Padmanabhan mit entsprechenden Fassadenkonstruktionen verwiesen. Beispielsweise bei einem Gemeinschaftspavillion in Zürich-Hirzenbach oder dem Terrassenhaus Zwhatt in Regensdorf, bei denen ebenfalls Eternit verwendet wurde. Dabei stellte sich vor allem bei schräg ausgeführten Fassaden-Konstruktionen heraus, dass im Falle von Hagelschauern Eternit dünner ausgeführt werden kann als ein Aluminium-Blech, was nicht zuletzt auch auf das Budget einzahlt.
Lernen von Meret
Eine bereits im Wettbewerbstext genannte Referenz für diese Kombination aus Architektur und Natur ist der Meret-Oppenheim-Brunnen in der Schweizer Hauptstadt Bern. Oppenheim schuf diesen Anfang der 1980er-Jahre als eine Art auf Wachstum und Wandel verweisende Skulptur im öffentlichen Raum und erregte mit dem Werk mitunter Kritik. Heute wiederum beschäftigt sich der Denkmalschutz mit der Frage, ob die nötige Pflege zur Instandhaltung des Brunnens so weit gehen darf, den gesamten Bewuchs zu entfernen und damit den gewonnenen charakterstarken Ausdruck zu schwächen. „Anders als der Meret-Oppenheim-Brunnen ist unser Projekt kein wild wucherndes Ding, aber es sieht so aus“, gibt Lütjens in diesem Zusammenhang zu bedenken. Das wiederum ist auch ein Resultat aus den Gesprächen zwischen den verschiedenen involvierten Parteien des Projekts, Planende ebenso wie Auftraggebende, die nach dem Entscheid des Wettbewerbs geführt wurden. Eigentlich war zuerst eine flächige, sich über die Fassade ziehende Begrünung vorgeschlagen worden, im Nachgang wurde diese allerdings in Pflanztröge eingehaust. So erläutert Bischoff: „Dieser Schritt – weg von einer flächigen Begrünung, hin zu einer bandförmigen – bringt auch eine gewisse Sicherheit und Zuverlässigkeit mit sich. Das Spannungsfeld zwischen Bauwerk und seiner Begrünung bleibt dabei aber erhalten.“
Die bewusst offen gelassenen Ecken der Fassade zeigen, wie dünn das Eternit-Kleid der Energiezentrale eigentlich ist
Foto: Philip Heckhausen
Fragiles Monument
Der Verweis an die Einbettung in die Natur, gepaart mit der bewussten großflächigen Verwendung einfacher Materialien und Konstruktionsweisen, sowie die Arbeit mit Referenzen gibt dem Fassadenentwurf eine gewisse konzeptuelle Tiefe. Die flächendeckende Materialisierung und der horizontal umlaufende Knick bilden eine zusammengefasste Form und spielen mit der Monumentalität, die technischen Gebäuden manchmal eigen ist. Andererseits verweist der auf Verwitterung und Patina angelegte Umgang mit der Bepflanzung und die bewusst nicht geschlossenen Ecken auf eine Unfertigkeit, fast Fragilität des Gebäudes. Dazu erläutert Lütjens: „In der Ecke siehst man wie die Fassade konstruiert ist. Man sieht die Stahlträger, die einfach auf die nackte Betonwand aufgeschraubt sind und dass das Haus nicht gedämmt ist. Man sieht die Platten, die zwar eine ganz starke Form bilden, aber auch, dass sie ganz dünn sind. Man spürt die Monumentalität, aber gleichzeitig etwas Zartes, etwas Zerbrechliches, was vielleicht auch mit der Fragilität der Pflanzen zu tun hat. Vielleicht aber auch mit der Fragilität des Zustands unserer Welt heutzutage und unserem ökologischen System, bei dem wir spüren, wie das Gleichgewicht kippt.“
Ostseite der Energiezentrale. Hier sichtbar: der Ausstieg auf das Dach, welches in weiten Teilen mit PV bestückt wurde und so einen weiteren energetischen Benefit liefert
Foto: Philip Heckhausen
Zweifel und Anerkennung
Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob ein technisches Gebäude so viel konzeptuellen Tiefgang in der Fassade braucht. Das Resultat legt jedenfalls nahe, dass die architektonische Gestalt in der Schweiz einen höheren Stellenwert genießt, als es in anderen Ländern der Fall ist. Das Werk von Meret Oppenheim und seine sentimentale Bedeutung gehen da mit gutem Beispiel voran. Der Brunnen in Bern steht jedenfalls noch und kann der Unterfelder Energiezentrale somit als ein streitbares und doch vor allem resilientes Vorbild dienen.
Hartmut Raendchen/DBZ
Projektdaten:
Objekt: Energiezentrale Unterfeld
Standort: Zug/CH
Bauherrin: WWZ Energie AG
Architektur: Lütjens Padmanabhan, Zürich/CH, www.luetjens-padmanabhan.ch
Team: Oliver Lütjens, Thomas Padmanabhan, Nils Benedix, Tobias Vonder Mühll, Patrick Hennerici
Landschaftsarchitektur: Bischoff Landschaftsarchitektur GmbH, Baden/CH, www.bischoff-la.ch
Team: Florian Bischoff, Corinne Büchi
Bauzeit: 2021–2024
Fachplanung
Tragwerksplanung: Gruner Berchtold Eicher AG, Zug/CH
TGA-Planung: Gruner AG, Basel/CH, www.gruner.ch
Hersteller:
Begrünungssystem: Forster Baugrün AG,
www.forsterbaugruenag.ch
Dachabläufe/Notentwässerung: Geberit,
www.geberit.de
Fassadenplatten: Swisspearl, www.swisspearl.com
Dämmung: Swisspor, www.swisspor.com
Leitern: Sprich AG, www.sprich.ch
Türen: Hörmann, www.hoermann.de