Den Mythos am Leben halten

Immer noch ist es so, dass das Werk Louis I. Kahns vor allem unter ästhetischen Gesichtspunkten angeschaut wird. Mystifizierung und Mythologisierung, Wesenhaftigkeit, Transzendenz, Spiritualität, alles das lässt sich überstülpen und … ja was eigentlich? Und fertig? Der Architekt, der auch ein ganz besonders einflussreicher Lehrer war, ist bis heute nicht erforscht. Nicht sein Werk objektiviert (in einen Kontext gestellt), nicht der Mensch befragt (biografische Verflechtungen). So überrascht es vielleicht nicht, dass es in dem vorliegenden, fein gemachten Fotobuch über Kahns Nationalversammlung in Dhaka/Bangladesch genau um diesen einen Fokus geht: den Mythos, das Spirituelle und eine Architektur par excellence.

Zwei Seiten Text rahmen die wunderbare und zugleich sehr statische, schwarzweiße Bilder­reihe ein: vorne das Geständnis des Fotografen, Kahn sei einer der größten Architekten, den die Welt je gesehen habe, der Philosophie in Architektur verwandle und umgekehrt; am Ende dann die Erklärung, Kahn sei einer der ganz wenigen, die Architektur nicht nur für das Auge machen, sondern für alle Sinne, sie sei: existenziell.

Schaut man nun auf die fast immer menschenleeren Aufnahmen dieses in der Tat ikonisch spirituellen wuchtig leichten Baukörpers, dann wundert man sich, wie wenig er von seinem historischen Ursprung preisgibt, der durchaus gewalttätig blutigen Gründungsgeschichte von Bangladesch. Der Regierungssitz sollte Dhaka das Gewicht geben, das die damalige Provinzhauptstadt Ostpakistans benötigte, um die angestrebte Unabhängigkeit zu erlangen. Davon aber nichts. Auch nichts von den jüngsten Auseinandersetzungen, die – wie in den USA – auch einen Sturm der Menschen auf dieses Gebäude auslöste und massive, materielle Schäden anrichtete.

Daran mag man erkennen, dass Publikationen dieser Art eher dazu dienen, das schon Gewusste weiter festzuschreiben, uns der Faszination purer Architektur hinzugeben, ohne danach zu fragen, ob denn die Größe Kahns nicht vielleicht eine ganz andere ist, als die, die wir ihm immerzu unterstellen.

Die sehr trockenen Aufnahmen zeigen keine Büroräume. Zeigen keine Gebäudeinfrastruktur. Zeigen kaum Schäden, Spuren von Abnutzung. Sie feiern das Licht, die Formen, den sich öffnenden wie sich schließenden Raum, Perspektiven und irgendwie den Zustand von Ewigkeit. 1982, einige Jahre nach Kahns mysteriösem Tod, wurde der Komplex eröffnet, er hat in den Jahren gelitten. Diese Spuren des Alterns, auch der Vernachlässigung hätte ich gerne gesehen. Mit all dem Bunten, das die Bangladescher mit sich tragen. Vor Jahren besuchte Iwan Baan die Städte Chandigarh und Brasilia, und er brachte andere, den LC-Mythos aufhellende Bilder mit. Wir warten und schauen derweil bewundernd in die sw-Welt aktueller Kahn-Fotografie. Be. K.

The House That Kahn Built. The National Assembly Building in Dhaka by Louis Kahn, fotografiert v. Kashef Chowdhury. Quart Verlag, Luzern 2025, 116 S., 63 sw-Abb.
58 €, ISBN 978-3-03761-337-5

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