Warum sollen wir historische Gebäude retten?
Cornelius Tarnai: Aus Respekt gegenüber unseren Ahnherren. Wir heutigen Westeuropäer leben in einer Freiheit, die nicht selbstverständlich ist und die wir unseren Vorfahren verdanken. Es wäre wirklich bitter, wenn wir es nicht schaffen, ihre gebauten Kulturdenkmäler, die ganzen wunderschönen historischen Gebäude zu bewahren. Es gibt so viele Menschen, die ihre alten Häuser abreißen wollen. Die frage ich dann: Haben Sie sich schonmal Gedanken darüber gemacht, dass vielleicht ihr Opa das Gebäude gebaut hat und damit eine Absicht hatte?
Sollte also nichts Neues mehr gebaut werden?
Ich will nicht in Frage stellen, dass ein Haus abgerissen werden darf. Das darf es. Aber alle Menschen, die zum Beispiel ein Bauernhaus haben, sollen wissen, dass sie die Möglichkeit haben, es sanieren zu lassen. Damit will ich auch gegen das Geschwätz vom Stammtisch ankämpfen, dass Sanieren sowieso mehr kostet als neu zu bauen.
Das heißt, deine Arbeit begründest du eher moralisch, weniger ökologisch?
Das Schöne ist, die Welt spricht gerade unsere Sprache: Nachhaltigkeit, Graue Energie, Ressourcen etc. Aber ja, ich bin eher der Philosoph. Ich bin zwar Bauingenieur und ich mag meine Sanierungen, aber mir geht es eher um das Bewusstsein für unsere Kultur. Die anderen Themen übernehmen andere. Es ist für mich selbstverständlich, dass wir zum Beispiel Ressourcen sparen, wenn wir ein altes Gebäude stehen lassen, anstatt ein neues zu bauen.
Wie hast du deine Leidenschaft für historische Gebäude entdeckt?
Als ich Bauingenieur wurde, wusste ich noch nicht, dass ich historische Gebäude retten werde. Aber schon als Kind haben mich Burgen und die Antike fasziniert. Außerdem hatte mein Vater ein Bauunternehmen. Ich war immer lieber mit ihm auf der Baustelle als in der Schule. Im Bauingenieurstudium schließlich, kurz vor meiner Bachelorarbeit, hörte ich von dem Masterstudiengang Historische Bauforschung. Den kannte ich vorher gar nicht. Das hat alles für mich verändert, das wollte ich unbedingt machen. Prof. Thekla Schulz-Brize war damals die Leiterin des Studiengangs an der OTH Regensburg und suchte händeringend nach Bauingenieuren. Also habe ich meine fehlenden 18 Prüfungen sowie die Bachelorarbeit im Bauingenieurwesen in zwei Semestern geschrieben, um schnell anfangen zu können. Ich war damals Mitte 20 und hatte das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben.
Wie kam es, dass du dich selbstständig gemacht hast?
Während des Masters arbeitete ich für das Ingenieurbüro Braun, Haas & Lerzer, die vor allem Sanierungen machten. Die Kombination aus Praxis, als Bauingenieur zu arbeiten, und Theorie an der Hochschule war sehr hilfreich. Ich war Vermesser, Bauforscher, Statiker und eigentlich auch Architekt. Ich liebe nämlich Entwerfen und hab nach dem Bachelor schon kleine Einfamilienhäuser für Bekannte geplant. Deswegen schlug ich meinem Chef vor, eine Abteilung für Vorprojekte zu gründen, bei denen man diese vier Disziplinen braucht.
Was ist ein Vorprojekt?
Ein Vorprojekt sollte vor jeder Sanierung gemacht werden. Es setzt sich aus der Bauherrenberatung, der Vermessung, der Bauforschung, der statischen Analyse und dem architektonischen Konzept zusammen. Normalerweise kommen dafür die einzelnen Disziplinen aus verschiedenen Büros zusammen. Ich wollte die fünf Disziplinen in einer Abteilung unseres Ingenieurbüros zusammenfassen. Da mein Chef das nicht wollte, dachte ich – gut, dann mach ich’s selbst. Mitte 2016 habe ich mich dann selbstständig gemacht. Jetzt, nach fünf Jahren, bin ich immer noch auf dem Markt. Ich habe Höhen und Tiefen gehabt, mache immer noch Fehler, aber es macht unglaublich viel Spaß.
Wie hast du deine ersten Aufträge bekommen?
Ich wusste, was ich kann und was ich zu verkaufen habe. Und ich kann gut präsentieren. Das waren schonmal gute Grundvoraussetzungen. Dann hat ein Kumpel mir das Unternehmernetzwerk BNI, Business Network International, empfohlen. Da geht es um Empfehlungsmarketing. Dafür musste ich 1 700 € investieren, ein Haufen Geld. Dazu sei gesagt, für meine Selbstständigkeit habe ich alles verkauft, zum Beispiel meine Lebensversicherung, weil ich keine Förderungen bekommen habe. Zusammen mit einem Privatkredit hatte ich dann 40 000 € Startkapital. Das ist nicht viel. Trotzdem habe ich das Unternehmernetzwerk als Chance gesehen. Eines meiner Lebensmottos ist nämlich: Ich möchte mich niemals fragen: Was wäre gewesen, wenn? Nach fünf Jahren Mitgliedschaft kann ich sagen: Das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich habe dort viele tolle Unternehmer kennengelernt und unfassbar viel gelernt. Ich mache immer noch 80 Prozent meiner Umsätze über Empfehlungen aus dem Netzwerk.
Dass du viel in der Öffentlichkeit stehst, hilft dir sicherlich auch.
Ja, klar! Ohne das würde es nicht funktionieren. Was nützt es mir, der beste Experte der Welt zu sein, wenn es keiner weiß? Ich bin meine beste Werbung. Ich kann auf meinen Baustellen Videos drehen, ich habe meinen Youtube-Channel, ich wurde für diverse Zeitschriften interviewt. Das passiert nicht, weil ich irgendwo im Büro sitze und historische Gebäude saniere. Gerade als Jungunternehmer. Ich habe vor der Bürogründung gedacht, die Welt wartet auf mich. Bullshit. Kein Mensch hat darauf gewartet, dass ein Cornelius Tarnai jetzt da ist.
Noch ein Tipp für junge Menschen, die noch nicht wissen, was sie nach dem Studium machen wollen?
Wir müssen uns nur eine Frage stellen: Was liebe ich? Wenn wir das herausgefunden haben, und sei es nur für einen gewissen Zeitabschnitt, und wenn wir auch noch gut darin sind, müssen wir dieses Talent weiterentwickeln. Entweder als Angestellter oder, wenn es noch nicht das passende Unternehmen gibt, sich selbstständig machen. Freiheit wird man immer überall haben, auch als Angestellter, denn die Freiheit kommt aus einem selbst heraus. Stell dir vor, du machst fünf Tage die Woche als Angestellter oder sieben Tage als Selbstständiger etwas, was du nicht magst – du stirbst am Ende als Zombie. Was mich angeht – es ist nicht immer leicht, was ich alles mache. Aber ich sehe dieses Schlussbild: Es ist 2066, ich bin im Kolosseum in Rom, wir feiern die 50-Jahr-Feier von "Kulturschätze deiner Region" und wir haben es geschafft, historische Gebäude weltweit zu retten. Man braucht eine Vision.