Zukunftsfähiges Bauen mit Lehm

Jasmine Alia Blaschek und Christof Ziegert sind Expert*innen des Lehmbaus. In ihrem Essay erklären sie, was das Thema so spannend macht und wie eine berufliche Perspektive in diesem Bereich aussehen kann.

Zum Glück starten heute viele Archi­tekt*innen und Bauinge­nieur*in­nen mit dem Anspruch in ihr Berufsleben, dass die von ihnen geplanten und gebauten Projekte eben nicht mit dem schonungslosen Umgang mit Ressourcen in Verbindung gebracht werden sollen, wie es derzeit häufig noch der Fall ist. Unser aller Ziel sollte sein, das Bauen mit Stahl und Beton auf das notwendige Maß zu beschränken und bei viel mehr Bauvorhaben ganz oder teilweise nachwachsende oder andere wenig energieintensive Materialien zu verarbeiten. Neben Holz sind hier insbesondere die verschiedenen Lehmbaustoffe und -bautechniken prädestiniert. So hat ein erdfeucht angelieferter Lehmputz weniger als 10 % des Primärenergiegehalts eines Kalk-Zement-Putzes – bei nebenbei besserem Raumklima. Im Nachhaltigkeitsdiskurs spricht man von Ressourceneffizienz bzw. auch von Begriffen wie Suffizienz (von lat. sufficere, dt. ausreichen) und Konsis-tenz – das heißt, umweltverträgliche Technologien nutzen Stoffe und Leistungen der Ökosysteme, ohne sie zu gefährden oder zu zerstören. Eine wesentliche Minimierung des Ressourcenverbrauchs muss also nicht per se mit schmerzhaften Einschnitten der Gestaltungsmöglichkeiten und des Wohlstands kompensiert werden.
In keinem anderen Land der Welt sind die Voraussetzungen so gut wie in Deutschland, um mit Lehmbaustoffen zu planen und zu bauen. Zum Bauen geeigneter Lehm liegt landesweit fast überall vor. Im Idealfall wird der eigene Baugrubenaushub verbaut. So planen wir von ZRS Ingenieure gerade das neue Weleda-Zentrallager in Schwäbisch-Gmünd, dessen riesiger Baukörper von 35 x 85m eine Stampf­lehmfassade aus dem Baugruben­­aus­hub erhält. Nirgendwo gibt es so viele Hersteller*innen von Lehmbaustoffen, Händler*innen, die diese vertreiben und Lehmbaufachkräfte, die diese fachgerecht verbauen. Nirgendwo gibt es eine so sinnvolle Struktur an angemessenen Regelwerken, die das Planen und Bauen mit Lehmbaustoffen im positiven Sinne tatsächlich normal werden lassen.
Viele Planungsbüros suchen nach Mitarbeiter*innen mit Lehmbau-Kompetenz, die die geänderten Kundenwünsche nach klimagerechten Bauvorhaben erfüllen können. Weil sich Deutschland im Lehmbau einen so guten Ruf erarbeitet hat, kommen diese Anfragen auch regelmäßig aus dem Ausland, sei es im Neubau, der Kulturerbeerhaltung oder der Entwicklungszusammenarbeit. Auch große international tätige Organisation, wie die GIZ, ergreifen derzeit die Initiative, mehr Projekte mit Lehmbaustoffen zu realisieren. Es gibt also eine lokale und globale Entwicklung auf breiter Front! In unserem Büro zum Beispiel machen Lehmbauprojekte derzeit etwa ein Viertel des Auslandsumsatzes aus. Außerdem entstand für uns auf diese Weise ein (bau-)kultureller Austausch mit bereits mehr als 30 Ländern. Während in vielen dieser Länder das Lehmbau-Handwerk noch traditionell verwurzelt ist, fehlen lokal Ar­chi­tekt*innen und Bauingenieur*innen, die mit den Baustoffen umgehen können. Diese Kompetenz wird dann in Deutschland nachgefragt. Förderlich ist es, wenn man die Techniken nicht nur theoretisch durchdrungen hat, sondern auch praktische Kompetenzen vorweisen kann – Bauüberwachung ist international häufig eher ein Training. Diese Einsätze sind oft von Hitze und Staub sowie Entbehrungen vom gewohnten europäischen Luxus geprägt und können von wenigen Tagen bis zu Monaten dauern. Dennoch empfinden die Beteiligten sich mehr bereichert als gezehrt, stellt doch die gemeinsame Arbeit noch einmal eine ganz andere Komponente im Austausch der Kulturen dar.
Lehm­­baustoffe erzwingen ein baustoffgerechtes Design der architektonisch-konstruktiven Details und des Tragwerks. Interdisziplinäre, kooperative Zusammenarbeit – eigentlich selbstverständlich, aber in mancher Bürophilosophie noch nicht verankert, – kann und muss hier praktiziert werden. Auch dies ist ein zukunftsfähiges Kompetenzfeld für angehende Architekt*innen und Bauingenieur*innen, das am Beispiel des Lehmbaus entwickelt werden kann.
Die Angebote der deutschsprachigen Hochschullandschaft für den Lehmbau sind noch eher dünn gesät. Regelmäßige Angebote gibt es in Potsdam und Wien schon länger, nun z. B. auch in Weimar, Dortmund, Düsseldorf, Karlsruhe, Berlin, Braunschweig, Zürich und Linz. Man kann sich berechtigterweise fragen, warum das Angebot der Hochschulen dem Bedarf an Wandel hinterherhinkt und diese Angebote teilweise erst von den Student*innen eingefordert werden mussten, wie jüngst in Weimar geschehen. Es bedürfte einer umfassenderen Initiative zusätzlicher Stellen, denn es wird zu lange dauern, bis die Besetzung freiwerdender Stellen dem veränderten Bedarf gerecht werden könnte. Die Nachfrage der Student*innen besteht auch in der Betreuung wissenschaftlicher Arbeiten, denn es gibt noch zahlreiche weiße Felder, für deren Klärung ein dringender Bedarf besteht. Es gibt hier noch die Möglichkeit, nicht für die Schublade zu produzieren, sondern Ergebnisse direkt in die Praxis und Normung einfließen zu lassen, wie derzeit bei der neuen Norm zur Bemessung von Lehmsteinmauerwerk. Unter der Leitung der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung erarbeiten verschiedene Institutionen und zahlreiche junge und erfahrene Wissenshungrige die Grundlagen und verfassen Bachelor- und Masterarbeiten sowie Promotionen zu den Themen.
VITAE

Dipl.-Ing. Jasmine Alia Blaschek kam als Wienerin über den Österreichischen Lehmbau zu ZRS Ingenieure (ZRSI), dem Ingenieurpart des Berliner Büros ZRS Architekten Ingenieure. Ihre Arbeitsschwerpunkte bei ZRSI sind neben Lehr- und Labortätigkeiten die Leitung des Urukprojektes mit dem Deutschen Archäologischen Institut. ZRSI sind als Konservierungsingenieure für die statisch-konstruktiven und materialtechnischen Belange der Welterbestädte Uruk in Mesopotamien zuständig.

Prof. Dr.-Ing. Christof Ziegert ist Geschäftsführer der ZRS Ingenieure GmbH (ZRSI). An der FH Potsdam hat er eine Honorarprofessur „Bauen und Erhalten mit Lehm“ am Fachbereich Bauingenieurwesen inne. Außerdem lehrt er regelmäßig an der Bauhausuniversität Weimar. Er ist Obmann des Normenausschusses Lehmbau am DIN und öffentlich bestellter Sachverständiger für Schäden im Lehmbau (IHK Berlin). Als Vorstandsmitglied unterstützt er mit ehrenamtlichen Engagement die Arbeit des Dachverbandes Lehm e.V.

www.zrs.berlin

Weiterführende Tipps

Angebote für Student
*innen beispielsweise an der Fachhochschule Potsdam oder der Bauhaus Universität Weimar, gesammelt unter www.uni-terra.org

Weiterbildung für Architekt*innen und Ingenieur*innen z.B. an der Weiterbildungsakademie der Bauhaus Universität Weimar WBA: www.wba-weimar.de

Wer es auch praktisch mag: Kurse zum Lehmbau-Fachhandwerker „Fachkraft Lehmbau DVL“ z.B. im bekannten Zimmerer-Ausbildungszentrum in Biberach www.seminare.kompetenzzentrum-bc.de

Netzwerkarbeit im Bereich Lehm: www.golehm.de

Generelle Infos: Bundesfachverband „Dachverband Lehm e.V.“

www.dachverband-lehm.de

Forschungsvorhaben z.B. an der Bundesanstalt für Materialforschung und -Prüfung (BAM) www.bam.de

Fachliteratur: Röhlen, U., Ziegert, C.: Lehmbau-Praxis. Planung und Ausführung. Beuth-Verlag. Berlin. 3. Auflage. 2020

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