Zehn Beobachtungen zur Digitalisierung in Architektur und Bauwesen

Dieser Beitrag fasst einige individuelle Beobachtungen zusammen, die MitarbeiterInnen aus den Snøhetta Büros in Oslo und Innsbruck zum Thema Digitalisierung gemacht haben. Die einzelnen Punkte des Textes spiegeln persönliche Erfahrungen wider, die als Puzzleteile für ein Gesamtbild zu verstehen sind und keine umfassende Darstellung der Situation der Digitalisierung sein können. Ein roter Faden lässt sich allerdings erkennen: Die Prozesse in Planung und Ausführung sind nicht mehr zeitgemäß. Um die digitalen Möglichkeiten vom Entwurf bis zur Baustelle ausschöpfen zu können, müssen auch die Prozesse neu organisiert werden. Pilotprojekte versuchen die Vorteile aufzuzeigen und zu nutzen.

01Im Entwurf sind digitale Methoden bei Snøhetta ein unverzichtbares Werkzeug. Wir nutzen das gesamte Repertoire an Gestaltungswerkzeugen, um für die spezifische Aufgabe das Beste auswählen zu können. Wichtig ist uns, dass wir ständig zwischen analog und digital, zwischen traditionellem Handwerk und den neuesten digitalen Techniken wechseln, um Ideen ständig in verschiedenen Medien prüfen zu können. Jedes Büro bzw. Studio verfügt über eine Modellbauwerkstatt mit der neuesten technischen Ausstattung. Mit 3D-Drucker und/oder CNC-Fräsen lassen sich komplexe digitale Modelle nahtlos in analoge Modelle „umwandeln“. Und auch VR-Set-ups sind mittlerweile Standard und werden für die Kommunikation mit Bauherrn immer mehr zum unverzichtbaren Tool – sowohl in frühen Entwurfsphasen als auch in der Bauphase (Stichwort Enscape). Hier geht es in erster Linie um die Beurteilung der räumlichen Wirkung und der Gestaltung.

02Bis zur Baustelle lassen sich diese Vorteile des nahtlosen Wechsels von digital zu analog noch nicht ausspielen. Die Vorteile gut nutzen kann man allerdings bei spezifischen Bauteilen, die vorgefertigt werden, etwa im Holzbau. Zum Beispiel wurde das geschwungene Interieur der Tverrfjellhytta, einem Rentierbeobachtungspavillon im Dovrefjell Nationalpark, mit NURBS-Modellen direkt an den Hersteller geliefert, der mit einer CNC-Fräse Schicht für Schicht aus gestapeltem Massivholz fräste. Auch die Fassadenpaneele der Erweiterung für das San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA) wurden mittels digitaler Modelle vorproduziert. Der nahtlose Übergang vom Entwurf bis zur Produktion ermöglichte unterschiedliche Faser-Kunststoff-Verbund-Platten – kein Element gleicht dem anderen, insgesamt ergeben sie eine individuelle Fassade.

03Genauso wie das papierlose Büro ist die papierlose Baustelle noch eine schöne Vision. Das „Füttern“ mit einer Vielzahl an Daten bringt detaillierte Modelle hervor, die zurzeit noch viel zu wenig auf der Baustelle genutzt werden. Für das Geschehen vor Ort werden eine Vielzahl „ganz normaler“ Pläne und Zeichnungen auf die Baustelle geliefert, obwohl oftmals die komplette Information im Modell vorhanden wäre. Allerdings verpflichtet sich in Norwegen zum Beispiel der staatliche Bauherr Statsbygg ab jetzt zu papierlosen Baustellen.

04Pilotprojekte zeigen mittlerweile, dass es andere Ansätze gibt. Bei Planung und Bau der Fakultät für Kunst, Musik und Design der Universität Bergen (KMD) startete man mit einem „Lean Project“, die Prozesse neu zu organisieren. Grundprinzipien sind die „Five Rs“: right product, right detail, right time, right quantity, right place. Es soll das, was gerade gebraucht wird, zum richtigen Zeitpunkt vorhanden sein. Und es gilt das Prinzip „Pull information you need “ statt „Wait for information“. Anstatt am Ende jeder herkömmlichen Planungsphase einen Satz Pläne zu liefern, die dann geprüft werden, wurde der Planungsprozess in Phasen, die zwei bis sechs Wochen dauern, aufgeteilt. Design-Meetings, bei denen alle Beteiligten mehrere Tage gemeinsam arbeiteten, wurden in der Regel alle zwei Wochen abgehalten, bei diesem Projekt hauptsächlich physisch. Organisiert wurde dies durch visuelle Planung mittels Post-it-Zetteln, auf die jeder Involvierte vermerkte, was er von einem anderen Gewerk braucht. Eine Herausforderung war und ist, den Informationsfluss für jeden nachvollziehbar und transparent zu gestalten und die Information zum richtigen Zeitpunkt zu verdichten. Zu viel Information in einer frühen Phase birgt das Risiko, dass man wenig später alles ändern muss. Als Werkzeug beim KMD wurde ein Revit BIM-Modell genutzt.

Die Baustelle selbst – sowohl Ablauf als auch Gebäude – wurde in Takte und Zonen aufgeteilt. Ein Gewerk arbeitete in einer Zone per Takt. Für Meetings des Design-Teams und der Baufirmen auf der Baustelle wurde ein Zwei-Wochen-Rhythmus und dasselbe visuelle System mit Post-it-Sessions beibehalten. Sogenannte BIM-Kioske standen auf der Baustelle zur Verfügung. Das BIM-Modell (in Solibri) bildete das zu bauende Gebäude so weit möglich exakt ab und vor allem die Baustellenleiter der unterschiedlichen Gewerke navigierten durch das Modell, das durch Papierpläne ergänzt wurde. Die Pläne wurden vor allem für Ausführungsdetails genutzt, die im Modell nicht zu sehen waren.

05Beim tatsächlichen Bauen ging es aber auch in Bergen noch recht konventionell zu, bis jetzt sind also noch die herkömmlichen Gewerke tätig. BIM-Kioske gibt es aber mittlerweile auf den meisten Baustellen in Norwegen – entweder als Arbeitsstation, z. B. auf jeder Etage, oder in einem Container. Als weitere Mittel werden iPads, VR, Drohnen und Roboter zum Vermessen und zur Kontrolle eingesetzt. Baustellen-Roboter für schwere Arbeiten befinden sich zurzeit noch im Versuchsstadium. Langfristig werden sie aber auch das Arbeiten auf der Baustelle verändern. Radikale Neuerungen auf der Baustelle wird es auch geben, wenn neue Materialien oder verbesserte Materialeigenschaften die Arbeitsmethoden auf der Baustelle ändern und die Vorteile der Digitalisierung genutzt werden können

06Eine zweiwöchige Meeting-Kultur mit allen Fachbereichen hat sich auch bei anderen skandinavischen Projekten bewährt. Anhand des zusammengestellten IFC-Modells werden Listen, offene Punkte und Fristen gecheckt. Als Werkzeug hat sich hier BIM-sync bewährt, das alle IFC-Modelle beinhaltet. Im Endeffekt entscheidet aber der Bauträger über Programm und Plattform. Alle verwenden aber BIM-Software. Dabei kommunizieren sie entweder mit IFC oder man arbeitet in einem gemeinsamen Revit-Modell mit einem BIM-Server. Eine Alternative ist Arbeiten in der Cloud (z. B. Autodesk BIM360). Teilweise werden die Meetings via Videokonferenz abgehalten – mit bekannten technischen Problemen. Persönliche Treffen lassen sich vermutlich nie komplett ersetzen, da auch die persönliche Ebene eine wichtige Rolle spielt.

07Bei vielen Projekten – hauptsächlich im deutschsprachigen Raum – bereiten die Schnittstellen, ja nach Teamzusammenstellung, bereits beim Austausch mit Fachplanern Probleme, wenn nicht alle an demselben Modell arbeiten und Prinzipien wie Transparenz oder die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt nicht berücksichtig werden. Dies bedeutet auch, dass bei Vergabeverfahren nachgeschärft werden muss. Denn im BIM-Modell fließen zahlreiche Informationen bereits sehr früh ein. Außerdem sind Fragen wie die der Haftung noch ungeklärt.

08Der Mehraufwand, der sich mit aufwendigen 3D-Modellen ergibt, findet sich im Honorar bis dato nicht wieder. Diese Arbeitsbelastung bleibt großteils bei den Architekten hängen, ohne dass die Leistung auch entsprechend honoriert würde. Dies gilt im deutschsprachigen Raum genauso wie in Skandinavien.

 

09Neben dem großen Potential, das BIM birgt, gibt es auch Gefahren. Die Industrie kann dadurch einen so starken Einfluss entwickeln, dass Architekten in ihrer Gestaltungsfreiheit beeinträchtigt werden. Für manche Bauaufgaben ist es hilfreich, bei innovative Lösungen wird es schwieriger. Auch können Firmen, die planen und ausführen, die Vorteile in der Prozessoptimierung stärker ausspielen, wenn sich ihre Baustellen und Bauten stark ähneln. Natürlich auch, weil bei Totalunternehmern zahlreiche Schnittstellen (und somit Kommunikationsprobleme) zumindest stark verringert werden, da alles „aus einem Haus“ kommt. Bei komplexerer Architektur ist jedes Bauwerk ein Prototyp, was auch die Baustelle komplizierter macht.

10Insgesamt lässt sich sagen: Da sich mittels BIM die Interaktion zwischen den Planern und Gewerken neu entwickeln lässt, müssen auch die aktuellen Prozesse überprüft und neu organisiert werden. Jede Veränderung braucht Zeit, aber um die kompletten Vorteile ausspielen zu können, braucht es nichts weniger als einen Kulturwandel, bei dem der Architekt nicht auf der Strecke bleibt.

www.snohetta.com

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