„Wir können sie jetzt bauen, die Häuser der Zukunft“


Der Architekt Rolf Disch, Freiburg i. Br. zum Thema „Solares Bauen“

Das Bauen, das Bewohnen, das Nutzen von Gebäuden ist verantwortlich für über 40 % unseres Energieverbrauchs. Was für eine Verantwortung, was für eine Chance für die Architekten! Denn wir haben alle Mittel zur Verfügung, unsere Gebäude energetisch hoch effizient zu machen und den bei weitem größten Teil dieses Verbrauchs zu vermeiden. Ja, wir können – im Neubau wie im Bestand – Häuser zu Kraftwerken machen, die sogar noch einen Überschuss an Energie produzieren und damit unvermeidliche Verbräuche in anderen Sektoren kompensieren. In den nächsten zwanzig Jahren, die uns die Klimaforscher noch einräumen, sind es gerade die Architekten, die einen entscheidenden Beitrag zu leisten haben. „Business as usual“, „Kopf in den Sand“, das geht nicht mehr – die Havarie von Fukushima hat es gerade wieder drastisch und katastrophal vor Augen geführt.

Die europäische Gebäuderichtlinie EPBD 2010 sieht vor, dass bereits ab 2020 alle Neubauten ihre Energie weitgehend selbst und aus regenerativen Quellen bereitstellen müssen. Es wird interessant sein zu sehen, ob diese Richtlinie vollgültig in allen EU-Mitgliedsländern umgesetzt wird und welche Rolle die Verbände der Architekten und der Bauwirtschaft dabei spielen werden. Wollen wir Zauderer sein und Verhinderer – oder Promotoren und Beschleuniger einer überlebensnotwendigen Entwicklung? Und warum warten bis 2020? Wir können sie jetzt bauen, die Plusenergiehäuser der Zukunft.

Noch entscheidender ist die energetische Zukunftsfähigkeit des Gebäudebestands in einem Land wie Deutschland, in dem aus demographischen Gründen der Zubau längst nicht mehr die Hauptrolle spielt. In den Fachmedien wie in den Feuilletons der Tagespresse hat man vorrangig solche Stimmen gehört, die die Hässlichkeit von in dicke Dämmschichten verpackten Häusern, von wüst auf die Dächer montierten PV- und Solarthermie-Anlagen beklagten, als einen Verlust an Baukultur. Auf diese Stimmen sollte man hören, nur ist die Lösung sicher nicht, damit die energetische Ertüchtigung des Gebäudebestandes ad acta zu legen. Die Sanierungsrate muss zur Wahrung der Klimaziele mindestens vervierfacht, das Solarpotenzial der Dachlandschaften komplett ausgeschöpft werden. Warum das notwendig zu einer ästhetischen Abwertung führen soll, leuchtet nicht ein. Sondern es stellt sich eindringlich die Aufgabe der sorgfältigen Gestaltung – und es ist eine genuine Architekten-Aufgabe, mit den energetischen Maßnahmen zugleich die Gebäude funktional wie ästhetisch aufzuwerten.

Jedoch ziehen wir die Systemgrenzen zu eng, wenn wir allein das Gebäude betrachten. Große Chancen liegen in der Elektrifizierung des Verkehrs, in der Bereitstellung der Energie hierfür durch
das Hausdach. Nicht nur wird eine dezentrale, demokratischere Energieversorgung durch die Photovoltaik-Dächer erreicht, sondern in der Verknüpfung mit den E-Cars steht ein gigantischer, dezentraler Energiespeicher zur Verfügung, wobei die Autobatterien am Netz zu Spitzenbedarfszeiten auch entladen werden können. Welche groß­artigen stadtplanerischen Chancen sich zudem ergeben, wenn man einen Systembau mit umfassendem Car-Sharing statt Individualverkehr anvisiert, sehr viel weniger Autos, mehr Leichtfahrzeuge, Prio­rität für Fuß- und Radwege, eine intelligente Verknüpfung von Energie, Haus und Verkehr durch moderne Kommunikationstechnologie –
das ist noch gar nicht abzusehen. Denn es geht ja – noch umfassen­der – um einen Wandel hin zu einer Kultur der Nachhaltigkeit.

Alle Bauschaffenden, Investoren, Hausbesitzer, Mieter, wir alle sind gleichermaßen in der Pflicht. Das Solarzeitalter, es könnte spannend werden für uns Architekten.

Der Architekt

Geboren 1944 in Freiburg, Lehre: Möbelschreiner und Maurer, Studium: Bautechnik an der Bautechnikerschule in Freiburg, Hochbau an der Fachhochschule in Konstanz. Seit 1969 „Architekturbüro Rolf Disch“ für SolarArchitektur, 1998 Gastprofessur an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Zahlreiche Umwelt-, Innovations-, Architektur- oder Kritikerauszeichnungen, zahlreiche Publikationen, Mitglied u. a. in der Architektenkammer Baden-Württemberg, im Deutschen Werkbund Baden-Württemberg, der Eurosolar - Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien, der DGS - Deutsche Gesellschaft Sonnenenergie und der DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. www.rolfdisch.de

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