Delikat bis Profan

Turnhalle in Haiming

Nagelbinder kennt man aus Discountern. Eine simple Verbindung bei Holzkonstruktionen. Dass diese Konstruktion einen Holzbaupreis gewinnen würde, damit hat die ARGE Almannai Fischer Architekten und Harald Fuchshuber Ingenieure nicht gerechnet. Doch ihre profane und dennoch reizvolle Turnhalle im oberbayerischen Haming überzeugt. Gerade weil sich die Planer vom Kostenkorsett nicht beeindrucken ließen.  

Schon lange stand der Bau einer neuen Sporthalle für den SV Haiming auf der Wunschliste der Gemeinde. Über viele Jahre wurden Standorte geprüft und verworfen, bis die Aussicht auf Offerten von Generalunternehmern für die Turnhalle mit 2,5 Feldern zu einem Fixpreis von ca. 2 Mio. € neue Hoffnung schürte. Ab hier hätte die Geschichte schnell zu Ende sein können, hätte der Altöttinger Ingenieur Harald Fuchshuber nicht die Chance ergriffen und die Präsentation eines eigenen Vorschlags erbeten. Dem wurde stattgegeben, und gemeinsam mit Florian Fischer von Almannai Fischer Architekten nahm das Team die Herausforderung an, eine Turnhalle für das gewünschte Budget zu konzipieren. Eine Sporthalle zu 2/3 der Kosten wie im BKI-Kostenrechner angegeben zu planen, erfordert Mut und Kreativität. „Wir wussten von Anfang an, dass die Kosten der Dreh- und Angelpunkt sein werden“, merkt Florian Fischer an und fährt fort: „Wie baut man am günstigsten die größte Spannweite?“ Mit einem Nagelplattensys­tem, das normalerweise für Discounter oder einfache ungedämmte Bauten verwendet wird, fanden sie ein System, das die kostengüns-tige Bauweise ermöglichte. Und was noch viel wichtiger war, es bot sich an, das System als fundamentalen Entwurfsgedanken inklusive dessen Konstruktionslogik unter ästhetischen Gesichtspunkten zu nutzen. „Architektur ist hier ein Gebrauchsgegenstand, nichtsdestotrotz kann sie alles andere als banal sein“, merkt Fischer an. Die Turnhalle wurde im Modell bildhaft entwickelt und im Gemeindeausschuss vorgestellt. Nicht nur planerisch ist das Team in Vorleistung gegangen, auch strategisch hatte es einen Trumpf in der Hinterhand. Eine in Aussicht gestellte Förderung für den außerschulischen Sport des Freistaats Bayerns machte einen zusätzlichen Budgettopf auf. Ein kleines, feines Detail, das die Entscheidung für die Planergemeinschaft brachte.

Holzkonstruktion auf Sicht

Das Konzept nimmt die Bedürfnisse der Gemeinde ernst. Zwischen Friedhof und Kirche und einem von Bäumen gesäumten Bachlauf fügt sich die neue Turnhalle in den dörflichen Kontext ein. Abgesenkt um 1 m und nicht höher als nötig ordnet sich das Volumen der bestehenden Bebauung unter. Die Integration der alten Schulturnhalle als neuer Mehrzweckraum geschieht über ein niedrigeres Verbindungsbauwerk, die notwendigen Räume für Technik, Umkleiden und Geräteräume liegen entlang der Stirnseiten der Halle und vermitteln in Maßstab und Neigung zur Umgebung. Die geschickte Anordnung der Nebenzonen an den Rändern ermöglicht eine Aussteifung der Turnhalle in Längsrichtung und damit eine großzügige Belichtung an der Nord-Westseite durch eine blendfreie und zugleich ballwurfsichere Polycarbonatfassade, und zur Süd-Ostseite ein horizontales Fensterband, das die Halle mit den Freianlagen verbindet. Die Analogie zu großen, landwirtschaftlich genutzten Gebäuden im Dorf ist gewollt.

38 filigrane, jeweils 25 m lange und 6 – 8 cm breite, in der Werkhalle vorgefertigte Nagelplattenbinder bilden das Dachtragwerk der Halle. Das enge Raster der Binder spiegelt sich in den Wandkonstruktionen wider – deren Pfos­ten, Riegel und Diagonalen ebenfalls durch Nagelplatten als Verbinder errichtet wurden. Eine Herausforderung auch für die Tragwerksplanung, wie Markus Speckbacher von HSB Ingenieure bestätigt: „Es bedurfte eines genauen Hineindenkens in die optimale Ausnutzung des Nagelplattensystems im Gesamttragwerk. Im Discounter wird pragmatisch gedacht und die Konstruktion verkleidet, in der Turnhalle ist die Nachjustierung im Detail zugunsten des Gesamtbildes die Herausforderung. Die Aussteifung funktioniert nur als komplexes System aller einzelnen Elemente. Auch die Koordinierung der Beteilig­ten war ein großes Thema, hat aber reibungslos funktioniert.“ Das bestätigt auch Armin Spinnler, Abteilungsleiter Holzbau der Laumer Bautechnik GmbH, die die Nagelplattenbinder produziert haben: „Wir suchen immer nach der bestmöglichen Lösung, bei der wir auch auf unser hauseigenes Ingenieurbüro zurückgreifen können. Aber ganz klar, das gemeinsame Verständnis von Gestaltungsvorstellungen hat zu der technischen Optimierung beigetragen.“ Auch für Spinnler war die Halle in Haiming die erste Sportstätte mit dieser Konstruktion auf Sicht. „Dass man mit so einem Produkt gleich einen Holzbaupreis gewinnt, damit hat keiner gerechnet!“ Daran war auch der Brandschutzplaner beteiligt. „Die erforderliche Zustimmung unter anderem zur Abweichung von den
gesetzlichen Vorgaben war nur durch einen objektbezogenen Brandschutznachweis und die Prüfung durch einen Prüfsachverständigen möglich“, erklärt Sven Schäfer von HSB Ingenieure GmbH die brandschutztechnische Aufgabenstellung. „Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Nutzung und der verzahnten Planung von Tragwerk und Brandschutz aus einer Hand konnte dieses Gebäude ohne kostspielige, technische Brandschutzanlagen verwirklicht werden.“

Bild eines Raumfachwerks

Neu ist die Herangehensweise der Planer, das vorhandene System auf seine ästhetische Tauglichkeit zu überprüfen. Es entsteht das Bild eines Raumfachwerks, was es aber gar nicht ist, oder einer bildhaften Wandgrafik. Es gleicht einem Suchspiel, welche Elemente tatsächlich statisch notwendig fürs Tragwerk sind und was „nur“ Dekor ist. Es gibt sozusagen eine Hierarchie der prägenden Elemente. Die, die für das Konzept wichtig sind, kamen vorgefertigt aus dem Werk und sind unverhandelbar. Oder so weit optimiert, dass ein Bild von Leichtigkeit erzeugt wird, trotzdem aber enorme Kräfte dahinterstehen. Wie z. B. die filigranen Streben an der Nordwand vor der Polycarbonatfassade. Was nach Dekor aussieht, trägt dank eines statischen Kniffs, nämlich die Lasten durch das geschlossene Dreieck in den Sparren zurückzuführen. Dagegen ist die zweite Ebene der Gesamterscheinung untergeordnet. „Eine graue sägeraue Schalung ist nicht darauf angewiesen, dass jede Fuge perfekt ist – alles andere ist Fetisch“, lacht Florian Fischer. Aber es geht auch ums Dekorative, um die leichte Unschärfe und Irritation. Dies wird besonders deutlich an der Süd-Westseite der 44 m langen Halle, bei der zur Aussteifung und zugunsten des horizontalen Fensterbandes ein Stahlbetonbinder über die gesamte Länge eingezogen wurde. Die eigentliche tragende Konstruktion aus Stahlstützen in jedem zweiten Feld wurde hinter einer OSB-Platte mit Teppichbespannung für die Akustik versteckt, jedoch über eine zweite Schicht dünner, in ihrer Optik und Raster der Nord-Ostseite entsprechenden „Holzapplikation“ fürs Auge ergänzt.

Der besondere Drive

Dass das Endresultat fast unverändert umgesetzt wurde, ist auch der besonderen Konstellation zu verdanken. „Das ganze Projekt ist getragen durch einen partnerschaftlichen Dialog, der gemeinsamen Suche nach der besten Lösung“, so beschreibt Harald Fuchshuber die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten. „Natürlich gab es Reibungen, aber es bleibt ein ehrlicher Dialog. Es braucht Identifikationspersonen, wie unsere Auftraggeber, die so ein Projekt voranbringen und die Motivation auch weitertragen.“ Den besonderen Drive bestätigt auch Rupert Koch: „Die Unterstützung der Mitglieder war vorbildlich, alle Abteilungen haben sich eingebracht: in Eigenleistung gesägt, gemalert oder die Fassade montiert.“ Ein positives Fazit zieht auch Florian Fischer: „Retrospektiv ist es natürlich gut, wenn die Story passt. Für uns war es wichtig, das Konzept selber vorstellen zu können und die Gemeinde mit auf die Reise zu nehmen.“ Den Stolz auf das Ergebnis merkt man ihm aber schon an, als er kokettiert: „Würden wir heute noch mal anfangen, wären wir noch mutiger, dann sähe unser Entwurf für die Turnhalle vermutlich ganz anders aus.“  Es bleibt spannend, was vom Team Fischer / Fuchshuber demnächst zu sehen sein wird. Eva Maria Herrmann

Baudaten

Objekt: Turnhalle
Standort: Hauptstraße 24,
84533 Haiming, Landkreis Altötting
Typologie: 2,5-Sportfeldhalle mit Verbindung zur alten Schulturnhalle
Bauherr: SV Haiming in enger Abstimmung mit und Förderung durch die Gemeinde Haiming
Nutzer: SV Haiming
Architekten: ARGE Almannai Fischer Architekten, München, www.almannai-fischer.de und Ingenieurbüro Harald Fuchshuber, Altötting
Mitarbeiter (Team): Florian Fischer, Harald Fuchshuber, Rolf Enzel, Benjamin Jaschke, Antonia Sivjakov
Bauzeit: 2013 – Oktober 2016

Fachplaner

Tragwerksplaner/Brandschutz:
HSB Ingenieure, Mehring,
www.hsb-ingenieure.de
TGA-Planer: intertech GmbH, Landau, www.intertech-gmbh.eu
Elektroplaner: Elektro Rössler GmbH mit Stefan Wilhelm, Burghausen
Landschaftsarchitekt: Link Landschaftsarchitekten, Altötting,
www.link-landschaftsarchitekten.de

Baukosten

KG 200 (netto/brutto): 53 711 €/ 63 916 €
KG 300 (netto/brutto): 1,43 Mio. €/ 1,7 Mio. €
KG 400 (netto/brutto): 466 484 €/ 555 115 €
KG 500 (netto/brutto): 79 827 €/ 94 995 €
KG 700 (netto/brutto): 490 861 €/ 575 890 €
Gesamt brutto 2,99 Mio. €
Gesamt netto 2,52 Mio. €

Projektdaten

Hauptnutzfläche: 1 617 m²
Brutto-Grundfläche: 1 800 m2
Brutto-Rauminhalt: 13 827 m³

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 98,8 kWh/(m²a)

Endenergiebedarf: 183,9 kWh/(m²a)

Jahresheizwärmebedarf:
133,1 kWh/(m²a)

Gebäudehülle

U-Wert Außenwand = 0,27 W/(m²K)
U-Wert Bodenplatte = 0,27 W/(m²K)
U-Wert Dach = 0,19 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster = ca. 0,90 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 0,70 W/(m²K)

Hersteller

Nagelplattenbinder und -wand­elemente: Laumer Bautechnik GmbH, www.holzbau.laumer.de
Aluminiumfenster: HUECK GmbH & Co. KG, www.hueck.com
Tür- und Fenstergriffe: FSB Franz Schneider Brakel GmbH + Co KG,
www.fsb.de
Türen: Schörghuber Spezialtüren KG, www.schoerghuber.de
Sporthallentore: Pfullendorfer Tor-Systeme GmbH & Co. KG,
www.pfullendorfer.de
Böden: nora systems GmbH,
www.nora.com; DLW Linoleum AG, www.dlw.de; Argelith Bodenkeramik H. Bitter GmbH, www.argelith.de; Rako, www.rako.cz/de
Ziegel: Schlagmann Poroton GmbH & Co. KG, www.schlagmann.de
Mauerwerk: KS-ORIGINAL GMBH, www.ks-original.de
Dachziegel: Erlus AG, www.erlus.com
Lichtkuppeln: ESSMANN Gebäudetechnik GmbH, www.essmann.de
Fassadenpaneele: RODECA GmbH, www.rodeca.de

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 12/2012

Ausgezeichnete Holzkonstruktion Sporthalle in Saint- Martin-en-Haut/FR

Das für den kleinen Ort recht große Bauvolumen von 45?m Länge, 25?m Breite und 10?m Höhe integrierten die Planer in das Gelände, indem sie den natürlichen Geländeversprung nutzten. Von oben...

mehr
Ausgabe 01/2017

Deutscher Holzbaupreis 2017 ausgelobt www.deutscher-holzbaupreis.de

Der Holzbau Deutschland und seine 17 Landesverbände sowie der Bund Deutscher Zimmermeister im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes loben im Namen des Informationsdiensts Holz in Zusammenarbeit...

mehr
Ausgabe 03/2020

Identität der Architektur: Konstruktion als beseelte Leistungsform

Zweiunddreißig Architekturbüros waren der Einladung der Fakultät für Architektur der RWTH Aachen gefolgt, eine ganze Menge, die noch beeindruckender wird, wenn man bedenkt, dass zu der...

mehr
Ausgabe 06/2013

Anspruchsvoll, erfindungsreich, zukunftsweisend Deutscher Holzbaupreis 2013 vergeben www.deutscherholzbaupreis.de

Der Deutsche Holzbaupreis wurde am 7. Mai 2013 von Holzbau Deutschland – Bund Deutscher Zimmermeister im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes an fünf Bauwerke verliehen. Zu den Preisen wurden...

mehr
Ausgabe 7/8/2019

Deutscher Holzbaupreis 2019

Der Deutsche Holzbaupreis gilt in der Bundesrepublik als die wichtigste Auszeichnung für Gebäude aus Holz. Eine Fachjury hatte 157 Arbeiten zu bewerten, die von anspruchsvollen Neubauten über...

mehr