Standorte und Seh-Orte
„Der Architekt photographiert Architektur“ – zur Arbeitsweise des Fotografen Klaus Kinold

Dass die fotografische Abbildung von Architektur in den (Fach-)Medien das erinnerte Bild dieser Architektur, gar eines ganzen baugeschichtlichen Zeitraums, zu erzeugen hilft, ist eine Binsenweisheit. Selbst weitgereiste Architekten (oder Journalisten) könnten ja unmöglich die weltweite Bauproduktion in Natura inspizieren, sie alle sind in ihrer Rezeption auf diese Sekundärquelle angewiesen. Dass ein fotografisches Abbild alles andere nur nicht die Realität wiedergeben kann, ist ein weiterer Allgemeinplatz, spätestens zu Bewusstein gekommen, als sich die Weiße Moderne, etwa der rasanten Schwarz-Weiß-Fotografie der Bauhaus-Lehre, als ungeahnt bodenständiger und farbiger Baubestand erwies, der nun wiederum, nach Restaurierungen und farbfotografischer Dokumentation, irritierend fremd erscheint. Und natürlich gibt es individuelle Temperamentslagen und künstlerische Intentionen, mit der jeder Architekturfotograf seine Aufgabe umsetzt und ganz unweigerlich auch persönlich färbt.

Besucht man die Ausstellung des Architekturfotografen Klaus Kinold im Architekturmuseum der TU München, zusammengestellt anlässlich seines 70. Geburtstages, ist man zu-
erst einmal erstaunt, wie viele alte Bekannte, nämlich Fotos aus unzähligen Veröffentlichun-
gen, man hier wiedersieht. Kinolds Fotografien sind fast immer Auftragsarbeiten, ganze Publikationsreihen, etwa der Beton- oder Kalksandstein-Industrie, wurden vom Atelier Kinold über lange Jahre mit ruhiger Hand (und offensichtlich ja bereits stilprägend) redaktionell betreut. Damit ist auch Kinolds primäre Absicht seiner Fotografien umrissen, nämlich ein Bauwerk über eine mitunter äußerst begrenzte Anzahl von Abbildungen in seiner konzeptionellen und materialisierten Essenz für eine Veröffentlichung zu erfassen.

Diese Handvoll Kennfotos erarbeitet sich Kinold sorgfältig. Als ausgebildeter Architekt geht er in seinen Vorbereitungen über die Analyse von Grund- und Aufrissen sowie Schnitten vor, nach mitunter stundenlanger Begehung des Bauwerks legt er dann seine Seh-Orte fest, die er auch jederzeit wieder auffinden könnte, als eine Art Drehbuch des Fotografierens, das die Bauidee erschließt. Meist in planen Frontalaufnahmen festgehalten, meidet er subjektive Annäherungen, wie sie sich beispielsweise über extreme Blickwinkel oder erhöhte Aufnahmestandorte ausdrücken können. Auch ausgeprägte Lichteffekte oder tiefschwarze Schlagschatten, das Markenzeichen der Fotografie einer radikalen Moderne, sucht man vergeblich, ebenso narrative oder bewusst atmosphärische Facetten. Meist kommt Schwarz-Weiß-Material zum Einsatz, seltener Farbe, und wenn, dann in erster Linie zur Feindifferenzierung von Material und Oberfläche, nie als expressives Beiwerk. Selbstverständlich wird auf die heute übliche digitale Nachbearbeitung verzichtet, Kinold will ein Gebäude so pur zeigen, „wie es sich dem Betrachter zwölf Stunden am Tag darstellt“.

Dergestalt hat Klaus Kinold eine hoch konzentrierte, verhaltene und kontrastarme, sehr homogenisierende Bildsprache aufgebaut, die mit manchen der abgebildeten Bauwerke geradezu kongenial zusammengeht. So ist es nicht verwunderlich, dass Herman Hertzberger, der ursprünglich seine Bauten gerne selber fotografierte, später ausschließlich auf Kinold vertraute. Die räumlichen Überlagerungen, differenzierten Schichtungen und feinen Binnenzeichnungen der verwendeten Materialien, etwa des Betonsteinmauerwerks in Hertzbergers Bauten, lassen sich wohl nur über Kinolds Technik als jeweils gleichwertige Bestandteile eines sehr komplexen Ganzen erfassen.

Mit seiner Arbeitsweise steht Kinold freilich im Gegensatz zu vielen derzeit tätigen Fotografen, die die großformatige farbige Architekturaufnahme als autonome Kunstform anstreben, gar Architektur nur mehr als Rohmaterial einer künstlerischen Interpretation und Verfremdung einsetzen. Diese spektakulären artistischen Standorte scheinen mit einer zunehmend flüchtiger werdenden Betrachtung der Architektur einherzugehen, beschleunigt zudem durch immer neue Publikationen, seien es Print- oder digitale Medien. Oder ist es umgekehrt? Scheint die Masse der augenblicklichen Architekturproduktion nur mehr über einen hohen subjektiven Inszenierungsaufwand überhaupt noch eine Unterscheidbarkeit zu erhalten?

Die erste Ausstellung des Architekturmuseums München, die sich ausschließlich dem Fotografieren von Architektur widmet, zeigt erneut, welche Schlüsselrolle die bildhafte Wiedergabe in der visuellen Vermittlung baulicher Realisierungen und ihrer Kanonisierung übernimmt. Sie zeigt leider aber auch, wie abgekoppelt vom aktuellen ästhetischen Mainstream diese sich zurücknehmende und seriös der Aufgabe verpflichtete Haltung in den Fotografien eines Klaus Kinolds mittlerweile ist. Und das gilt wohl auch für einige der abgebildeten Architekturen. Bettina Maria Brosowsky, Braunschweig

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