»Immobiler Sonnenschutz ist ein interessanter ­Ansatz, den es lohnt zu verfolgen«

Immobiler Sonnenschutz ist eine Möglichkeit in klimatischen Zonen wartungsärmer zu bauen. Stefan Behnisch von Behnisch Architekten spricht über das zukunftsträchtige System, das bereits bei adidas in Herzogenaurach, AGORA in Lausanne und die Universität Harvard in Boston verwendet wird.

Herr Behnisch, für das Krebsforschungslabor AGORA in Lausanne haben Sie im Büro erstmals intensiv an einer immobilen Sonnenschutzlösung gearbeitet. War das eine Herausforderung für die Bauherrschaft?

Eigentlich haben wir uns darüber keine Gedanken gemacht und vielmehr getan, was wir für richtig hielten. Denkt man bei einem Wettbewerb darüber nach, was wem gefallen könnte, kommt man immer auf Abwege – schließlich sind ein Preisgericht und ein Bauherr oft sehr vielfältig. Aber mir ist klar, dass wir die Aufgabe nicht mit einem Developer und unter Kostengarantie so hätten lösen können. Da stehen andere Aspekte als Nutzerwohlbefinden, Forschungseffizienz, Kommunikation im Vordergrund.

Sobald ich mich für ein mathematisch komplexes Fassadensystem entscheide, muss ich mich anders damit auseinandersetzen. Ich kann dem Bauherrn lange im Wettbewerb versprechen, dass alles gut wird, aber eine gewisse Substanz braucht es schon. Während man sich in Deutschland manchmal durch den Wettbewerb mit einem glaubwürdigen Versprechen „durchschmuggeln“ kann, verlangen Schweizer Architekturwettbewerbe einen solider ausgearbeiteten Entwurfsansatz, der schon einem Vorentwurf gleicht. Uns kam das beim Projekt AGORA sehr zugute – in einem deutschen Wettbewerb hätten wir gar nicht so tief einsteigen können, weil uns schlichtweg die Zeit und auch die Mittel dafür fehlen würden. ↓

Benutzten Sie besondere Programme zur Bearbeitung, auch für die Zusammenarbeit mit den Fachplanern, oder haben Sie „traditionell“ entworfen?

Beim Wettbewerb selber arbeiten wir üblicherweise mit wenig mehr als den üblichen CAD-Lösungen, oft mit Handzeichnungen und Arbeitsmodellen.

Da Wettbewerbskonzepte und -entwürfe in iterativen Prozessen entwickelt werden, sind Programme, die auf parametrischen Ansätzen beruhen, wie Grasshopper, hilfreich. Hier ist weniger Präzision und Koordination als Schnelligkeit und Flexibilität das Thema.

BIM-Software wie Revit hätte hier in der weiteren Bearbeitung schon eingesetzt werden können, es bleibt aber eine Herausforderung und ein Aufwand. In den USA haben wir schon über 12 Jahre Erfahrung mit diesen Lösungen, vor allem mit Revit. Man muss aber immer schauen, welche Vorteile man erwartet. Brauche ich den Gewinn nicht, den ein Programm verspricht, schränke ich den Kreis der Akteure ganz erheblich und unnötig ein. Ich verenge damit künstlich den Markt. Tatsächlich hätte uns BIM beim Projekt AGORA keine grundlegende zusätzliche Information geliefert, die wir nicht auch anders erhalten haben. Für die Präzision der AGORA-Fassade war Rhino völlig ausreichend. Man muss auch bedenken, dass die anderen Projektbeteiligten ein 3D-Modell öffnen und bearbeiten können müssen. Und bei einem Modell wie der Sonnenschutzgrid von AGORA mit all seinen unterschiedlichen Ausrichtungen ist hier die Grenze schnell erreicht.

Sehen Sie denn auch konkrete Nachteile in der Verwendung einer BIM-Software?

In Boston, wo wir momentan für die Universität Harvard bauen, haben wir tatsächlich festgestellt, dass uns BIM in der Planung bei bestimmten Elementen bremst. Die Stärke von BIM ist letztendlich ja eher in der Koordination und Datenerfassung als im Entwurfsprozess zu sehen. Die dortige Sonnenschutzlösung ist äußerst komplex, die vielen Informationen, die BIM verlangt, verlangsamen die Arbeit. Wir können das Programm teilweise nicht mehr ohne redaktionelle Arbeit öffnen, weil es im Hintergrund – was ja eigentlich die Stärke und die Idee dahinter ist – alle Details mitzieht, auch die aller ausführenden Firmen. Wenn ich bei der Sonnenschutzlösung jedoch die Statik und die Haustechnik gar nicht betrachten will, verkompliziere ich den Prozess. Für Harvard nutzten wir BIM, bildeten darin aber den Sonnenschutz nur linear ab. Detailliert wurde es mit dem Einsatz der Engineering-Anwendung Catia, mit der wir die maschinelle Fertigung der ca. 18 000 Fassadenelemente planen konnten.

Bei den drei genannten Projekten haben Sie sich sehr auf das Thema Fassade und deren Bedeutung als Tageslichtlenkerin fokussiert. Wieso?

Das Thema Tageslicht hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Die medizinische Forschung ist hier zu neuen und dezidierten Ergebnissen gekommen. Die Bedeutung des Tageslichtes, der Lichtfarben und der Veränderung in Farbe und Intensität für unser Wohlbefinden wird heute völlig anders bewertet als noch vor wenigen Jahren. Dazu kommen tiefere Grundrisse im städtischen Kontext und bei bestimmten Bauaufgaben. Auch wird die städtische Nachverdichtung zu neuen Herausforderungen bei der Tageslichtausbeute führen.

Das Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz beschäftigt uns im Büro schon lange. Weltweit erleben wir gerade eine enorme Nachhaltigkeitsdebatte, mit Erstaunen scheinen wir festzustellen, dass wir ein Umweltproblem haben und der Bausektor hier mitschuldig ist. Lange Zeit waren wir der Meinung, wir hätten das Thema im Griff – als Deutsche neigen wir ja eh dazu, zu sagen, wir seien die Größten. Dabei stimmt das nicht, wir sind schon lange nicht mehr das Beispiel für andere in Umweltfragen und man kann sagen, dass wir in den letzten 10 Jahren den Anschluss verloren haben. Man meint, alles sei über die Dämmung der Gebäude zu lösen – wie einfältig! Wir müssen aufhören, Nachhaltigkeit nur quantitativ zu betrachten und endlich auch Qualität und die damit verbundenen Chancen in den Fokus rücken. Dann werden das Licht und unser Umgang mit ihm ein entscheidender Faktor.

Also einen ähnlichen Weg gehen, den auch die Zertifizierung im Bauwesen in den letzten Jahrzehnten gegangen ist, hin zu einer globaleren Betrachtung des Gebäudes.

Ja, auch bei den Zertifikaten ist man heute viel weiter. Während AGORA als Minergie Plus eingestuft ist, erhielt adidas den Titel LEED Gold. Für Harvard werden wir LEED Platinum erreichen und die Red List der 25-Challenge. Bei dieser Zertifizierung darf man im Inneren nur nachweislich ungiftige und recyclebare Materialien verarbeiten – das ist dann wirklich komplex. Da noch keine offiziellen Listen und nur wenige Informationen zu qualifizierten Materialien zur Verfügung stehen, mussten wir dafür den „Stammbaum“ aller eingesetzten Materialien zurückverfolgen – und das bei Baukosten um die 800 Mio. $. Bei der 25-Challenge sind lediglich Abweichungen von ca. 20 % gestattet, aber das verbraucht man schon mit der LED-Beleuchtung und dem Building Management System, also mit Elektronik. Zum Schluss darf man nicht mal mehr jeden Teppich ins Gebäude legen.  ↓

AGORA, adidas, Harvard – bleiben Sie jetzt auf diesem Kurs?

Nein, natürlich wird immobiler Sonnenschutz nicht das Leitmotiv unseres Büros. Aber ich meine, dass wir einen interessanten Ansatz haben, den zu verfolgen sich lohnt. Tageslicht muss man nicht nur ausblenden, sondern kann den Anteil nutzen, verstärken und optimieren, den man im Gebäude haben möchte. Auch jahreszeitenabhängig. Glücklicherweise verhält sich die Sonne berechenbar. Im Sommer steht sie hoch, es ist wärmer, oft heiß. Licht ist im Überfluss vorhanden. Im Winter steht sie tief, ist unser Freund, soll ins Gebäude. Wir stehen immer noch am Anfang der Entwicklung: AGORA ist bereits sehr gut und komplex umgesetzt worden, nicht zuletzt dank der Unterstützung von Transsolar, Bartenbach Lichtlabor und der Fassadenfirma. Das adidas-Gebäude entstand etwa parallel dazu in einem anderen Maßstab. Für Harvard ist das gesamte System weiterentwickelt worden. Das Haus ist größer, die Grundrisse sind tiefer. Deshalb mussten wir viel mehr Gewicht auf die Tageslichtlenkung legen. Auch die Elemente haben sich grundlegend verändert, verglichen mit jenen der AGORA in Lausanne: Die im Waterforming-Verfahren tiefgezogenen Elemente aus Edelstahl sind kleiner und anders verbaut. Ich finde diese Entwicklung unglaublich spannend und möchte das Thema gern vertiefen. Nicht zuletzt bringt jedes Projekt neue Herausforderungen, auf die man situationsbedingt Rücksicht nehmen muss und an denen man auch wachsen kann.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Katinka Corts mit Stefan Behnisch in Lausanne.

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