Gemeinwohl in der Stadt der Zukunft

Die Stadt der Zukunft ist grün und gemeinschaftlich – wenn diese beiden Faktoren bei der Stadtplanung mehr Beachtung finden, lassen sich auch andere Herausforderungen meistern, die einer lebenswerten Stadt im Wege stehen, wie Bezahlbarkeit oder Vernetzung. Eine scheinbar einfache Formel, die sich in eine Reihe progressiver Grundsätze einreiht, die einer in erster Linie auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaft entgegenstehen und gegenwärtig von verschiedenen (politischen) Seiten vertreten werden. Zu oft sind es jedoch wohlklingende Floskeln ohne weitreichende Konsequenz: Weniger Platz für Autos, mehr Raum für FußgängerInnen, bezahlbarer Wohnraum für alle und Stopp der Privatisierung, Nutzungsmischung anstatt Monofunktionalität im Städtebau. Die Liste ließe sich fortsetzen. Eine Online-Konferenz der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen widmete sich nun, Mitte März, diesen und anderen Aspekten der urbanen Zukunft und kann, wenn man alles Parteipolitische außer Acht lässt, als positiver Versuch gesehen werden, das Thema konkreter werden zu lassen und die vielfältig bestehenden Diskurse zu unterstützen.

Gemeinsam getrennt leben!

Prof. Jutta Allmendiger vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung betonte in der Podiumsdiskussion gleich zu Beginn der Veranstaltung, dass die Menschen in Deutschland besonderen Wert auf Gemeinschaft legten, mehr noch als auf die Themen Gesundheit oder Sicherheit. Sie wünschten sich jedoch, so Allmendiger, gemeinsam getrennt zu leben, also gleichzeitig auch Rückzugsmöglichkeiten zu haben. Auch Helle Søholt von Gehl Architects lenkte die Veranstaltung mit ihrer Position in eine ähnliche Richtung: „Die ganze Stadt sollte ein Wohnzimmer sein“ – sie plädierte für kleinere Wohnungen und mehr öffentliche Räume sowie für mehr Dezentralität. Beide Positionen, zwar nicht neu, aber mit Nachdruck vertreten, verdeutlichten die Ambition der Veranstaltung, den wirtschaftsliberalen Standpunkten keinen Platz einzuräumen. Die Konferenz eröffnete also keine breitgefächerte politische Debatte, sondern stellte eine Plattform für Zukunftsideen bereit und bildete eine Palette von Themen ab, mit denen die PlanerInnen der Städte von heute und morgen konfrontiert sind und sein werden – fast zu viele, um sie in fünf Stunden Online-Konferenz zu diskutieren.

Aber, wie der Titel „Städte neu denken“ vermuten lässt, war das Ziel weniger, konkrete städtebauliche Lösungen zu präsentieren, als vielmehr, Denkanstöße für neue maßgebende Stellschrauben in der Stadtplanung zu identifizieren und einen Austausch zu ermöglichen: nicht nur in Richtung bezahlbares Wohnen, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl, sondern auch zu Bereichen wie Digitalisierung, Bodenspekulation, „die essbare Stadt“ oder „die Stadt für Kinder“. Damit waren die Themenfelder weit abgesteckt und tatsächlich richtete sich die Konferenz weniger an die professionellen PlanerInnen, als vielmehr an die breitere (WählerInnen-)Öffentlichkeit, die mit den hier diskutierten Denkansätzen unter Umständen selten in Berührung kommt. Ein Vorstoß, der möglicherweise eine ähnliche   Intention hat wie die kurz zuvor von Anton Hofreiter (ungewollt?) angestoßene Debatte um die Zukunft des Neubauens von Einfamilienhäusern.

Zentrale Schaltstelle sind die Eigentümer

Anstatt auf bebilderte ExpertInnenvorträge zurückzugreifen, moderierten die VeranstalterInnen ausschließlich Diskussionen in sogenannten „Workshops“ – kleine Runden mit einem Teil der TeilnehmerInnen und zwei bis drei geladenen Gäs-ten zu den verschiedenen Themen. Die Moderator­Innen hielten sich dabei mit ihren Positionen zurück und nahmen Anregungen sowohl von Seiten der geladenen Gäste als auch der TeilnehmerInnen zu Handlungsmöglichkeiten auf Bundesebene entgegen. Im Workshop zur produktiven Stadt kam beispielsweise die Forderung nach einer Über­arbeitung des Gewerbemietrechts auf sowie die Idee einer Plattform, über die sich BauherrInnen, NutzerInnen, PlanerInnen und andere Interessierte austauschen können. „ImmobilienbesitzerInnen müssen zum Mitmachen motiviert werden, denn die zentrale Schnittstelle für die produktive Stadt ist der Eigentümer“, so der Architekt Thomas Laubert vom Architekturstudio Mitte (Gera). Mit einem „Schlaglicht“ auf sein Projekt von innerstädtischem Gewerbe in Gera lockerte er die theoretische Auseinandersetzung zum Thema der produktiven Stadt mit den Gästen Sandra Wagner-Endres vom Deutschen Institut für Urbanistik und Dr. Stefan Gärtner vom Institut für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule deutlich auf. So zeigte er exemplarisch die politischen Stellschrauben auf, die zu einer leichteren Umsetzung von ähnlichen Projekten beitragen könnten.

Leerstandssatzung: Eigentum entziehen

Als Gast des Workshops „Sozialer Stadtboden“ war Daniela Brahm von der ExRotaprint gGmbH und der Stadtbodenstiftung eingeladen. Die ExRotaprint gGmbH wurde gegründet, um das ehemalige Rotaprint Gelände in Berlin Wedding vor dem Abriss zu bewahren und setzt sich seitdem für Denkmalschutz und die Förderung von Kunst und Kultur ein. Aus ihren Erfahrungen als Teil und Mitbegründerin der gemeinnützigen Gesellschaft konnte Daniela Brahm auf der Konferenz konkrete Vorschläge darlegen, wie eine gemeinwohlorientierte Flächenentwicklung ermöglicht und unterstützt werden kann. Beispielsweise plädierte sie dafür, das Vorkaufsrecht der Kommunen zu erweitern, nicht nur in den ­Milieuschutz- und Sanierungsgebieten. Außerdem schlug sie für die Ermittlung von Grundstückspreisen ein Ertragswertverfahren vor, das auf dem Wert basiert, den ein Grundstück zum Beispiel mit ­sozialem Wohnungsbau erwirtschaften kann. Der Chat des Workshops wurde von den TeilnehmerInnen rege genutzt. Ein Mann schrieb „Leerstand darf sich nicht lohnen!“ worauf Frauke Burgdorff, Dezernentin für Planung, Bau und Mobilität der Stadt Aachen, mit einem weiteren innovativen Vorschlag kam: eine Leerstandsatzung, die den Kommunen ermöglichen soll, EigentümerInnen beispielsweise nach einem Jahr Leerstand das Eigentumsrecht zu entziehen.

So entstand in den fünf Stunden der Tagung ein breiter Pool an Ideen, Wünschen und Forderungen, der der Grünen Bundestagsfraktion an die Hand gegeben wurde, für die TeilnehmerInnen gab es Informationen und Anregungen. Die Ergebnisse könnte man ambitioniert und utopisch nennen – oder schlicht: zukunftsweisend. Zuversichtlich macht, dass sich politische EntscheidungsträgerInnen für eine bedarfsgerechte Finanzausstattung oder die gemeinwohlorientierte Flächenentwicklung interessieren. Bleibt zu hoffen, dass die Impulse aus der Blase der Konferenz in die Tat umgesetzt werden und gegenteiligen Positionen standhalten – diese waren auf der Konferenz kaum vertreten. Ina Lülfsmann

www.gruene-bundestag.de
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