Feines Fassadenkleid für einen Rohling

Das Museum M9 im italienischen Mestre spielt mit wuchtigen Volumen und leichtfüßiger Gestalt – zusammengebracht von einer maßgeschneiderten Gebäudehülle. Zentral hierfür war eine präzise Detailplanung, die bereits mit den ersten Skizzen begann

Dass eine gute Vorbereitung oft ein Schlüssel zum Erfolg ist, zeigt das Projekt Museum M9 in Mestre.  Vom Wettbewerbsgewinn 2010 bis zur Fertigstellung acht Jahre später blickt es auf eine lange Zeit der Planung zurück. Zeitweise wusste niemand, ob dieses Museum jemals realisiert werden wird. Davon unberührt blieb jedoch das Fassadenkonzept, zu dem bereits die ersten Ideen in detaillierten technischen Skizzen festgehalten und schlussendlich auch umgesetzt wurden.

Dabei erscheint das Komplexe zunächst in einfacher Gestalt: Der skulpturale Baukörper besteht im Wesentlichen aus Farbe und Form. Fenster und damit Licht werden akzentuiert gesetzt, Ausblicke ganz gezielt geführt und nur an wenigen Stellen ermöglicht. Die Kubatur unterscheidet nicht zwischen Wand, Untersicht und Dach. Alles erscheint einfach; komplizierte Details sieht man nicht.

Keramikpixel kontrastieren den Ortbeton

Ein Körper aus Beton wird mit einem Kleid aus glasierter Keramik umhüllt. Diese einfache Idee verlangt eine sehr präzise Umsetzung. Denn die aufgestellten Gesetzmäßigkeiten, wie und wo der Bau bekleidet wird, sollten in allen Details und Übergängen gleichermaßen ihre Gültigkeit bewahren. Der Betrachter muss nicht verstehen, wie die Umsetzung erfolgte. Das Ziel war eher eine im Detail unauffällige Einfachheit. Gerade deshalb war es wichtig, Abhängigkeiten sehr früh im Entwurfsprozess zu erkennen und zu verstehen, welche Auswirkung die Gestaltung des Innenraums auf das Äußere hat und umgekehrt.

Der zurückgesetzte Teil des Volumens und alle Untersichten wurden in zweischaligem, kerngedämmtem Ortbeton ausgeführt. Dessen grobe Struktur und seine Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche sind gewollt, da sie die Herstellungsweise erkennen lassen. Allerdings brachte diese Materialwahl auch Herausforderungen mit sich. Denn der Einsatz von vergleichsweise kleinen Keramiktafeln an der großen Fassade erforderte geringe Toleranzen, besonders am Übergang zu benachbarten Bauteilen und Abschlussblechen. Daher musste die Linienführung äußerst präzise erfolgen und alle Ecken, Kanten und Winkel besonders scharfkantig ausgeführt werden. Bei kerngedämmtem Ortbeton wirken sich die Toleranzen der inneren, tragenden Betonschale direkt auf die äußere, nicht tragende Sichtschale aus.

Zudem ist die Dämmung druckfest und hat eine definierte Stärke; sie bietet also ihrerseits ebenfalls keine Ausgleichsmöglichkeiten. Deshalb muss die äußere Schalung äußerst exakt positioniert werden – mit einer Toleranz von lediglich +/- 10 mm. Bereits im Entwurf lag daher der Fokus darauf, alle Ecken, Kanten und Fluchten präzise zu planen und Übergänge so zu definieren, dass sich in der Ausführung keine unvorhergesehenen Abweichungen ergeben. Gleichzeitig muss man die Eigenschaften des Baumaterials akzeptieren: In der Oberfläche dominiert die vieles kaschierende Bretterschalung, die Löcher der exakt platzierten Schalungsanker blieben offen, die Geschossdecken zeichnen sich dezent an der Fassade ab, da hier Betonierabschnitte unvermeidlich waren. Bei dieser Art des Ortbetons kann man in der Planung und der Ausführung – zum Beispiel durch die präzise Vermessung der Schalung – vieles beeinflussen. Doch wenn er einmal gegossen ist, kann man das Ergebnis nicht mehr beeinflussen und man muss mit dem Entstandenen umgehen.

Ein Schnittmuster für das Fassadenkleid

Das farbige Pixelkleid der vorgehängten, hinterlüfteten Keramik bildet den feingliedrigen Kontrast zur rohen Betonfassade. Zwar ist dank dessen zweiteiliger Unterkonstruktion ein gewisser Toleranzausgleich möglich, um eine vollständige ebene Fläche herzustellen. Allerdings sind die Fertigungstoleranzen der Keramik sehr gering. Für die glasierten Keramiktafeln wird der Ton durch eine Form, das sogenannte Mundstück, als Strang gepresst und in der Länge geschnitten, gebrannt, glasiert und nochmals gebrannt. Jede Keramiktafel wird anschließend einzeln und verdeckt in eine Haltekonstruktion aus Aluminium eingehängt. Die Herausforderung bestand hier in der exakten Planung des Rasters, also aller Ecken, Anschlüsse und Übergänge. Wie das Schnittmuster eines Kleides, das Fadenlauf und Muster eines Stoffs berücksichtigt, bestimmt das Raster die Anpassung der Fassade an das Volumen des Baukörpers. So verläuft die Keramik teils schräg mit dem Volumen und der inneren Haupterschließungstreppe nach oben, wobei die Fugen sich dennoch stets vertikal orientieren. In diesen Bereichen muss die Keramik zusätzlich vor seitlichem Verrutschen gesichert werden. An den Übergängen und den Gebäudeecken wurde die Keramikbekleidung auf Gehrung geschnitten und mit 6 cm langen Kurzstücken verbunden, sodass die Hohlkammern verdeckt sind und die Fuge nicht mehr sichtbar ist.  Für untere Abschlüsse wurden Formteile mit integrierter Abtropfnut gezogen, die unterseitig ebenfalls 6 cm tief sind.

Ob das Kleid sitzt, entscheidet sich im Detail

Insbesondere jene Stellen, an denen sich die Baukörper miteinander verschneiden, wurden die Übergänge zwischen dem Ortbetonvolumen und der Keramik bereits frühzeitig skizziert und entwickelt. Hier überragt zum Teil der aus dem Inneren emporsteigende Sichtbetonkörper den mit Keramik bekleideten äußeren, teils steht er auch hinter diesem zurück. Davon unbenommen laufen jedoch die horizontalen Linien präzise durch. Die ursprüngliche Idee, den notwendigen Wetterschenkel oberhalb der Keramikbekleidung unter die äußere Schale des Sichtbetons zu führen, konnte daher nicht umgesetzt werden. Stattdessen erhielten Beton und Keramik in der Ausführung eine schmale, silbrig glänzende Ansichtskante aus Zinkblech.

Situativer Entwurfsansatz

Sitzen die Fenster innen oder außen bündig oder in der Dämmebene? Bei diesem Projekt wurde die Frage situativ anhand der jeweiligen konkreten Vorgaben des Innenraums, der Ansicht von außen und des Gesamtvolumens beantwortet. Fenster und Glasfassaden spielen sich hier nicht in den Vordergrund, sie sind dort positioniert, wo Licht hereinkommen soll, ein Ausblick inszeniert wird oder Büros und weitere Nutzungen Fenster und Öffnungsflügel benötigten. Die Inszenierung des Gesamtkomplexes steht dabei immer auch im Dienste der Funktionalität und geschieht daher dort, wo sie angebracht ist. Wo die Nutzung des Gebäudes andere Anforderungen mit sich bringt, verhält sie sich dagegen zurückhaltend.Bereits von Beginn an haben die verschiedenen Fenster und Fassaden Namen erhalten, die sie beschreiben und charakterisieren, die kurz und knapp einen Entwurfsgedanken formulieren.

Das Schlitzfenster

Der inneren Haupttreppe folgend, zerschneidet ein langes, schmales und nur durch verfugte Glasstöße vertikal gegliedertes Fenster die in gleichem Winkel verlaufende Keramikfassade. Hier erhalten die Besucher verschiedene Ausblicke auf die Altstadt von Mestre und die anderen Bauteile des Museums. Während sie sich über die Treppen und Podeste nach oben bewegen, verändert sich ihre Position zum Fenster. Mal liegt es auf Augenhöhe, mal darüber oder darunter. Im unteren Abschluss erhält das Schlitzfenster eine zarte Betonung nach unten, im oberen Abschluss ein gespiegeltes Pendant. Der Anfang und das Ende des bewegten Fensters werden akzentuiert, wer will, bleibt stehen und schaut hinaus.

Die tiefen äußeren Laibungen sind mit Blechen bekleidet und zugunsten der Linienführung nur mit minimaler Dämmung versehen.

Das innenbündig angeordnete Fenster wurde mit einer Stufenverglasung ohne sichtbare Rahmung geplant. Die randbedruckte Verglasung sitzt in der Ortbetonwand des Treppenhauses und wird oben und unten gehalten.  Vertikal gliedern das Schlitzfenster lediglich die schmalen Silikonfugen zwischen den Stößen der Scheiben. Die Innenwände des Treppenraums sind dabei ebenso mit Bretterschalung ausgeführt wie die Ortbetonfassaden außen. Man befindet sich hier noch in einem Transitraum zwischen Innen und Außen. Diese rahmenlose Lösung konnte im späteren Projektverlauf jedoch leider nicht umgesetzt werden. Vor allem, weil der Hersteller des bei der Planung zu Grunde gelegten Systems Insolvenz anmeldete und etwas Vergleichbares nicht als Systemlösung erhältlich war. Das Fenster erhielt schließlich einen zusätzlichen, inneren Rahmen aus Aluminiumblech. Der dient auch dazu, zwischen der planen Verglasung und dem mit Bautoleranzen behafteten Sichtbeton zu vermitteln. Die ursprüngliche gestalterische Idee ist aber immer noch erkennbar.

Das Erkerfenster

Eine gänzlich andere Situation hat zu der Ausprägung des Erkerfensters geführt. Das äußere Volumen spreizt sich hier auf und gibt eine Fläche aus Glas und Beton frei. Keine andere Materialität soll hier stören, das Glas des Fensters sitzt außen in derselben Ebene wie der Beton. Auch hier musste – wie beim Schlitzfenster – die Laibung gedämmt werden, dieses Mal nach außen. Die äußere Glas-ebene der Isolierverglasung ist als Stufe ausgebildet und verdeckt damit den inneren Anschluss. Die inneren Wände sind mit Trockenbauelementen bekleidet, so dass alles technisch und konstruktiv Notwendige dahinter versteckt werden konnte.

Der Blick von innen schweift entlang dieser glatt verputzen Wand und fällt auf die Stirnseite der leicht winklig dazu anschließenden Außenwand. Den Raum dazwischen füllen nur Licht und Glas. Es entsteht ein gerahmter Ausblick auf die umgebende Stadt. Oberstes Ziel war es, dass nichts stört, nichts den Betrachter ablenkt und das Fenster nicht als eigenes Bauteil wahrgenommen wird.

Die Deckenstirn zwischen den beiden übereinandersitzenden Erkerfenstern wurde mit bedrucktem Glas bekleidet. Auch hier zieht sich das Glas in einer Ebene ohne weitere Elemente von Fenster zu Fenster über die Deckenstirn fort.

Konstruktiv handelt es sich hierbei um eine Pfos­ten-Riegel-Fassade aus Stahl, deren Profile durch den Innenausbau komplett verdeckt sind. Die Verglasung wurde von außen montiert, anders als üblich jedoch von innen verschraubt. Das außen bündig in der kalten Schale der Betonwand sitzende Element ist innen über die Pfosten und Riegel an der warmen Wandseite montiert.

Von Beginn an wurden die technischen Möglichkeiten der Umsetzung für diesen klaren und einfachen Entwurfsgedanken betrachtet und konsequent bis zur Umsetzung weiter verfolgt.

Das große Sheddach

Der große Saal bekommt sein Licht von oben. Die Decke wurde aufgelöst und in kubischer Form nach oben geklappt, so dass sie Platz für vertikale Fensterbänder freigibt. Hier wurde an der Decke wiederholt, was durch die Erker als Licht- und Schattenspiel in der Wand entsteht.

Doch das Sheddach ist sehr viel technischer als die Erker; hier mussten Sprinkler sowie direkte und indirekte Beleuchtung integriert werden. Die schrägen Deckenflächen wurden als Projektionsfläche für natürliches wie künstliches Licht genutzt und dienen dank entsprechender Lochung auch als Akustikelemente. Der ursprünglich außenliegend geplante Sonnenschutz wurde final innenliegend mit zwei verschiedenen textilen Behängen ausgeführt. Teils sichtbar, teils hinter dem Trockenbau verdeckt, überspannt ein Stahltragwerk den Saal. Von dem Fachwerkträger im Bereich der Fenster sind die diagonalen Rechteckrohre des in weiß gehaltenen Stahlbaus sichtbar, eine Reminiszenz an Industriebauten.

Auch von außen ist dieses Sheddach ablesbar, formt mit seinen Zacken eine Art Krone auf dem Betonvolumen. Dabei wird fein dosiert das gezeigt, was sichtbar werden soll – die eigentliche Konstruktion bleibt jedoch verborgen. Technik ist hier kein Selbstzweck, sondern dient der Funktion und Beleuchtung der Räume. Die Besucher sollen die Exponate im Museum betrachten; die Architektur des Raumes hat dabei zu unterstützen.

Zweierlei Lichtdach

Während das Sheddach die notwendige Konstruktion noch erahnen lässt, bestehen die Lichtdächer oberhalb der langen Treppe und des danebenliegenden Raumes nur aus Volumen und Licht. Das Lichtdach oberhalb des Treppenraums bildet den oberen Abschluss des mit Keramik bekleideten Volumens im Übergang zur Sichtbetonfassade. Die Neigung des Daches, des Schlitzfensters wie auch der äußeren Bekleidung folgen der Treppenneigung.

An der Decke wechseln sich in einer glatten Haut Felder aus Glas und Dämmpaneelen ab, die über frei spannende Betonfertigteile angeordnet sind. Die konstruktive Idee ist bereits in einer frühen Skizze festgehalten und wurde im Verlauf des Entwurfs nur noch weiter ausformuliert. Der Gedanke ist einfach: Sichtbar bleiben nur Licht und Glas, die Technik verschwindet. Im Planungsverlauf wurde das gestaltgebende Volumen nicht mehr als Sichtbetonschale, sondern in Trockenbauweise hergestellt. Dieses erleichterte die Integration der akus­tisch wirksamen Lamellen. Wer genau hinschaut, sieht, dass sich die innere Sichtbetonwand oberhalb der Verglasungen optisch fortsetzt. Hier wird die Innenschale oberhalb der versteckten Aufleger der Verglasung als Außenschale fortgesetzt. Isokörbe verhindern dabei Wärmebrücken. Den wenigsten Besuchern wird dieses Detail auffallen – doch viele würde es stören, wenn dort plötzlich etwas anderes, unpassendes zum Vorschein kommen würde.

Eine zwingende Bedingung für diese Ausbildung ist eine ausreichende Neigung des Daches. Wasser muss ablaufen können. Wenn Niederschlag in Pfützen stehen bliebe und nur langsam abtrocknete, würde das Dach schnell undicht und hässlich.

Direkt neben dem Treppenaufgang befindet sich ein langer, von Podesten gegliederter Raum, dessen Dach in Teilen keinerlei Neigung aufweist. Dieser sollte ursprünglich ebenfalls ein Lichtdach erhalten; die gleiche konstruktive Ausbildung war jedoch mangels Dachneigung nicht möglich.

Die Lösung ist technisch aufwendiger, da nun einzelne Glasdächer mit eigenem Gefälle die freien Flächen zwischen den Betonfertigteilen überspannen. Auf den Betonfertigteilen dazwischen sind kleine separate Dachflächen ausgebildet. Das Ergebnis ist, von unten betrachtet, dasselbe: ein Spiel aus Volumen, Licht und Glas. Jedes Profil und jeder Anschluss ist verdeckt.

Am Ende sieht alles ganz einfach aus

Wenn es gut ist, sieht man nichts. Dieser Satz hat sicherlich keine Allgemeingültigkeit. Doch in diesem Projekt ging es nie darum, Konstruktion zu zeigen und Funktionen ein technisches Abbild zu geben. Die Materialität von Keramik, Beton und Glas sowie die Akzente aus Holz stehen im Vordergrund. Licht und Schatten, mehr Aus- als Einblicke sind die entwurfsbestimmenden Themen.

Der Weg dahin besteht aus Überlegungen zu allen Details, die letztlich nichts anderes sind als die technische Klärung all dessen, was später nicht mehr sichtbar sein soll. Und so den Blick auf die gestalterische Idee freigeben.

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