Facilitäre Planung
Nachhaltigkeit im ­Green Building-Entwurf

Inflationär genutzt hat das Wort Nachhaltigkeit eine große Chance, das Wort des Jahres 2010 zu werden. Das spontane Augenrollen beim Hören des Wortes steht klar im Gegen­satz zu den positiven Absichten, die mit dem Begriff verbunden sind.

Die Häufigkeit, mit der die Begriffe ‚Nachhaltigkeit’ oder ‚Grün’ bemüht werden, ist ein Ausdruck für die Wichtigkeit, den diese Gedanken in der gemeinsamen gesellschaftlichen Bemühung um eine sichere Zukunft haben. Um es mit den Worten Willy Brandts zu sagen: „Die einfachste Art, die Zukunft vorauszusagen, ist sie zu gestalten.“

Daher fällt den Architekten und Planern eine wichtige Rolle in der Gestaltung unserer Umwelt zu und damit ist ein hohes Maß an Verantwortung verbunden. Der Begriff ‚Haltbarkeit’ steht unter anderem für den Wunsch, die Dinge so zu gestalten, dass sie inhaltlich und zeitlich Bestand haben. Nachhaltigkeit bezeichnet dabei die Absicht, die das Handeln der Beteiligten nicht nur auf den Zeitpunkt der Umsetzung begrenzt, sondern die Auswirkungen ganz klar miteinbezieht.

So wird die Lebenszyklusbetrachtung eines Projektes immer wichtiger, wenn der Betrachtungshorizont über den Fertigstellungstermin hinausgeht.


Geschichte der Nachhaltigkeit

Bereits 1987 definierte die Brundtland-Kommission die Ziele wie folgt: „Eine Entwicklung, die gewährleistet, dass die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generatio­nen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen.“ Das bedeutet, dass die vielfältigen Entscheidungen, die im Bau- und Planungsprozess getroffen werden, ­immer in einen übergeordneten Zusammenhang gesetzt werden müssen. Je weitrei­chender die Überlegun­gen, desto mehr Interessen müssen übereingebracht werden. Dies kompliziert viele Diskussionen, bleibt aber unerlässlich, wenn es das erklärte Ziel der Planer ist, nachhaltig zu arbeiten.


Green Building

Unter dem Begriff ‚Green Building’ bündeln sich unterschiedliche Schwerpunkte. Ein gleichnamiges Projekt wurde von der ­Deutschen Energie Agentur dena ins Leben gerufen. Bauherren erhielten dort eine Green Building-Partnerschaft, wenn ihr Gebäude minus 25 % unterhalb des Mindestwertes der aktuell gültigen Version der EnEV lag. Heute läuft dieses Programm unter der Verwaltung der EU. Andere Institutionen werben ebenfalls mit Labeln, die über die Modefarbe Grün auf eine ökologische Umsetzung der Bauaufgabe verweisen.

Natürlich dienen diese Programme oder Zertifizierungen dem höheren Ziel, unsere Umwelt für die nachfolgenden Generationen so zu erhalten, dass diese in ihrer Gestaltung nicht beeinträchtigt sind. Dabei wird durch die Zertifizierung der Versuch unternommen, die Ergebnisse messbar und somit in ihrer Qualität kommunizierbar zu machen. Mehr als 50 Bewertungssysteme weltweit sind am Wettstreit der Messbarkeit von Bau- und Planungsqualität beteiligt.

Die oben genannten Programme oder Zertifizierungen werden hier nicht weiter erläutert. Die abgefragten Kriterien sollten jedoch dem Grunde nach zum selbstverständlichen Planen dazugehören. Wahrscheinlich stellt die Erreichbarkeit von Silber und Gold bei Übererfüllung der Kriterien (oberhalb eines DIN-definierten Niveaus) einen Vermarktungsvorteil bei Investorenprojekten dar.


Facilitäre Planung

Wie wunderbar wäre es jedoch, wenn das Wort des Architekten und Planers einen Stellenwert zurückerobern könnte, oder die gewünschte Qualität am Werk selbst ablesbar und nicht aufwendig zu dokumentieren ist. Träumerei? – Nein. Tradierte Aufgabenstellung? – Ja!

Die Bereitschaft zum Kompromiss ist hierbei eine Voraussetzung für ein gemeinsames Ergebnis. Der Bauherr, seine Vertreter, die Planer, Bauleistungsanbieter und Ausführenden müssen auf Augenhöhe miteinander das Projekt erarbeiten. Die handelnden Personen sollten dabei voraussetzen dürfen, dass die gegenseitigen Absichten dem gemeinsamen Bauwerk dienen. Je früher beispielsweise die nutzungsspezifischen Fragen geklärt sind, desto nachhaltiger wird die Planung.

Dieser Ansatz – nennen wir ihn vorschlagsweise Facilitäre Planung – steht für die Berücksichtigung der Nutzerinteressen im Betrieb einer Immobilie. Er steht in keinster Weise im Gegensatz zu den Ansprüchen, die sich aus den Interessen der Architektur ergeben. Gestaltungswille, Form- und Raumgebung bleiben Aufgaben der ersten Rangfolge. Ein Gebäude, das nicht funktioniert und dessen Architektur daher nicht umgesetzt wird oder aufgrund von zu hohen Betriebskosten unwirtschaftlich wird, dient niemandem. Der Bauherr bekommt kein Haus, der Architekt keinen Auftrag und die Umwelt bleibt ungestaltet sich selbst überlassen.

Facilitäre Planung ist eine Form nachhaltiger Planung, denn mit etwa 80 % stehen die Lebenszykluskosten in keinem Verhältnis zu den gerade einmal 20 %, die durch die Entstehungskosten beim Bau verantwortet werden. Damit wird deutlich, dass Planung ‚Vorwegnahme der Zukunft‘ bedeutet und Architektur somit ein wirkungsvolles Instrument zur Gestaltung der Zukunft wird.

Facilitär steht im Besonderen nicht nur für Nutzungsmöglichkeiten, über die ein Gebäude verfügt, denn dies umschreibt wahrschein­lich das Betreiberkonzept, sondern welche Aufgaben der gebaute Raum darüber hinaus übernehmen kann. Zum Beispiel, sind Umnutzungen denkbar?


Nachhaltige Architektur

An dieser Stelle sei erneut betont, dass Nach­haltigkeit und Architektur einander nicht aus­schließen. Architektur gehört an die erste Stelle, denn sie verbindet alle Interessen miteinander. Der Begriff ‚Werkvertrag‘ besitzt nach wie vor seine Richtigkeit, denn das Werk ist die gebaute Antwort auf planerische Fragen beziehungsweise Antworten. Wenn sie sich jedoch über alles stellt oder sich nur auf das Element des Schönen reduziert, dann wird sie ihrer ursprünglichen Bestimmung nicht gerecht.

In der Überzeugung, dass es nachhaltiger ist, Kräfte zu bündeln, als diese permanent zu messen, erscheint die ‚Generalplanung‘ als eine Renaissance der Baumeister eine mögliche Antwort auf die Frage, was wir ändern können, dürfen, sollen, müssen, um Zukunft aktiv zu gestalten und zu sichern.

Green Building bedeutet nicht nur die Wahl der Farbe Grün und Ganzheitliches Planen nicht nur investitionsorientierte Optimierung, sondern auch Gestaltungswillen, der nicht nur an der eigenen Fassade oder der Grundstücksgrenze endet, sondern den gesamten Raum – inklusive des städtischen – bis zur Fassade des Nachbarn betrachtet.

Nachhaltigkeit ist das gemeinsame Interesse, welches inhaltlich wie zeitlich Bestand hat. Neben der Gestaltgebung des Raumes ist Facilitäre Planung in Bezug auf den Lebenszyklus ein weiterer wichtiger Aspekt im Entwurf.

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