Der Platz am Verhandlungstisch

Was ist Koproduktion und welche Rolle besetzen dabei die Architekt*in­nen? Fragen, auf die es wohl mehr als eine richtige Antwort gibt. Wir haben drei Menschen befragt, die an verschiedenen Positionen in koproduktiven Prozessen beteiligt sind.
Wofür stehst du?
Meine Art zu Arbeiten ist das, wofür ich stehe und was ich verfolge, wenn man das so sagen kann. Alle Projekte spiegeln die Notwendigkeit, über Zukunft nachzudenken wider. Wie werden wir zusammenleben? Was ist die Rolle von Architekt*innen in der Mit- und Ausgestaltung dieser Zukünfte? Das ist zentral in unserem Beruf: Wir denken per se in der Zukunft, bei jedem Projekt. Dabei sind wir optimistisch, sonst würden wir uns das ja nicht wiederholt „antun“, für mehrere Jahre an etwas zu arbeiten, dessen Ausgang eigentlich ungewiss ist. Immer mit den Gedanken: Es wird schon gut gehen, es wird sich schon erfüllen: die Behauptung, eine Antwort auf zukünftige Lebensweisen geben zu können, Räume zu schaffen, die in Zukunft für Menschen funktionieren werden. Ohne zu wissen, wie die Zukunft eigentlich aussieht.

Mit welchen Mitteln setzt du deine Ideen um?
Ich habe das Glück, in einem Umfeld zu arbeiten, das es mir erlaubt, neugierig zu bleiben und bestehende „Lösungen“ zu hinterfragen. Immer in Kollaboratio­nen, miteinander. So lerne ich etwas über die Denk-, Arbeits- und Lebensweise anderer Menschen und kann das Verhältnis von Architektur zu anderen Disziplinen und der Gesellschaft reflektieren. All das mache ich als Teil eines Architekturbüros, in der Lehre und von Zeit zu Zeit auch als Einzelperson (wie in diesem Text). In meiner Arbeit nutze ich verschiedene Medien. Ich arbeite ganz klassisch mit Plänen und Architekturmodellen, verstehe aber auch, dass, außer Architekt*innen, nur wenige sie lesen können (oder wollen). Über Architektur schreiben oder sprechen funktioniert als Übersetzung schon besser. Mit Filmen habe ich in den letzten Jahren die besten Erfahrungen gemacht. Das soll nicht falsch verstanden werden: Ich sage nicht, Architekt*innen sollen alle Filme machen oder Texte schreiben. Es geht mir ­darum, Argumente für Architektur zu finden. Dabei helfen verschiedene Medien, weil sie ganz unterschiedlich funktionieren und uns ihre Logik – Geschwindigkeit, Lautstärke, etc. vorgeben. Idealerweise kann ich ein Projekt in 30 Sekunden (Teaser), in 3 Minuten (Trailer) und 30 Minuten (Präsentation) vermitteln. Dafür muss ich die Komplexität reduzieren und das Argument komprimieren. Gemeinsam mit Christopher Roth und Arno Brandlhuber versuche ich das in unseren Filmen umzusetzen, zu Themen wie der Baugesetzgebung oder der Bodenfrage.
Welche Rolle spielen Architekt*innen bei der Koproduktion?
Das spannende am Begriff Koproduktion ist ja das „Ko-“, also das „Mit-“, das seit einigen Jahren vermehrt und in unterschiedlicher Form Einzug in den Architekturalltag hält. Co-Living, Co-Working, Co-Habitation uvm. Bei allen Themen geht es um neue Formen des Miteinander, die sich natürlich auch in unserer gebauten Umwelt widerspiegeln (müssen). Das ist unsere Aufgabe als Architekt*innen: die Übersetzung dieser geänderten Vorstellungen in Raum. Im Falle von Co-Living sind das neue Wohnmodelle, geboren aus geänderten Lebensmodellen jenseits der Kernfamilie: Vater, Mutter, Kind(er). Im Falle von Co-Working sind es neue Räume der Zusammenarbeit, was mit einem sich ändernden Arbeitsmarkt zu tun hat. Co-Habitation ist der vielleicht jüngste Begriff und noch offen für Interpretation. Für mich geht es dabei um die räumliche Auflösung des vorherrschenden Konflikts unserer (Öko-)Systeme: Menschgemacht versus Natur, Ökonomie ­versus Ökologie. Was alle Themen gemeinsam haben, ist ein Fokus auf das Miteinander, das ­Zusammen. Folglich ist für mich die Rolle der Architekt*innen in einem koproduktiven Prozess klar – wir entwerfen zukünftige Lebensräume für unterschiedliche Lebensweisen. Wir übersetzen gesellschaftliche Bedürfnisse und Vorstellungen im Raum. Dazu braucht es ein Bewusstsein für diese gesellschaftlichen Vorstellungen, in all ihrer Komplexität, sowie ein Interesse und die Bereitschaft, zukünftige Veränderungen als Teil der Aufgabenstellungen von Architektur zu begreifen und zu akzeptieren.
Leider geht es in der Architektur, und das beginnt­ für mich bereits im Studium, viel zu oft um rein ästhetische Debatten zulasten dieser gesellschaftlichen Verantwortung. Mit diesem Rückzug auf eine ästhetische Position haben wir aber natürlich auch unseren Platz am Verhandlungstisch aufgegeben. Deshalb möchte ich die Situation umdrehen und alle Leser*innen fragen: Welche Rolle wollen Architekt*innen in einem koproduktiven Prozess für sich beanspruchen? Und wie beansprucht man eine Rolle? Wohl durch Handeln.
Dazu fällt mir ein Satz der Architekturtheoretikerin Keller Easterling aus einem unserer Interviews ein: „Some of the greatest changes of the globalizing world are being written in the language of architecture and urbanism. So there has to be a chance that we know something about it and can contribute to these changes. We, more than the 28-year-old McKinsey consultant who is making most of the global decisions.” (Architecting after Politics, 2018)

Was kann mit Koproduktion in deinen Augen erreicht werden?
Ich glaube der gesellschaftliche Mehrwert ist offensichtlich: Projekte nicht nur aus einer Perspektive zu denken und einer diversen Gruppe von Beteiligten eine Stimme in diesem Prozess zu geben. Damit ändert sich auch die Zielsetzung, die viel zu oft eine rein wirtschaftliche ist.
Es gibt aber auch einen ganz konkreten Mehrwert für Architekt*innen: Am Ende eines koproduktiven Prozesses stehen geänderte und neue Bauaufgaben. Die Aufgabenstellung ändert sich, weil sie von Menschen (und zukünftig auch Nicht-Menschen, z. B. Tiere, Flüsse, künstliche Intelligenz, etc.) mitgeschrieben wird, die unterschiedliche Interessen haben. Plötzlich ist man herausgefordert, bestehende und scheinbar alternativlose Lösungen – von Details über Grundrisse bis hin zu Betriebsmodellen – neu zu denken und zu entwerfen. Dazu möchte ich noch einen praktischen Vergleich bringen (er stammt frei übersetzt aus einem Gespräch zwischen der Transformationsforscherin Maja Göpel und dem amtierenden Wirtschaftsminis­ter Peter Altmaier): Das Elektroauto wird oft als Lösung für die Klimafrage beschrieben. Das ist ein Missverständnis. Warum? Wenn wir heute Expert*innen fragen würden, wie wir uns am sinnvollsten bewegen, würde niemand darauf antworten: in einzelnen Metallkisten, 2 Tonnen schwer, die den Großteil der Zeit rumstehen. Die eigentliche Frage ist nicht: Wie machen wir das Auto weniger umweltschädlich? Sondern: Wie denken wir Mobilität neu? Wie wollen wir uns bewegen? Mobil sein? In diesem Sinn ist das Auto die falsche Antwort und das Elektroauto lediglich eine bessere falsche Antwort.
Was ist also die Frage, die wir als Architekt*innen beantworten wollen? Welche Form gibt eine ästhetischere falsche Antwort? Welches Material eine nachhaltigere falsche Antwort? Und ich behaupte nicht, die Antwort zu kennen. Ich bin aber überzeugt, dass wir nur gemeinsam und im Austausch der Frage (und hoffentlich der Antwort) näherkommen. Das ist der Mehrwert von Ko-.
Olaf Grawert (*1987)
plant, schreibt und spricht über Architektur. Er arbeitet kollaborativ zwischen Berlin und Zürich, in einem engen Netzwerk von Menschen und Institutionen, und entwickelt Architekturprojekte zwischen Theorie und Praxis: von Kampagnen, Ausstellungen, Publikationen und Filmen bis hin zu Lehre und Gebäuden. Er ist Partner bei 2038 (2038.xyz) und b+ (bplus.xyz), Mitherausgeber von What is Architecture? (whatisarchitecture.cc) und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Departement Architektur an der ETH Zürich (station.plus). Zusammen mit dem Künstler und Regisseur Christopher Roth produzierte er mehrere Filme, unter anderem The Property Drama und Architecting after Politics.
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