„Eine Baustelle funktioniert wie ein Orchester“ Im Gespräch: Karsten Kus und Ralf Wetzel, RKW Architektur +

Stimmungsbarometer Digitalisierung in Deutschland / im europäischen Umfeld
Im Gespräch: Karsten Kus und Ralf Wetzel, RKW Architektur +

DBZ: Es wird gerade viel über die Digitalisierung des Bauwesens gesprochen und geschrieben. Woran arbeiten Sie aktuell in diesem Bereich?

Karsten Kus: Wir haben bei RKW vor 10 Jahren begonnen, uns mit BIM zu beschäftigen, und es vor fünf Jahren in der Breite auf der Ebene der Architekturprojekte in allen Teams ausgerollt. Das funktioniert sehr gut, so dass wir jetzt die Bereiche, die für uns wichtig sind, z.B. Kalkulationen, Baustellenbetrieb, aber auch interne Anwendungsfälle der Modelle und Änderung der Prozesse, weitertreiben. Denn Digitalisierung bedeutet für uns nicht, analoge Prozesse durch digitale zu ersetzen, sondern in erster Linie eine Transformation der Arbeitsorganisation.
Wir fragen uns regelmäßig in verschiedenen Arbeitsgruppen, über die Generations- und Hierarchiegrenzen hinweg, wo die traditionellen Arbeitsprozesse unseres Berufsstandes sich verändern und wie wir daran proaktiv teilhaben und unsere Ideen und Wünsche einbringen können.

Ralf Wetzel: Wir haben früh begonnen loszulaufen und merken immer wieder, dass viele Bereiche noch gar nicht so weit sind. Aber anstatt uns auf unserer strategischen Entscheidung auszuruhen, versuchen wir die Prozesse zu optimieren. Das funktioniert intern sehr gut: je mehr wir schulen und Hilfestellungen bieten, umso besser werden die Arbeitsprozesse. Die Bruchstelle ist die Zusammenarbeit mit Dritten – seien es Fachplaner, Bauherren oder die Makler. So leiten wir immer noch aus den Modellen 2D-Zeichnungen ab, die der Makler an den Mietinteressenten weitergibt. Es wäre doch viel effektiver, wenn der Mieter sich im virtuellen Modell bewegen könnte.

DBZ: Zukunftsfähig Bauen ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Digitalisierung des Bauwesens (bezogen auf die eigene Arbeit / Ihr Unternehmen)? Und ist die Pandemie Beschleuniger oder Bremsschuh für Ihre persönliche Arbeit (im Bezug auf die Digitalisierung)?

Ralf Wetzel: Es ist eine Frage des Kulturverständnisses. Jeder profitiert vom Wissen und den Anforderungen des anderen. Sei es der Makler mit seinen Bedürfnissen oder der Schlosser auf der Baustelle, der unser modelliertes Geländer per IFC-Schnittstelle in seine Planung eingeladen und aus statischen Gründen nachjustiert hat, um es dann wieder in unser Modell einzupflegen. Überprüfung der Geometrie, Freigabe – so muss es sein.

Karsten Kus: Wir denken stetig darüber nach, wie wir die Modelle für Dritte nutzbar machen können. Nicht weil sie so schön sind, sondern welche Vorteile dies für deren Geschäftsmodelle haben kann. Auch aus Eigennutz, denn nur wenn alle Beteiligten das gleiche Verständnis für den Nutzen haben, wird die Weiterentwicklung vorangehen. Die Notwendigkeit ist erkannt, nur ist der strukturelle Wandel zu schwerfällig. Das fängt beim digitalen Bauantrag an...
Die Pandemie ist ein Beschleuniger, aber man muss sich zuerst mit der Arbeitsorganisation befassen. Und dem Begriff der Fehlerkultur. Alle systemkritischen Infrastrukturen wie Feuerwehrleute, Piloten, Sicherheitskräfte, aber auch Notärzte setzen sich nach den Einsätzen zusammen und rekapitulieren die Fehler und wie diese zukünftig zu vermeiden sind. Man könnte denken, die Bauwirtschaft müsste eigentlich ähnliches praktizieren, um große Bauvorhaben optimal gelingen zu lassen, aber die Realität sieht anders aus.
 
Ralf Wetzel: Wir haben in den Jahren zwei Begriffe herausgearbeitet, wo es wehtut: der Begriff des Werkerfolgs und der des Modells. Wir sind die Berufsgruppe, die am besten weiß, was ein Modell ist: ein virtuelles Abbild, eine lose Bündelung von Ideen, an der manchmal mehrere arbeiten und das in der Projektreife, die sich in den Maßstäben abbildet, wächst. Aber nun wird dieses Modell, das eigentlich einem logischen Ablauf folgt, durch Wünsche überfrachtet, die nicht mehr zusammenpassen und die das System zum Kollidieren bringen. Nur weil man es kann, nicht weil es der Prozess erfordert. Wir müssen viel mehr in die Breite gehen und die Möglichkeiten der Nutzung und des Mehrwerts durch Dritte forcieren. Das ist eine große Herausforderung, aber auch eine Chance, eigene Ideen zu entwickeln, um die Entwicklung zu steuern.

DBZ: Die Digitalisierung des Bauens bedingt umfassende Umwälzungen. Welche Unterstützung wünschen Sie sich, um die bei Ihnen anstehenden Aufgaben zu meistern? (Zeitfenster 3–5 Jahre)

Ralf Wetzel: Daran, wie ein Haus gebaut wird, hat sich bis auf ein paar technische Komponenten nicht viel verändert. Die Herausforderung liegt in den Prozessen und den vielen Einflussfaktoren von außen, die noch nicht zusammenpassen. Über das eigentliche Bauen hinaus sehen wir uns als Architekten in unserem Selbstverständnis als „Entwickler“, die diese Prozesse vorantreiben und weiterentwickeln. Da reicht es nicht aus, über Förderungen und Leitplanken durch die Politik die Prozesse steuern zu wollen, sondern aus den Pionieren müssen Profis werden. Auf technischer, kultureller und philosophischer Ebene. 

Karsten Kus: Die Komplexität, die mit dem Thema Digitalisierung einhergeht, muss heruntergebrochen werden – als Vorbild könnte die intuitive Benutzbarkeit des Smartphones dienen. Das benutzen sogar unsere Großeltern. Aber die Baubranche umhüllt sich im Nimbus des Buches mit Sieben Siegeln mit Regeln und Vorschriften. Da verschenken wir viel Potenzial bzw. schrecken zu viele Interessierte ab. Wenn das geregelt wäre, könnte über das rein wirtschaftliche Interesse am Modell hinausgehend auch ein neues Kulturverständnis entstehen, von dem jeder durch gute Architektur profitiert.

Ralf Wetzel: Die Architekten sind immer noch eine konservative Spezies. Anstelle sich vom BIM-Manager die Technik erklären zu lassen, sollten sie selber die Initiative ergreifen und in die Technologie einsteigen. Das impliziert auch eine Neuinterpretation des Begriffs des Generalisten. Wir benutzen immer den Vergleich der Baustelle mit einem Orchester. Ein Planungsprozess benötigt das Mitwirken der einzelnen Soloinstrumente, und diese bedingen einander. Alleine kann man nichts bewirken, daran scheitert der Bauherr, der Projektsteurer und der Architekt sowieso. Nur gemeinsam kann man das Ziel erfolgreich umsetzen. Hier hat sich schon viel getan – das gibt uns Zuversicht für die nächsten Jahre!



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