Rechtsprechung

Ein Aufstockungsverlangen kann treuwidrig sein!

(OLG Celle Urteilvom 27.04.2022 14 U 156/21)

Das Oberlandesgericht Celle hatte im vorliegenden Fall über das Honorarverlangen eines Ingenieurbüros gegen das beauftragende Bauunternehmen zu entscheiden.
 
Der Sachverhalt (da ohne dessen umfassende Kenntnis die letztlich getroffene Entscheidung letztlich unverständlich ist, nimmt dieser heute einen etwas umfangreicheren Platz ein):

Die Klägerin ist ein Ingenieurbüro, die Beklagte ist ein Bauunternehmen. Im Rahmen eines Verkehrsprojekts für das Land S. war eine Flutbrücke neu zu errichten. Die vom Land ausgeschriebenen Leistungen beinhalteten nicht nur die Ausführung des Bauwerks, sondern auch eine vertiefende Planungsleistung. Die Beklagte wurde von der Landesstraßenbaubehörde S. im Mai 2013 mit der Ausführung beauftragt und beauftragte ihrerseits die Klägerin mit Planungsleistungen. Die Klägerin unterbreitete der Beklagten im Juni 2013 ein erstes Angebot für ihre Planungsleistungen in Höhe von ca. 300.000,00 Euro netto, wobei die einzelnen Leistungen mit Pauschalpreisen angegeben wurden. Eine Annahme erfolgte nicht. Die Klägerin begann dennoch mit Planungen.
Im August 2013 übersandte die Klägerin der Beklagten einen Vertragsentwurf, der ein Pauschalhonorar in Höhe von 400.000,00 Euro vorsah. In diesem Vertragsentwurf wurden die letztlich beauftragten und erbrachten Leistungen unter § 3 "Leistungen des Auftragnehmers" mit einem pauschalen Betrag in Höhe von 170.000,00 Euro bewertet. Die dort noch aufgeführte Leistung "Ermittlung der Ausgleichsgradiente" wurde nicht beauftragt und erbracht. Im Januar 2014 erinnerte die Klägerin an die Unterzeichnung des Vertrages und erläuterte die Preisgestaltung mit Schreiben vom Mai 2014.  
Im Juli 2014 übersandte die Beklagte an die Klägerin einen Vertragsentwurf, der einen Pauschalbetrag in Höhe von ca. 160.000,00 Euro netto für die bereits in der Anlage zum Vertragsentwurf aufgezählten Leistungen festsetzte. Die Position "Ermittlung der Ausgleichsgradiente" war dort nicht mehr aufgeführt.
Eine von beiden Parteien unterzeichnete Vereinbarung gibt es nicht.
In der Zwischenzeit erbrachte die Klägerin die vereinbarten Leistungen und rechnete Abschläge ab, die auch bezahlt wurden. In ihren Abschlagsrechnungen nahm die Klägerin stets auf "bestehende Vereinbarungen" Bezug.

Mit Schreiben vom Juni 2015 überreichte die Klägerin die 6. Abschlagsrechnung, mit der sie die ihr obliegenden Leistungen als fast vollständig erbracht deklarierte und zu einem Nettohonorar von ca. 170.000,00 Euro abrechnete. Sie nahm erneut Bezug auf die "bestehenden Vereinbarungen" zwischen den Parteien.
Die Beklagte kürzte diesen Betrag auf 161.713,27 Euro netto. Mit Schreiben vom Juli 2015 widersprach die Klägerin dieser Kürzung und erklärte, die Beklagte habe zugestimmt, das Honorar auf ca. 170.000,00 Euro anzupassen.
Die Klägerin erklärte, bei Nichtzahlung des gekürzten Rechnungsbetrages in Höhe von ca. 10.000,00 Euro eine Schlussrechnung nach den Mindesthonorarsätzen der HOAI zu stellen.
Die Beklagte zahlte nicht und die Klägerin übersandte eine Schlussrechnung auf der Basis der HOAI-Mindestsätze. In ihrem Schreiben wies die Klägerin darauf hin, dass die Rechnungsprüfung der Beklagten nicht die "getroffenen Vergütungsvereinbarungen" widerspiegele und sie deshalb eine Abrechnung nach der HOAI vornehme.
Ausweislich der Schlussrechnung, die auf der Grundlage der HOAI 2013 vorgenommen wurde, begehrt die Klägerin für anrechenbare Kosten in Höhe von 4,5 Mio. Euro die Bezahlung der Leistungsphasen 4 und 5 sowie von Pauschalbeträgen für besondere Vereinbarungen von insgesamt ca. 300.000,00 Euro. Abzüglich der unstreitig gezahlten Beträge in Höhe von ca. 200.000,00 Euro ergibt sich so der Klagebetrag in Höhe von ca. 100.000,00 Euro.

Die Entscheidung:
 
Das Gericht urteilte, dass die Klägerin keinen Anspruch gem. § 631 Abs. 1 BGB auf Zahlung des geltend gemachten Werklohns in Höhe von ca. 100.000,00 Euro habe. Zwischen den Parteien sei ein Pauschalpreis vereinbart worden, auf dessen Gültigkeit sich die Beklagte gem. § 242 BGB berufen könne. Letztlich wirft das Gericht der Klägerin widersprüchliches Verhalten („venire contra factum proprium“) vor.

Die Klägerin habe keine weiteren Honoraransprüche aufgrund des streitgegenständlichen Projekts. Gem. § 286 ZPO habe das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden. Zwischen den Parteien habe es eine Pauschalpreisabrede über einen Betrag in Höhe von ca. 160.000,00 Euro gegeben. Diesen Betrag habe die Beklagte bereits gezahlt.
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Zwischen den Parteien sei im Juli 2014 ein Pauschalpreis in Höhe von ca. 160.000,00 Euro für die von der Klägerin erbrachten Leistungen jedenfalls konkludent vereinbart worden, der in den folgenden Jahren von den Parteien auch "gelebt" wurde.
Die Klägerin selbst habe in allen vorgelegten Abschlagsrechnungen auf eine "bestehende Vereinbarung" Bezug genommen. Die 6. Abschlagsrechnung ende zudem exakt mit dem Pauschalbetrag in Höhe von ca. 170.000,00 Euro, auf den sich die Klägerin zunächst berufen habe. Die Klägerin habe zudem dargelegt, sie habe alle Leistungen zu 100% erbracht.
 
Zwar würden die Abschlagsrechnungen keine verbindliche Erklärung in Bezug auf die endgültige Honorarsumme darstellen. Abschlagszahlungen seien aber nur in Höhe des Wertes der erbrachten und geschuldeten Leistung zu verlangen. Wenn die Klägerin selbst davon ausgehe, die geschuldete Leistung fast vollständig erbracht zu haben, habe die letzte Abschlagsrechnung eine Indizwirkung dahingehend, dass sie auch einen fast vollständigen Zahlungsanspruch geltend mache.
Ein weiteres Indiz für die Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, die Parteien hätten sich auf ein Honorar von ca. 160,000,00 Euro geeinigt, seien die von der Klägerin geltend gemachten Positionen. Die Klägerin habe ihre Leistungen von Anfang an mit pauschal ca. 170.000,00 Euro taxiert. In diesem Preis sei zunächst noch die Position "Ermittlung der Ausgleichsgradiente" inbegriffen, welche mit ca. 5.000,00 Euro bewertet worden sei. Diese Leistung sei von der Beklagten nicht beauftragt worden. Bei lebensnaher Betrachtung vermindere sich in Vertragsverhandlungen ein zuerst genanntes Honorar, wenn einzelnen Leistungen nicht beauftragt werden.
 
Es sei weiter zu berücksichtigen, dass die Klägerin unmittelbar nach dem Erhalt des Vertragsentwurfs, in dem sowohl der Pauschalpreis in Höhe von ca. 160.000,00 Euro genannt als auch auf die Verhandlungen vom Juli 2014 Bezug genommen wurde, die 4. Abschlagrechnung vom August 2014 erstellt habe, in der sie selbst auf "bestehende Vereinbarungen" Bezug genommen habe.
Die Klägerin habe auch in der Folge zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, dass sie von einer unzulässigen Mindestsatzunterschreitung oder einer anderweitigen Vereinbarung ausgehe. Sie habe weiter die vereinbarten Leistungen erbracht und in der 5. Abschlagsrechnung vom Dezember 2014 ebenfalls auf "Grundlage der bestehenden Vereinbarungen die bereits erbrachten Leistungen" abgerechnet.
Selbst in dem Begleitschreiben zur Schlussrechnung vom September 2017 habe die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie nur auf der Grundlage der HOAI abrechne, weil sich die Beklagte nicht an die "getroffene Vergütungsvereinbarung" halte.
Im Rahmen einer lebensnahen Gesamtwürdigung des gesamten Inhaltes der Verhandlung sei das Gericht gem. § 286 Abs. 1 ZPO davon überzeugt, dass die Parteien den von der Beklagten behaupteten Pauschalpreis vereinbart haben.  
Der Klägerin stehe gem. § 242 BGB auch kein über den vereinbarten Pauschalpreis hinausgehender Honoraranspruch zu. Ihre weitere Werklohnforderung sei rechtsmissbräuchlich.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verhalte sich der Auftragnehmer widersprüchlich, wenn er eine Pauschalvereinbarung unterhalb der Mindestsätze der HOAI abschließt und später nach den Mindestsätzen abrechnen will. Eine Geltendmachung der Mindestsätze könne dann nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein. Das ist namentlich der Fall, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut hat und vertrauen durfte und er sich darauf in einer Weise eingerichtet habe, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden könne.

Ob dieses widersprüchliche Verhalten zur Folge habe, dass der Auftragnehmer an seine ursprünglichen Rechnungen und die niedrigere Pauschale aus der Honorarvereinbarung gebunden sei, müsse in einer Gesamtabwägung anhand des Verhaltens und der vertrauensbildenden Umstände einzelfallbezogen beurteilt werden.
 
Praxishinweis:

Die Geltendmachung der Mindestsätze kann also nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung vertrauen durfte und ihm die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen nicht zugemutet werden kann.
Dabei kann ein schützenswertes Vertrauen in die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung auch dann vorliegen, wenn der Auftraggeber Voraussetzungen für gegeben hält, die eine Mindestsatzunterschreitung ausschließen, wie beispielsweise eine nicht vollständige Beauftragung aller Grundleistungen, so dass eine Honorarkürzung geboten sein könnte.
 
Letztlich handelt es sich hier um eine Einzelfallentscheidung, die aber deutlich macht, dass auch „am Bau“ und unabhängig von den im Einzelfall geltenden Regelungen die Gerichtsbarkeit immer aufgerufen ist, ein möglichst als „gerecht“ empfundenes Urteil zu fällen.

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