Die Stadt ist voll und toll: 16. Architekturbiennale in Venedig
Alle zwei Jahre zieht es die internationale Architektur(büro)gemeinde nach Venedig:
Biennale-Zeit. Genauer: Architekturbiennale-Zeit. Denn in den Jahrgängen mit ungrader Zahl gibt es in der Stadt die Internationale Kunstbiennale und die feierte vor 23 Jahren bereits ihren 100. Geburtstag.
Die Architekturbiennale ist dagegen längst nicht so alt. 1980 wurde sie aus der Taufe gehoben, in diesem Jahr erlebt sie ihre 16. Auflage. Eine recht kurze Geschichte, so scheint es, und schaut man auf die Nachberichte, die Kritiken und Verrisse, so scheint es in dieser Geschichte auch eine Kontinuität der Überforderung zu geben: die der Kritiker und die der Architekten. Von den Besuchern gar nicht zu schreiben. „Die Gegenwart der Vergangenheit“, „La presenza del passato“ wurde als Motto der ersten Ausstellung ausgegeben, ein Motto, das die „Strada Novissima“ in der gerade für das Publikum geöffneten Corderie auf dem Gelände des Arsenale krönte. Die 70 m lange Kulissenflucht aus 20 bunten Fassadenbauten – sinnigerweise hergestellt in der römischen Traumfabrik Cinecittà – muss man als ein Auftrumpfen der Postmodernen über den Hegemonialanspruch des interna-tionalen Superfunktionalismus der 1970er-Jahre verstehen, ein Sektkorkenknallenlassen, das Kritiker dazu hinriss, das
Das Prinzip Architekturbiennale
Das Prinzip Architekturbiennale ist
In der einige hundert Meter langen Corderie des Arsenale werden weitere Beiträge platziert, ansonsten sind die teilnehmenden Nationen aufgefordert, ihre Beiträge am Motto auszurichten. Tatsächlich erscheint genau das der Fall zu sein, nicht wenige Teilnehmer schieben und drücken Städtebau und Architektur so lange in eine Richtung, bis sie passen. Passen zum Generalthema. Dass das meistens so gut gelingt zeigt uns, dass der Diskurs im Weitmaschigen offen ist, dass ihm aber Begriffe fehlen und Möglichkeiten, in
dialogischer Weise Themen zu schärfen. Und häufig weiß der eine nicht, was der andere neben ihm aufbauen wird.
Womit das Prinzip Architekturbiennale erklärt ist: Alles ist erlaubt für alle, denen es erlaubt ist, teilzunehmen. Wer mit seinem Beitrag wahrgenommen werden will in der Menge des Gezeigten, muss zudem noch ordentlich laut auf sich aufmerksam machen.
Aufmerksamkeitsgeneratoren
Wie kann man auf sich aufmerksam machen? Nicht zu viel zeigen. Nicht zu viel Text, nicht
Licht ist wichtig, bewegte Bilder kommen gut (wenn man dabei sitzen kann), große Modelle, grell bunt lackiert. Begehbare Skulpturen … Wie überhaupt in zahlreichen Ausstellungskojen der Geist der Kunstausstellung des vergangenen Jahres noch zu wehen scheint und sich die Abbilder von etwas Gebautem in Bilder von etwas Künstlichem verwandeln.
Und dann gibt es noch Nebelschwaden und dröhnende Musik, es gibt Lichteffekte und Räume, die ihre Botschaft erst dann vermitteln, wenn man in ihnen Türen öffnet, so wie in dem niederländischen Beitrag. Die Arbeit „WORK, BODY, LEISURE“, die die Kuratorin Marina Oteroverzier zusammen mit Architekten, Künstlern und Hochschulen über ein Umkleideraumdesign mit unterschiedlichen Hintergrundräumen realisiert hat, spielt mit der Neugier der Besucher, mit dem Überraschtsein und mit polarisierenden Themen derart gekonnt, dass man sich wundert, wieso für diesen Beitrag nicht einmal eine Anerkennung ausgesprochen wurde.
Wesentlich eingängiger ist da der „Freespace“ der Briten, die, wie es scheint, ihren Brexit unter dem Ausstellungstitel „Island“ in Venedig bereits vollzogen haben: Bis unter die Dachsparren leergeräumt erscheint der Pavillon nun nur noch als er selbst, freigeräumt für Zeiten, die außerhalb der gewohnten Ordnung zu stehen scheinen. Oben, knapp über dem Pavillondach, fliegt eine grundflächengroße Terrasse mit Sitzmöbeln und einer kleinen Bar, in der ständig „it’s tee time“ zelebriert wird (mit Wassergläsern, Danke!). Direkt daneben feuern die Franzosen wie so oft aus allen Medienkanälen ihre
Freiheit, die ich meine: Goldlöwen
Wo manifestiert sich nun der „Freespace“, der das Motto der diesjährigen Ausstellung ist? In der Leere einiger Nationenpavillons wie beispielsweise der Belgiens oder im Gemeinschaftspavillon der Tschechischen Republik mit der Slowakei? Oder in dem von Glasfassadenelementen gefassten Hof Bahrains, der allein vom Singsang des Muezzin gefüllt ist? In den Spiegelkabinetten wie bei „The City is everywhere“ des kosovarischen Beitrags? Überhaupt die Spiegel: Großformatige Spiegelflächen sind häufig anzutreffen, meist sollen sie wohl die Enge des Raumes in die Unendlichkeit der Spiegelbilder explodieren lassen. Was manchmal auch wörtlich ins Auge geht, der spiegelnde Fußboden bei den Österreichern im Garten („Thoughts Form Matter“, kuratiert von Verena Konrad) produziert Blendungen, die den Blick auf den Pavillon von Josef Hoffmann und Robert Kramreiter unerträglich machen. Im deutschen
Und ja, gerade die Architektenbeiträge in der Corderie, dem langen Backsteinraum auf dem Gelände des Arsenale, scheinen sich frei gemacht zu haben oder so zurecht, dass sie passen könnten. Zum Thema. Denn was Valerio Olgiatis Säulenwald „The Practice of Teaching“ beispielsweise oder auch Dörte Mandrups wunderschöne Modellpräsentation (in zwei Räumen) „Conditions“, ein Projekt aus Grönland, mit „Freespace“ zu tun haben, kann man höchstens ahnen.
Dass der Goldene Löwe für den besten
Der dritte Goldene Löwe wurde dem britischen Architekten und Architekturhistoriker Kenneth Frampton für sein Lebenswerk verliehen, wir berichteten (DBZ.de).
Kontemplatives Picknicken
Und dann gibt es noch – neben der „Sleeping Beauty“-Ausstellung zur Multihalle von Frei Otto, die gegenüber von San Marco auf dem Inselverbund Giudecca von Georg Vrachliotis zusammen mit Sally Below kuratiert wird – den sehr häufig genannten Vatikan-Beitrag auf San Giorgio Maggiore: Waldkapellen-Entwürfe, Variationen über eine Arbeit von Gunnar Asplund aus den Federn von Francesco Cellini, Norman Foster, Eduardo Souto de Moura, Flores & Prats, Smiljan Radic, Carla Juaçaba, Javier Corvalán, Sean Godsell, Andrew Berman und Teronobu Fujimori. Die entfalten, weitab des Touristenrummels auf der Hauptinsel gegenüber, im Rückraum von Palladio-Kirche und Klosteranlage eine ganz eigene Stimmung. Und irgendwie möchte man ein kontemplatives Picknicken veranstalten, wenn es denn erlaubt wäre.
Hier, gleichsam im Verborgenen, scheint die Ausstellung – es gibt viele kollaterale Veranstaltungen – tatsächlich auf den Punkt gekommen zu sein, den Manfred Sack vor vielen Jahren einmal für die Architekturbiennale so beschrieben hat: „Venedig hat für den Fall, dass seine Ereignisse langweilig sein sollten, immer noch sich selbst, und das ist allemal mehr, als man in ein paar Tagen auf Besuch wahrzunehmen vermag.“ Ja, hier, in dem dem Vatikan überlassenen Garten, kommen Venedig und die Architekturausstellung auf wunderbar entspannte Weise zusammen. Be. K.