Die Stadt ist voll und toll: 16. Architekturbiennale in Venedig

Alle zwei Jahre zieht es die internationale Architektur(büro)gemeinde nach Venedig:
Biennale-Zeit. Genauer: Architekturbiennale-Zeit. Denn in den Jahrgängen mit ungrader Zahl gibt es in der Stadt die Internationale Kunstbiennale und die feierte vor 23 Jahren bereits ihren 100. Geburtstag.

Die Architekturbiennale ist dagegen längst nicht so alt. 1980 wurde sie aus der Taufe gehoben, in diesem Jahr erlebt sie ihre 16. Auflage. Eine recht kurze Geschichte, so scheint es, und schaut man auf die Nachberichte, die Kritiken und Verrisse, so scheint es in dieser Geschichte auch eine Kontinuität der Überforderung zu geben: die der Kritiker und die der Architekten. Von den Besuchern gar nicht zu schreiben. „Die Gegenwart der Vergangenheit“, „La presenza del passato“ wurde als Motto der ersten Ausstellung ausgegeben, ein Motto, das die „Strada Novissima“ in der gerade für das Publikum geöffneten Corderie auf dem Gelände des Arsenale krönte. Die
70 m lange Kulissenflucht aus 20 bunten Fassadenbauten – sinnigerweise hergestellt in der römischen Traumfabrik Cinecittà – muss man als ein Auftrumpfen der Postmodernen über den Hegemonialanspruch des interna-tionalen Superfunktionalismus der 1970er-Jahre verstehen, ein Sektkorkenknallenlassen, das Kritiker dazu hinriss, das Ganze eine „Zirkusvorstellung“ zu schimpfen, in welcher die Protagonisten mit infantilem Übermut Plattitüde mit Statement verwechselt hätten. Was in den Folgeausstellungen natürlich ganz anders geworden ist.

Das Prinzip Architekturbiennale

Das Prinzip Architekturbiennale ist ganz einfach: Eine kleine, international besetzte Jury (die seit 1998 mit kleiner Unterbrechung bis heute unter dem Vorsitz des Biennale-Präsidenten und ehemaligen Ministers, Paolo Barratta, tagt) wählt etwa ein Jahr vor der Biennale-Eröffnung den oder die Kuratoren für die gesamte Biennale. Die erarbeiten dann ein weitmaschiges Konzept, das als Motto für alle eingeladenen Teilnehmer ausgegeben wird (in diesem Jahr sind die Kuratoren Yvonne Farrell und Shelley McNamara – Grafton Architects mit dem Generalmotto: „Freespace“). Zu ihren Themenschwerpunkten bitten sie dann Architektenkollegen, sich mit Beiträgen in der Corderie und im zentralen Pavillon in den Giardini zu beteiligen (ehemaliger Pavillon Italiens). Sehr konsequent machte das 2016 Rem Koolhaas, der seinen Gästen die Themen beinahe diktierte („Fundamentals“). Zudem können die Kuratoren selbst eigene Beiträge beisteuern, Yvonne Farrell und Shelley McNamara machen das sparsam in der ersten Halle des zentralen Pavillons, die sie mehr oder weniger leer lassen. „Freespace“ eben!

In der einige hundert Meter langen Corderie des Arsenale werden weitere Beiträge platziert, ansonsten sind die teilnehmenden Nationen aufgefordert, ihre Beiträge am Motto auszurichten. Tatsächlich erscheint genau das der Fall zu sein, nicht wenige Teilnehmer schieben und drücken Städtebau und Architektur so lange in eine Richtung, bis sie passen. Passen zum Generalthema. Dass das meistens so gut gelingt zeigt uns, dass der Diskurs im Weitmaschigen offen ist, dass ihm  aber Begriffe fehlen und Möglichkeiten, in
dialogischer Weise Themen zu schärfen. Und häufig weiß der eine nicht, was der andere neben ihm aufbauen wird.

Womit das Prinzip Architekturbiennale erklärt ist: Alles ist erlaubt für alle, denen es
erlaubt ist, teilzunehmen. Wer mit seinem Beitrag wahrgenommen werden will in der Menge des Gezeigten, muss zudem noch ordentlich laut auf sich aufmerksam machen.

Aufmerksamkeitsgeneratoren

Wie kann man auf sich aufmerksam machen? Nicht zu viel zeigen. Nicht zu viel Text, nicht zu viele Modelle oder Pläne gar, nicht zu viele Diagramme. Und wenn doch Text, dann möglichst in Versalien, Kleingedrucktes ist im vorherrschenden Ausstellungsdämmer nur schwer zu entziffern. Wenn möglich: Text im Katalog auslagern. Kataloge kann man hier kaufen, dort gratis vom Stapel nehmen. Letztere sind nicht selten Werbematerial, herausgegeben vom Kultur- oder Wirtschaftsminis-terium des ausstellenden Landes. Manche hängen Kopfhörer in den Raum, in dem sonst nichts ist, tatsächlich nicht einmal ein Stuhl für entspanntes Zuhören.

Licht ist wichtig, bewegte Bilder kommen gut (wenn man dabei sitzen kann), große Modelle, grell bunt lackiert. Begehbare Skulpturen … Wie überhaupt in zahlreichen Ausstellungskojen der Geist der Kunstausstellung des vergangenen Jahres noch zu wehen scheint und sich die Abbilder von etwas Gebautem in Bilder von etwas Künstlichem verwandeln.

Und dann gibt es noch Nebelschwaden und dröhnende Musik, es gibt Lichteffekte und Räume, die ihre Botschaft erst dann vermitteln, wenn man in ihnen Türen öffnet, so wie in dem niederländischen Beitrag. Die Arbeit „WORK, BODY, LEISURE“, die die Kuratorin Marina Oteroverzier zusammen mit Architekten, Künstlern und Hochschulen über ein Umkleideraumdesign mit unterschiedlichen Hintergrundräumen realisiert hat, spielt mit der Neugier der Besucher, mit dem Überraschtsein und mit polarisierenden Themen derart gekonnt, dass man sich wundert, wieso für diesen Beitrag nicht einmal eine Anerkennung ausgesprochen wurde.

Wesentlich eingängiger ist da der „Freespace“ der Briten, die, wie es scheint, ihren Brexit unter dem Ausstellungstitel „Island“ in Venedig bereits vollzogen haben: Bis unter die Dachsparren leergeräumt erscheint der Pavillon nun nur noch als er selbst, freigeräumt für Zeiten, die außerhalb der gewohnten Ordnung zu stehen scheinen. Oben, knapp über dem Pavillondach, fliegt eine grundflächengroße Terrasse mit Sitzmöbeln und einer kleinen Bar, in der ständig „it’s tee time“ zelebriert wird (mit Wassergläsern, Danke!). Direkt daneben feuern die Franzosen wie so oft aus allen Medienkanälen ihre Botschaften, die dem aufmerksamen Betrachter durchaus bekannt vorkommen können: In dem wild überbordenden Materialgehänge an allen Wänden finden sich zahlreiche Stücke aus dem Pavillon von 2016. Was wohl auf das nicht enden Wollen allen kreativen Handelns zielt: „Infinite places“ meint eben auch, dass die Arbeit (am Raum) niemals zuende ist (bei den Briten irgendwie schon … dafür erhielten sie immerhin eine „Besondere Erwähnung“ von der Biennale-Jury).

Freiheit, die ich meine: Goldlöwen

Wo manifestiert sich nun der „Freespace“, der das Motto der diesjährigen Ausstellung ist? In der Leere einiger Nationenpavillons wie beispielsweise der Belgiens oder im Gemeinschaftspavillon der Tschechischen Republik mit der Slowakei? Oder in dem von Glasfassadenelementen gefassten Hof Bahrains, der allein vom Singsang des Muezzin gefüllt ist? In den Spiegelkabinetten wie bei „The City is everywhere“ des kosovarischen Beitrags? Überhaupt die Spiegel: Großformatige Spiegelflächen sind häufig anzutreffen, meist sollen sie wohl die Enge des Raumes in die Unendlichkeit der Spiegelbilder explodieren lassen. Was manchmal auch wörtlich ins Auge geht, der spiegelnde Fußboden bei den Österreichern im Garten („Thoughts Form Matter“, kuratiert von Verena Konrad) produziert Blendungen, die den Blick auf den Pavillon von Josef Hoffmann und Robert Kram­reiter unerträglich machen. Im deutschen Pavillon (s. a. das Interview mit den Kuratoren hier auf S. 14f.) funktioniert der Spiegel besser. Er transportiert die Ausstellungswand nach links und rechts und machte die Mauersymbolik sofort lesbar.

Und ja, gerade die Architektenbeiträge in der Corderie, dem langen Backsteinraum auf dem Gelände des Arsenale, scheinen sich frei gemacht zu haben oder so zurecht, dass sie passen könnten. Zum Thema. Denn was Valerio Olgiatis Säulenwald „The Practice of Teaching“ beispielsweise oder auch Dörte Mandrups wunderschöne Modellpräsentation (in zwei Räumen) „Conditions“, ein Projekt aus Grönland, mit „Freespace“ zu tun haben, kann man höchstens ahnen.

Dass der Goldene Löwe für den besten Nationenbeitrag an die Schweiz ging verwundert angesichts anderer, wesentlich stärkerer Beiträge insbesondere aus Ländern Latein-amerikas. Die Schweizer zeigen in ihrem Pavillon (entworfen von Bruno Giacometti, dem jüngeren Bruder des berühmteren Alberto) unter dem Titel „Svizzera 240: House Tour“ eine leere Wohnung, die über raffinierte Maßstabssprünge und damit verbundene, am
eigenen Leib erlebbare Wahrnehmungsirritationen, den 240-cm-Raumhöhenstandard hinterfragt. Ob mit der Vergabe des Preises die Jury gleichsam den hohen Anspruch der diesjährigen Biennale-Macher in Frage stellen möchte, sei dahin gestellt, sie hätte zu diesem Zweck auch viele andere Beiträge auszeichnen können.

So wirkt auch die Verleihung des Goldenen Löwen für den besten Einzelbeitrag an Eduardo Souto de Moura eher wie ein Anti-Statement. Der Portugiese und Pritzkerpreisträger erhielt die Auszeichnung für den Umbau eines verfallenen Landguts im südportugiesischen Alentejo zu einer Luxusherberge. Im Gegensatz zu vielen seiner anwesenden Kollegen präsentiert der Architekt diese Arbeit, die 2017 fertiggestellt wurde, auf zwei Luftbildern. „Vorher und nachher“ könnte darunter stehen, Souto de Moura steigert diese Bescheidenheit noch mit dem Hinweis, dass das Malerische, die ganze Ausstrahlung der Arbeit vor allem dieser selbst zu verdanken sei und weniger der Planung des Architekten oder einem Programm.

Der dritte Goldene Löwe wurde dem britischen Architekten und Architekturhistoriker Kenneth Frampton für sein Lebenswerk verliehen, wir berichteten (DBZ.de).

Kontemplatives Picknicken

Und dann gibt es noch – neben der „Sleeping Beauty“-Ausstellung zur Multihalle von Frei Otto, die gegenüber von San Marco auf dem Inselverbund Giudecca von Georg Vrachliotis zusammen mit Sally Below kuratiert wird – den sehr häufig genannten Vatikan-Beitrag auf San Giorgio Maggiore: Waldkapellen-Entwürfe, Variationen über eine Arbeit von Gunnar Asplund aus den Federn von Francesco Cellini, Norman Foster, Eduardo Souto de Moura, Flores & Prats, Smiljan Radic, Carla Juaçaba, Javier Corvalán, Sean Godsell, Andrew Berman und Teronobu Fujimori. Die entfalten, weitab des Touristenrummels auf der Hauptinsel gegenüber, im Rückraum von Palladio-Kirche und Klosteranlage eine ganz eigene Stimmung. Und irgendwie möchte man ein kontemplatives Picknicken veranstalten, wenn es denn erlaubt wäre.

Hier, gleichsam im Verborgenen, scheint die Ausstellung – es gibt viele kollaterale Veranstaltungen – tatsächlich auf den Punkt gekommen zu sein, den Manfred Sack vor vielen Jahren einmal für die Architekturbiennale so beschrieben hat: „Venedig hat für den Fall, dass seine Ereignisse langweilig sein sollten, immer noch sich selbst, und das ist allemal mehr, als man in ein paar Tagen auf Besuch wahrzunehmen vermag.“ Ja, hier, in dem dem Vatikan überlassenen Garten, kommen Venedig und die Architekturausstellung auf wunderbar entspannte Weise zusammen.
Be. K.

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