Baulückenschließung, Verdichtung, Aufstockung
Marie-Theres Deutsch Architekten BDA, Frankfurt a. M.
zum Thema  „Urbanes Bauen“

Nachbarn sind unwillig, wenn‘s ums Bauen geht. Hat man eine inner­städtische Lücke ergattert, werden nachbarschaftliche Zustimmungen notwendig – je nach Dichte sogar mehrere.

Soll ein Gebäude im urbanen Kontext entstehen, sind drei Parteien gleichrangig beteiligt: die Nachbarn, die Behörden und der Bauherr mit seinem Architekt. Nachbarn können teuer sein, die Behörden mühsam und der private Bauherr unerfahren. Der Vorgang könnte vereinfacht werden, denn nicht immer sind laut Landesbauordnung die nachbarschaftlichen Zustimmungen notwendig. Durch die Behörden schallt jedoch das Wort „Gerichtsfestigkeit“ immer lauter.

Trotz aller Probleme – die meist kleinen, innerstädtischen Baulücken sind gerade bei Privatinvestoren sehr beliebt. Bilden sich Bauherrengruppen, ist der Einsatz eines Mediators dringend notwendig, um den Herausforderungen des Planens und Bauens über mehrere Jahre in der Gruppe gewachsen zu sein. Stellt sich die Frage nach dem Architekten – der sollte weit über das wirtschaftliche Maß Zeit und Geld mitbringen.

Senioren und Stadt

Wer heute in die Stadt zurück will, denkt an seniorengerechte Wohnungen. Die Baulücke ist schmal, das Haus wird hoch, der Aufzug ist notwendig. Barriere- und rollstuhlgerechte Modelle mit den gesetzlich geforderten Maßen sprengen oftmals den Grundriss.

Nur zwei bis drei Prozent der pflegebedürftigen Rollstuhlfahrer sind so stark belastet, dass sie Hilfe benötigen. Den anderen Betroffenen, von denen viele selbstständige Autofahrer sind, böte sich auch hier eine einfache Lösung an: ein Rollstuhl steht im Hauseingangsbereich, ein weiterer vor der Wohnungstür. Die Sitzklappe im Aufzug, ein geübter Schwung vom Rollstuhl auf die Sitzklappe – und der platzsparende Transport nach oben wäre garantiert.

Nicht nur die Genehmigungsfrist verlängert sich durch behördlich geforderte Nachbarschaftszustimmungen, auch die Baugrube sollte einer vorherigen Prüfung unterzogen werden. Verrottete Gründungen der Nachbargebäude, unbekannte Trassen und Kabel und alte Keller finden sich mit Sicherheit. Den Planungsprozess für ein Jahr zu verlängern, ist nicht übertrieben. Ist die Baugrube endlich sichtbar, macht der Immissionsschutz das Leben schwer. Eine Verkehrsstraße produziert am Rand 80 dB, der Baulärm mitten in der Stadt darf 70 dB nur auf Anmeldung hin überschreiten. In der Folge erreichen gerichtsfreudige Nachbarn zusätzliche Lärmschutzwände, lange Baustopps und die Übernahme von Hotelkosten.

Diese Faktoren addiert, ist das Bauen auf der grünen Wiese am Stadtrand wirtschaftlicher. Die wenigen innerstädtischen Baulücken ergeben außerdem nicht die Flächen, die der Metropolenzuzug erfordert.

Liebhaberprojekte könnte man die Füllung von Baulücken nennen, ihre Initiatoren brauchen neben dem langen Atem viel Zeit, ein üppiges Portemonnaie und einen idealistischen Architekten.

Um der Wohnungsnot in den Metropolen zu begegnen, sind Wohn­hochhäuser eine Antwort. Die geforderten Sicherheitsbedingungen lassen jedoch nur hochpreisigen Wohnraum zu. Noch vor zehn Jahren galt das Wohnen entlang der Bahntrassen als nicht möglich – heute sind die innerstädtischen Konversionsgebiete bebaut, die Industrie-brachen an den Ausfallstraßen sind ausverkauft.

Derzeit stellt sich uns Planern eine interessante Aufgabe: die 1950er-/1960er-Jahre-Wohnsiedlungen am Stadtrand. Verkehrlich meist gut erschlossen, bietet sich Platz für eine hohe Nachverdichtung. Stehen Wohnungsgenossenschaften hinter dem (preiswerten) Wohnraum, bietet sich neben der energetischen Ertüchtigung die Chance, den Duktus der Schlafstädte zu ändern. Private Gärten anstelle anonymer Rasenflächen, fassadenstrukturierende Vorbauten, zusätzliche Gebäude mit öffentlicher Infrastruktur in den Erdgeschossen könnte die Suburbia neben effizientem Flächengewinn als städtische Struktur definieren.

Die Architektin

1955 geboren in Trier
1976–1979 Studium der Architektur, FH Trier und FH Wiesbaden
1980–1985 Studium der konzeptionellen Architektur bei Sir Peter Cook und Günther Bock, Städelschule, Frankfurt a. M.
Seit 1985 Architekturbüro Marie-Theres Deutsch Architekten in Frankfurt a. M., Stadtplanung, Landschaftsplanung, Energieberatung, Stadtplanung in Addis Abeba/ET, Fachpreisrichterin – Jurytätigkeiten in nationalen Verfahren
1990–1996 diverse Gastprofessuren
seit 1992 Mitglied im BDA Hessen
2004–2009 Mitglied in der Vertreterversammlung der Architektenkammer Hessen
2013 Mitglied des Städtebaubeirates der Stadt Frankfurt a. M.
www.deutsch-architekten.de

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