Eingebettet in die Historie
Tayson House in „Little Germany“, Bradford/GB

Die nordenglische Stadt Bradford war Mitte des 19. Jahrhunderts das Zentrum der Textilindustrie. Viele deutsche Kaufleute siedelten sich in „Little Germany“ an, deren Lagerhäuser bis heute das Viertel prägen.
Kraus Schönberg Architekten sanierten nach dem Hanover House auch das benachbarte Tayson House aus dem Jahre 1866 und füllten eine Baulücke mit einem neuen Zeitzeugen.  

Der Textilhandel blühte Mitte des 19. Jahrhunderts in der nordenglischen Stadt Bradford, in der Nähe von Leeds und Manchester. Schät­zungen zufolge wurden zwei Drittel der Wollproduktion des Landes dort verarbeitet und Bradford entwickelte sich zur weltweiten Wollhauptstadt mit eigener Wollbörse. Zeugen der florierenden Zeit finden sich in dem Stadtteil „Little Germany“, das zwischen 1855 und 1890 entstand, als sich viele deutsche Kaufleute dort niederließen. Von 85 Häusern sind 55 als Denkmäler gelistet, darunter das Tayson House, das die Kraus Schönberg Architekten sanierten und zu Wohnraum umbauten. „Das Land damals war kirchlich, was man heute noch an den Straßennamen erkennt“, erklärt Timm Schönberg, der die Londoner Niederlassung des deutsch-englischen Büros führt. „Die Entwicklung fing mit kleineren, zweigeschossigen Häusern an, dann folgten größere Lagerhäuser, die bis fünf oder sechs Geschosse hoch waren, mit repräsentativen Eingangshallen und Ornamenten an der Fassade. Das war für uns schön, weil die Bausubstanz rundherum phantastisch und noch sehr intakt ist.“

Freilegen der Bausubstanz

Die Architekten befreien das Tayson House von Einbauten, die für die Zwischennutzung als Büros nachträglich eingebracht worden waren. Die Grundstruktur besteht aus gusseisernen Stützen mit Kapitellen, die Holzbalken und eine einfache Holzbalkendecke tragen. „Wir konnten die gusseisernen Stützen leider nicht zeigen“, erklärt der Architekt. Diese mussten aus Brandschutzgründen ummantelt werden. Die Kapitelle verschwanden unter der abgehängten Decke, die für die Leitungsführung notwendig war, da diese nicht im Fußboden untergebracht werden konnte. „Das war eine pragmatische Entscheidung. Aus Sicht des Denkmalschutzes hätten wir die Stützen nicht auswechseln dürfen, so kann man immer wieder zurückbauen.“

Die Fassade wurde von nachträglich angebrachten Elementen befreit, gewaschen und Verunreinigungen entfernt. Um den originalen Eindruck zu erhalten, wurden die Fenster mit einer Doppelverglasung nachgebaut.

Das Dachtragwerk besitzt zur Chapel Street hin eine Traufkante, die rückwärtige Front zeigt vier Giebel, die sich aneinander reihen. Die Architekten legen die Holzkonstruktion frei. „Die oberen Woh­nungen haben so Raumhöhen von bis zu fünf Metern. Das Freilegen des Dachstuhls war auch dem Denkmalschutz wichtig, weil wir hier die originale Bausubstanz haben. In den Räumen wirkt die Konstruktion wie eine Skulptur. Das war aufwendig, weil hier immer Wohnungs­trennwände hoch gingen.“

Grundrissgestaltung

Die Grundrissgestaltung orientiert sich an dem vorhandenen Stützenraster. Ein zentraler Korridor teilt das 18 bis 19 m tiefe Gebäude in Vorder- und Rückseite und verbindet zwei neue Treppenhäuser an beiden Gebäudeseiten. Sie ersetzen die vorhandenen und unökonomischen Treppenhäuser aus den 80er Jahren. Das Treppenhaus im Bereich des Neubaus bietet zudem eine Erschließung durch einen Lift.

„Der Bauherr war hier relativ großzügig und wünschte Wohnun­gen, die etwa den deutschen Standards entsprechen. Generell sind die Wohnungen in England kleiner. Eine Zweizimmerwohnung, also zwei Schlafzimmer mit Wohnzimmer oder Wohnküche, liegt maximal bei 55 m². Es gibt keine minimalen Wohnungsgrößen per Gesetz.“  

Prägnante Einbettung

Für die Baulücke wünschten die Bauherren eine prägnante Lösung. Die Notwendigkeit Flächen zu optimieren führte zu einer strengen kubischen Form, die sich zwischen seinen Nachbarn einfügt. „Der Neubau kragt 80 cm nach vorn und hinten aus“, erklärt der Architekt. „In der zweidimensionalen Ansicht gleichen wir den Kubus in seinen Höhenversprüngen an die Nachbarn an.“ Der Kubus nimmt die Traufkanten und die Oberkanten der Fenster auf und treppt sich zu seinem kleineren Nachbarn hin ab. In der Fassadengestaltung schaffen die Architekten einen monolithischen Körper, indem sie die Verkleidung aus verzinktem Stahlblech um die Ecken kanten, so dass keine Befestigungspunkte zu erkennen sind. „Es war uns wichtig, dass die Materialität eine Kontinuität darstellt und die historische Entwicklung widerspiegelt. Wir haben verzinkten Stahl für die Fassade verwendet, um industriell zu bleiben. Wir wollten ein Material, das einfach verarbeitet und montiert wird, das verwittert und sich dadurch gut an den Bestand anpasst“, erklärt Timm Schönberg. Ihm ist es wichtig, dass man nicht den Bestand kopiert, sondern sich mit ihm auseinander setzt und etwas Neues schafft, das sich in der Weiterentwicklung der Historie einbettet. Christiane Niemann, Hamburg

x

Thematisch passende Artikel:

6 von 12 für Spanien

Archizinc Trophy 2010 verliehen

241 Projekte aus 25 Ländern wurden eingereicht: zur vierten „Archizinc Trophy“, dem alle zwei Jahre stattfindenden, internationalen Architekturwettbewerb von VMZINC. Am 14. Juni 2010 fand im Saal...

mehr
Ausgabe 04/2013

Berauschend schön

Reiulf Daniel Ramstad ist der führende Protagonist einer neuen nordischen Architektur, seine Bauten (seit 1995) sieht der Architekt selbst als ein präzise durchkonjugiertes Gemisch aus regionaler,...

mehr
Ausgabe 02/2017

Schön gemacht

Diébédo Francis Kéré, in Burkina Faso geboren und nach einem Architekturstudium in Berlin dort auch vorrangig arbeitend, erscheint so manchem als Hoffnungsträger und Leitbild für ein neues...

mehr
Ausgabe 02/2010

Richtig schön Wettbewerb zur Bebauung „Archäologischer Garten“ in Frankfurt entschieden

„Junger Esslinger“, „Alter Esslinger“, „Golden­es Lämmchen“, „Klein Nürnberg“, „Rotes Haus“ oder „Goldene Waage“, diese Namen umschreiben keine edlen Tropfen von Mosel oder Ahr, hier...

mehr

Der Architekt Heinz Kalenborn

Ausstellung im Kultur Bahnhof Eller, Düsseldorf (9.3.-13.4.2014)

Der 1927 in Düsseldorf geborene Architekt Heinz Kalenborn war, nach Studium und Assistentenzeit an der TH Stuttgart, seit 1955 freiberuflich in Düsseldorf tätig und bis 1990 Professor an der...

mehr