Chipperfield und das Germanische Nationalmuseum
Es ging wohl nicht kleiner: Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, das seit 170 Jahren besteht (Gründung 1852), verdankt sein Werden dem allgemeinen Wunsch des bayerischen König Ludwig I. und dem sehr konkret an diesem Projekt arbeitenden fränkischen Adligen Hans Freiherr von und zu Aufseß. Dieser nahm das königlich Allgemeine auf und fügt ihm das Konkrete einer Gründung hinzu; mit der Absicht, ein „wohlgeordnetes Generalrepertorium über das ganze Quellenmaterial für die deutsche Geschichte, Literatur und Kunst“ anzulegen. Der Freiherr hatte selbst, auch im Rahmen der bereits Jahre zuvor ins Leben gerufenen „Gesellschaft für Erhaltung der Denkmäler Älterer Deutscher Geschichte, Literatur und Kunst“ eine ansehnliche Sammlung dessen angelegt, was der deutschnational denkende Rechtsgelehrte als dem „älteren“ Deutschen zugehörig entschied.
Mit Königssegen und der Überlassung der Nürnberger Kartause als erstem, einem solchen Unternehmen würdigen Ort, gründete sich also das heute so genannte Germanische Nationalmuseum als bis heute Deutschlands größter kulturhistorischer Archiv- und Ausstellungsort, dessen Sammlungsspanne von Artefakten aus der Altsteinzeit bis zu digitalen Daten aus der Gegenwart reicht.
Das mittelalterliche Kartäuserkloster wurde schnell zu klein, man ergänzte es schon Ende des 19. Jahrhunderts um neugotische Gebäudeteile an der Frauentormauer. Während des Weltkriegs 1914-18 entstanden die Bauten des heutigen Personaleingangs am Kornmarkt und der so genannte Galeriebau von German Bestelmeyer. Der größte bauliche Eingriff startete 1953 mit dem Auftrag für einen Generalbebauungsplan an Sep Ruf (zunächst mit Harald Roth). Die daraus resultierenden Wiederaufbau- und Neuplanungen stellen mit 14 Bauabschnitten über einen Zeitraum von rund einem Vierteljahrhundert das umfangreichste Bauprojekt im Werk von Sep Ruf dar. Fast alle Zubauten, die lange auf Denkmalschutz warten mussten, sind überformt, teils abgerissen. Die letzte Veränderung ist das 1993 entstandene gläserne, im postmodernen Stil gestaltete Museums-Forum mit der heutigen Eingangshalle, entworfen von Jan Störmer mit der Architektengruppe ME DI UM. Die von Dani Karavan geschaffene „Straße der Menschenrechte“ setzte den letzten Akzent.
Längst ist das alles in die Jahre gekommen, der Stand der TGA ist auf dem der 1960er-Jahre. Zudem haben die Erweiterungen, Zubauten und Revisionen Erschließungsprobleme gebracht, es gab Sackgassen. 2021 wurde seitens des öffentlichen Bauherrn (Bund, Land, Stadt) ein Verhandlungsverfahren initiiert, das die Grundinstandsetzung des Süd- und Südwestbaus vorsah. Im Rahmen des Verfahrens erhielten David Chipperfield Architects Berlin den Zuschlag, TGA und museale Präsentation der 1960er-Jahre an die heutigen Bedürfnisse anzupassen (Ausstellungskonzept: Atelier Brückner GmbH, Stuttgart, neo.studio neumann schneider architekten, Berlin).
Womit David Chipperfield Architects vermutlich überzeugen konnten – abgesehen von wertvollen Erfahrungen solcher Arbeit aus der Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie in Berlin – war ganz sicher auch der Vorschlag zur Verbesserung der Erschließung der einzelnen Museumsbauten auf dem Block: So wird der im Krieg 1939-45 zerstörte Südflügel des Großen Kreuzgangs in einer angenäherten Typologie als schlichtes Ziegelvolumen mit Spitzbogenfenstern und begrüntem Flachdach wieder geschlossen. Damit ist zukünftig jedes Ausstellungsgebäude unabhängig zu erreichen, die Sackgassen im Ausstellungsrundgang werden aufgelöst.
Kosten soll diese – man darf mit Blick auf das große Ganze wohl schreiben – erste Sanierung/Ergänzung – 67 Mio. € (einschließlich Ausstellungseinrichtung und -ausstattung). Neueröffnung soll sein 2030. Ab sofort ist der südliche Komplex für Besucherinnen geschlossen. Dass sich neben der Bauwerkssanierung auch eine Diskussion um das germanisch Nationale anbietet, sollte der Bauherr als Repräsentant einer parlamentarischen Demokratie erkannt haben. Auch das gehört definitiv zur Aktualisierung des Bestands an das Gegenwärtige! Be. K.