Im Gespräch mit David Chipperfield über die James-Simon-Galerie

Beharrlichkeit zahlt sich aus: Schon vor vielen Monaten haben wir bei David Chipperfield wegen eines Interviews zum Projekt James Simon Galerie auf der Berliner Museumsinsel angefragt, nun, nachdem der Bau der Öffentlichkeit übergeben wurde, hat es geklappt. Live (ganz kurz) und dann per Telefon. Dass sich in dieser Zeit des Wartens der eine oder andere Fragenakzent verschoben hat, ist dem zunehmend besseren Verständnis des Entwurfs zu verdanken. Die Frage nach dem Zeitgenössischen ist aber geblieben. Und auf die kam auch eine Antwort, eine sehr knappe.

„So nicht, Mr Chipperfield!“ titelte eine große Tageszeitung zu Ihrem ersten Entwurf, der im Nachhinein als Teil Ihrer Masterplanung ausgegeben wurde. Und tatsächlich wurde es ganz anders … Warum? Haben Sie nachgegeben?

Nein, überhaupt nicht. Der erste Entwurf, von dem Sie hier sprechen, kam noch vor der Beauftragung und war in erster Linie eine Studie im Rahmen des Masterplans, in welcher wir klären sollten, wie wir die zentralen infrastrukturellen Probleme der Museumsinsel in den Griff bekommen können. Es gab ein sehr allgemeines Briefing, in dem wir aufgefordert waren, uns Gedanken über eine Neusortierung der Ausstellungsflächen zu machen, ein Auditorium sollte vorhanden sein, ein Café, Buchladen etc. Wir waren in dieser Phase noch nicht in der Beauftragung, sondern in der Fortsetzung und Detaillierung des Masterplans. Und das ist uns mit dieser Studie sehr gut gelungen, wir konnten hier Flächen und Volumina definieren, wie auch das Baubudget. Von hier aus kamen wir aus dem sehr allgemein gehaltenen Briefing zu einer detaillierten Beauftragung. Als diese vorlag, hatten wir die Möglichkeit, uns noch einmal mit dem Bauherrn zusammenzusetzen und die Aufgabe im Detail zu besprechen. Aber nicht zwangsläufig darüber, wie der Neubau später aussehen sollte. In unserem ersten Entwurf sind wir noch davon ausgegangen, einen eigenen Museumsbau auf die Insel zu stellen.

Können Sie möglicherweise verstehen, dass ein Kritiker heute – aller Schönheit des nun realisierten Entwurfes zum Trotz – enttäuscht ist, dass Sie damals nicht konsequent zeitgenössisch auf die Masse stilistischer Geschichtsklitterung im Hintergrund reagiert haben?

Dass das, was wir gemacht haben, nicht zeitgenössisch sein soll, das ist Ihre sicherlich gut abgewogene Meinung.

Ihre Arbeit zum „Neues Museum“ wurde mit Preisen überhäuft. Zu Recht! Wieso wurde der dort geübte Umgang mit der Geschichte – die Kontrastierung des Alten durch das Neue – so sehr gelobt, ihr in diesem Kontext schmerzende Verweis auf Zeitgenössisches Bauen dagegen so sehr verrissen?

Beim Neuen Museum war diese Dichotomie als Aufgabe gegeben, wir hatten ja eine Ruine vor uns, die wir wiederaufgebaut haben. Bei der James-Simon-Galerie ist das ganz anders. Schon allein, weil wir hier einen kompletten Neubau vor uns haben.

Der allerdings recht historisch ausschaut …

Wenn Sie das meinen …

Welchen Anteil hat Alexander Schwarz als Entwurfspartner an diesem Entwurf?

Alexander Schwarz hat tatsächlich eine zentrale Rolle bei diesem Entwurf gespielt. Wie auch bei vielen anderen Projekten des Büros, beispielsweise beim „Haus Bastian“ auf der anderen Seite des Kupfergrabens. Das Konzept der James-Simon-Galerie haben wir zusammen entwickelt, mit dem Team und mit Martin Reichert, dem Managing Director. Ich bin in jedem Projekt mit dabei, insbesondere beim Konzeptentwurf. Je mehr ein Projekt in die Realisierungsplanung geht, je mehr übernimmt das Team die Aufgaben – wie es in den meisten Büros üblich ist.

Stört der Neubau des Eingangsbauwerks nicht die Darstellung der Alt/Neu Dichotomie des von Ihnen realisierten „Neues Museum“? Insbesondere bezogen auf die Westfassade?

Die Westfassade war immer schon die Rückseite des Neuen Museums, hier verlief in der Vergangenheit die „Museumsstraße“, die so etwas wie die Anlieferung war. Die Hauptfassade finden Sie im Osten zum Kolonnadenhof. Erst die Kriegsbeschädigungen haben die Westfassade zum Kupfergraben freigelegt, was von den Planern des Museums niemals beabsichtigt war.

Dennoch: Ihr Neubau verbaut die von Ihnen so überzeugend gestaltete Westfassade mehr, als der historische Packhof, der an gleicher Stelle in der Höhe am heutigen Kolonnadenfuss endete.

Sie mögen das bedauern, ich kenne manchen, dem das sogar gefällt!

Die Fortführung der Kolonnaden des „Neues Museum“ in den Neubau der James-Simon-Galerie scheint geglückt. Was war hier die konzeptionelle Idee?

Die James-Simon-Galerie hat komplexe funktionale Anforderungen zu übernehmen. Die zentrale Aufgabe ist, Dinge zusammenzubringen, zu verbinden. Sie ist ein Empfangsort für Touristengruppen. Von hier aus sollen die Besucher verteilt werden und ins Pergamonmuseum gehen, ins Neue Museum oder die Archäologische Promenade. Gleichzeitig soll der Neubau aber auch öffentlichen Raum schaffen. So wird der Kolonnadenhof von Schlüter mit dem neuen Kolonnadenhof auf der Westseite des Neuen Museums verbunden. Damit haben wir mit der James-Simon-Galerie nicht nur einfach ein Haus gebaut, sondern auch einen Ort für die Menschen geschaffen. Das ist eine wesentliche Rolle des Gebäudes.

Sie mussten sich mit „Giganten der Baugeschichte“ (FAZ) auf der Museumsinsel messen. Mussten Sie tatsächlich?

Sehen Sie, es war keine leichte Aufgabe, in dieser dichten architektonischen Landschaft aus dem 19. Jahrhundert zu bauen. Das verlangte von uns, auf das was vorhanden ist zu antworten anstatt den Kontext zu ignorieren. Daher haben wir Elemente wie Kolonnaden, Portikus, Sockel und Freitreppe aufgegriffen… Hier wollten wir nicht in einen Wettstreit treten, eher haben wir mit Sympathie reagiert.

Hat der Bestand also Ihre Arbeit eher inspiriert oder doch mehr behindert?

Wir wurden ganz klar inspiriert durch den Kontext. Was nicht dazu führt, dass wir die Architektur des 19. Jahrhunderts imitieren wollten.

Hätte nicht die Eleganz der Funktion des von Ihnen entwickelten Raumflusses mit Licht-/Schattenspielen, Abzweigen, Hinauf und Hinab, Quer- und Durchblicken auch nach Außen getragen werden können? Der Bruch zwischen Außen-/Innenbild erscheint unversöhnt

O. K., aber das Haus ist nun fertig. Das ist eben eine Eigenschaft von Architektur: Ist sie erst einmal gebaut, ist alles unveränderlich.

Was ist aus Ihrer Sicht das Problem der Museumsinsel und wie haben Sie darauf reagiert?

Wie alle großen Sammlungen dieser Welt hat auch die Museumsinsel ihre Probleme damit, wie sie in der Stadt lebendig wird. Was beim Louvre wie beim Britischen Museum gilt, das gilt auch für Berlin: Es kommen immer mehr Touristen und immer weniger Bürger. Die James-Simon-Galerie sorgt einerseits dafür, die vielen touristischen Besucher zu empfangen und zu leiten, andererseits bietet sie mit dem Auditorium und dem Café einen Ort für die Stadt und ihre Bürger.

Das Auditorium – ein schöner, aber sehr geschlossener Raum unter der großen Treppe – ist dafür aber ganz gut versteckt. Wäre da nicht mehr drin gewesen?

Sie müssen sehen, dass ein Auditorium aus ganz funktionalen Gründen ein introvertierter Raum sein muss – der im Zusammenspiel mit den umgebenden Freiflächen funktioniert. Wie kaum ein anderer Bau schafft die James-Simon-Galerie auf weiten Flächen öffentlichen Raum. Das schafft eine Lebendigkeit vor und nach einem Event, das im Auditorium stattfindet. Gleiches gilt für den großen, frei bespielbaren Raum für Wechselausstellungen. Überhaupt haben wir das Gebäude als einen, ich hoffe bis weit in die Nacht, offenen städtischen Raum angelegt, der über seine Aufgabe hinaus, Kunst zugänglich zu machen, auch die Kultur des Stadtlebens beflügelt.

Das Thema der „Raubkunst“ durchdringt das ganze Projekt Museumsinsel; haben Sie das irgendwie in Ihrem Entwurf mitgedacht, mitdenken dürfen?

Aus entwurflicher Sicht ist das – glaube ich – kaum möglich, derart komplexes architektonisch zu beantworten. Aber wir haben mit unseren Räumen – dem Auditorium beispielsweise – Orte für Debatten zu diesem wichtigen Thema geschaffen.

Es gibt gute Quellen, denen ich entnehmen kann, Sie hätten noch ein paar gute Ideen für die Überarbeitung des „Altes Museum“. Wann legen Sie Ihre Pläne vor?

Wir haben keine Pläne für das Alte Museum.

Aber Sie denken drüber nach?!

Im Moment nicht. Wir haben den Masterplan geschaffen mit der Idee, alle Gebäude miteinander zu verbinden. Die Verbindung zwischen Neuem Museum und Altem Museum gibt es ja schon, jedenfalls ist sie im Neuen Museum angelegt. Wir hoffen, wenn das Alte Museum angegangen wird, dass diese Verbindung aufgegriffen und fertiggestellt wird. Von wem dann auch immer.

Wir sehen einige Möbel in der Galerie, die von Ihnen kommen. Sind das Einzelanfertigungen oder gehen die in Serie?

Wir haben zwei Dinge gestaltet: die Bänke und die Tische. Ich mag die Bänke sehr und kann mir gut vorstellen, sie in weiteren Projekten aufzustellen. Ob sie in die Verkaufsproduktion gehen, weiß ich nicht, kann ich mir aber vorstellen.

Letzte Frage: Ihr Lieblingsplatz in der Galerie?

Meinen Lieblingsplatz habe ich möglicherweise gestern gefunden, als die Tür zum Pergamonmuseum geöffnet wurde. Da habe ich zum ersten Mal sehen können, ob und wie der Übergang in den Südflügel funktioniert. Ich muss sagen, ich war überrascht als ich sah, wie wunderbar dieser Raum des Übergangs funktioniert. Die Tür ist allerdings temporär und wird noch vergrößert, wenn die Arbeiten im Pergamonmuseum abgeschlossen sind.

Mit David Chipperfield unterhielt sich via Telefon DBZ Redakteur Benedikt Kraft am 11. Juli 2019, nach Besichtigung und vor der offiziellen Eröffnung der James-Simon-Galerie.

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