Am PC geschnitzt

Stammhaus nennt das Holzbauunternehmen Blumer Lehmann sein neues Empfangs-
und Bürogebäude im schweizerischen Gossau. Namensgebend ist eine beeindruckende Free-Form-Treppe im Atrium, deren skulpturale Form an einen Baumstamm erinnern soll. Für den zukunftsweisenden Holzbau haben die Spezialisten von Blumer Lehmann neue Techniken entwickelt.

Moderne Arbeitswelt: Mit dem neuen Stammhaus will Blumer-Lehmann die über mehrere Standorte verteilten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem Ort ­zusammenführen und eine Identifikationsadresse schaffen
Foto: Jan Thoma/ Blumer-Lehmann AG

Moderne Arbeitswelt: Mit dem neuen Stammhaus will Blumer-Lehmann die über mehrere Standorte verteilten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem Ort ­zusammenführen und eine Identifikationsadresse schaffen
Foto: Jan Thoma/ Blumer-Lehmann AG

Der neue Hauptsitz der Schweizer Holzbaufirma Blumer Lehmann auf dem Erlenhof im Kanton St. Gallen ist ein hochmoderner Holzbau nach einem Entwurf von K&L Architekten. Herzstück des Büro- und Empfangsgebäudes ist eine frei geformte Treppe aus gebogenen Massivholzplatten, deren Entwurf und Holzbautechnik gemeinsam mit dem ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung der Universität Stuttgart entwickelt wurde. Ihre Gestaltung verbindet computerbasierte Planungsmethoden, digitale Fertigung und handwerkliche Holzbaukunst in einer architektonischen Synthese und macht die faszinierenden Möglichkeiten des Werkstoffs Holz räumlich erlebbar.

Blickachsen und Blickfang

Seit mehr als 20 Jahren reiften bei Blumer Lehmann Pläne und Ideen für ein neues Bürogebäude, das die vielfältigen Aktivitäten des Unternehmens im Erlenhof zusammenführen soll. „Das Stammhaus wird ein lebendiger Ort sein, an dem neue Ideen entstehen und gedeihen und der den Geist unseres Unternehmens verkörpert“, prophezeit Bauherrin Katharina Lehmann.

K&L Architekten setzten in ihrem Entwurf auf Transparenz, schufen viele Blickachsen für ­die­ Kom­­munikation und integrierten ein geschossübergreifendes Atrium mit der namensgebenden Treppenskulptur als zentrales Element für Begegnungen. Das Bürohaus hat die Grundfläche eines einseitig beschnittenen Vierecks. Es bietet auf fünf Geschossen Platz für 180 Büroarbeitsplätze sowie Veranstaltungsflächen und eine Cafeteria mit Terrasse. Ein großzügiges Foyer und die geschwungene Atriumtreppe empfangen die Besucher im Erdgeschoss. Im 2. Obergeschoss verbindet eine Passerelle den Neubau mit der benachbarten Produktionshalle. Die Büroflächen des Stammhauses erstrecken sich entlang der Außenfassaden, während sich die Besprechungs- und Rückzugsräume, Teeküchen und Garderobennischen um den mit grünlasierter Weißtanne verkleideten Erschließungskern gruppieren. Innenwände mit Lehmputz verbessern in den Büro­etagen das Raumklima und dienen als thermi­scher Speicher. Holz-Akustikdecken und ein Bodenbelag aus Naturwolle sorgen in den Büros für eine angenehme Akustik.

Computergenerierter „Baumstamm“ im Stammhaus: Das Design für die zentrale Treppe entwickelten die Architekten gemeinsam mit dem „Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung“ der Universität Stuttgart
Foto: Jan Thoma/ Blumer-Lehmann AG

Computergenerierter „Baumstamm“ im Stammhaus: Das Design für die zentrale Treppe entwickelten die Architekten gemeinsam mit dem „Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung“ der Universität Stuttgart
Foto: Jan Thoma/ Blumer-Lehmann AG

Auf aktive Kühlung wurde bewusst verzichtet. Stattdessen kommen nachhaltige Lowtech-Lösungen zum Einsatz. Warme Luft entweicht über das Atrium, automatisierte Fenster auf allen Geschossen sorgen für Frischluft und eine automatische Nachtauskühlung – am Tag können alle Büroflächen individuell und manuell natürlich gelüftet werden. Durch die umlaufenden Balkone liegen alle Fenster im Schatten. Die innenliegenden Besprechungsräume werden über Lehmkühldecken temperiert, deren Kühlleistung durch geothermische Energiepfähle klimaneutral gewonnen wird.

Holz-Skelettbau mit neuer Verbundtechnik

Umgesetzt wurde das Stammhaus in Holzbauweise mit Material aus der Region. Das Bürogebäude ist als konventioneller Holz-Skelettbau über mehrere Geschosse organisiert und mit einem Betonkern ausgesteift. Um den vertikalen Erschließungskern herum ist alles aus Holz. Die sichtbaren Holzbauteile stammen aus dem eigenen Sägewerk, andere wurden von externen Produzenten zu Halbfertig- und Fertigprodukten verarbeitet. Bei den Geschossdecken fand das Projektteam eine besondere Lösung: Für eine schubfeste Verbindung zwischen den Brettschichtholzrippen der Geschossdecken und den darauf liegenden CLT-Platten wurden Aussparungen in Platte und Balken gefräst, die erst nach der Montage mit Ortbeton ausgegossen wurden. Der Holz-Beton-Holz-Verbund spart Beton und kommt ohne Verklebung der Komponenten aus.

Die vorgehängte Fassade dient mit ihren umlaufenden Balkonen und den vertikalen Holzlisenen als Sonnen- und Blendschutz für die Arbeitsplätze. Dort, wo mehr Sichtschutz erforderlich ist, werden sie durch horizontal geschichtete Holzstapelsegmente ergänzt. Die Gestaltung der Südwestfassade orientiert sich damit an dem Bild der nebenan im Sägewerk zum Trocknen aufgestapelten Brettstapel. Eine gelungene Verbindung von Ästhetik mit Holzschutz: Die „Holzstapel“ der Fassade bestehen aus keilgezinkten Fichtenlamellen, die auf rund 10 000 Spriegeln aufliegen. So werden hier die kleinen Klötze genannt, die bei der Lagerung von Holz als Abstandshalter für die Luftzirkulation dienen.

Enge Radien, dünne Bauteile: Bei der CLT curved-Technik werden die Bauteile trocken verleimt und mechanisch in Form gebracht
Foto: Jan Thoma/ Blumer-Lehmann AG

Enge Radien, dünne Bauteile: Bei der CLT curved-Technik werden die Bauteile trocken verleimt und mechanisch in Form gebracht
Foto: Jan Thoma/ Blumer-Lehmann AG

Treppenskulptur aus Holz

Das Herzstück ist das Atrium mit der Free Form-Treppe, die dem Stammhaus seinen Namen gab. Sie durchdringt alle fünf Stockwerke des Gebäudes und ist vertikale Erschließungszone und identitätsstiftender Kommunikationsraum zugleich. Im Kontrast zu der strengen Rasterstruktur der Büroetagen erzeugen die unterschiedlichen Treppenteile ein Spiel aus Linien und Kurven. Die so entstehenden kunstvoll gebogenen Flächen und Formen entfalten einzigartige räumliche Qualitäten, ermöglichen Ein- und Ausblicke, bilden Sitznischen und Balkone aus, die das Atrium mit den umliegenden Geschossebenen zusammenbringen.

Bisher kannte man solche Treppenskulpturen nur aus Beton oder Stahl. Die organische Treppen­figur im Stammhaus von Blumer Lehmann jedoch wurde aus gekrümmten und verleimten Holzsegmenten gebaut. Nach außen wirkt das gebogene Holz fast wie eine textile Wandfläche. Zum zentralen Luftraum hin formt die präzise Verschneidung der gekrümmten Elemente eine Abfolge geschwungener Grate, die sich vertikal durch die Geschosse ziehen und im einfallenden Tageslicht als plastisches Relief hervortreten. Für Tageslicht sorgt ein rundes Oberlicht über dem Atrium: Die Leichtbaukonstruktion aus einem riesigen ETFE-Folienkissen mit einem Durchmesser von 8,5 m schwebt mit Transparenz und Leichtigkeit über der massiven Holzkonstruktion.

Räumliches Flächentragwerk

Die im freigeformten Atrium verwendeten gekrümmten Wandelemente sind eine Weiterentwicklung von Blumer Lehmann aus den gemeinsamen Forschungsprojekten mit dem Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung ICD der Universität Stuttgart. Beim 14 m hohen Urbach-Turm in Remstal (DBZ 11 | 2019) und später dem 22 m hohen Wangen Turm auf der Landesgartenschau in Wangen im Allgäu (DBZ 6|2024) war mit selbstformenden, tragenden Bilayer-Holzbauteilen experimentiert worden. Damals entstand bereits die Idee, auch bei der Gestaltung des Atriums im neuen Stammhaus von Blumer Lehmann gekrümmte Holzsegmente einzusetzen. Anders jedoch als bei den Bilayern, für die eine dünne, passive Schicht mit einer dickeren Schicht aus feuchtem Holz verleimt wird, die sich dann beim Trocknen aktiv zu einer vordefinierten Krümmung zusammenzieht, werden die Holzsegmente für CLT curved in der Werkstatt von Blumer Lehmann trocken verleimt und dabei mechanisch in eine konkave oder konvexe Form gepresst. So entstehen effizient und qualitäts­sicher herstellbare, normgerechte Holzbauteile aus kreuzweise verleimten, gekrümmten Massivholzplatten, die auch aus baurechtlicher Perspektive statische Funktionen übernehmen können.

Ein von Blumer Lehmann entworfenes Analysetool sorgte dafür, dass das 3D-Mastermodell während des Bauprozesses an die jeweiligen Veränderungen angepasst werden konnte
Grafik: ICD Universität Stuttgart

Ein von Blumer Lehmann entworfenes Analysetool sorgte dafür, dass das 3D-Mastermodell während des Bauprozesses an die jeweiligen Veränderungen angepasst werden konnte
Grafik: ICD Universität Stuttgart

Für die Wissenschaftler bot sich die Chance, bei dem Entwurf und der Detaillierung die computergestützten Planungs- und Fertigungsmethoden für die gekrümmten Holzbauteile weiter zu entwickeln. Für Blumer Lehmann als Industriepartner stand im Fokus, das spezielle Atrium-Design holzbautechnisch zu realisieren. Die ­geometrisch anspruchsvoll geformten Platten – hergestellt aus Fichte-Rohlamellen aus dem eigenen Holzwerk – werden von Blumer Lehmann derzeit als CLT curved für eine internationale Zulassung weiterentwickelt. Aktuell wird auch daran gearbeitet, den Radius weiter zu verringern, um damit auch kleinere Treppenhausradien umsetzen zu können.

Handwerk und digitale Tools

Während K&L Architekten die architektonische Gestaltung und Planung des gesamten Stammhaus-Projekts erarbeiteten, entwickelte das ICD der Universität Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Planungsteam von Blumer Lehmann und den Architekten die Gestaltung des Atriums und der Treppe aus vertikal und schräg geschnittenen zylindrischen Flächen. Der Prozess der gemeinsamen Formfindung und der Anpassung der ­Entwurfsideen an technische, normative und gestalterische Anforderungen erwies sich als hochkomplex. Bereits minimale Variationen in der Neigung der gekrümmten Holzelemente zueinander führten zu signifikanten Veränderungen der Verschneidungskurven und bestimmten, wie sich die Elemente in der Gesamtstruktur zueinander weiterentwickeln.

Um dieser Komplexität gerecht zu werden, hatte das ICD ein 3D-Mastermodell erstellt, an dem das Design in gemeinsamen Workshops vorgestellt und mit den planerischen Anforderungen in Einklang gebracht werden konnte. Ein vom Geometrieteam von Blumer Lehmann entwickeltes Analysetool diente der frühzeitigen Kollisionserkennung und Prüfung der jeweiligen ­Entwurfsversionen. Die computerbasierten Entwurfsmethoden ermöglichten es, die Komplexität der Struktur auch in den späteren Planungsphasen, trotz neuer Erkenntnisse und Pla­nungsfortschritte, fortlaufend präzise zu steuern und die geänderten Details parametrisch einzubeziehen. Das Design for Manufacturing and Assembling als Vorbereitung für die automatisierte Fertigung zu finalisieren, war dann wieder die Aufgabe des Blumer Lehmann-Teams. Die Geometrie der Bauteile und deren Verbindungen mit ihren vielen tausend Vorbohrungen in unterschiedlichen Winkeln waren höchst anspruchsvoll. Für die digitalen Planungsvorgaben wurden die definierten Flächen in produzierbare Segmente unterteilt, alle Schnittkanten geometrisch modelliert und die Verbindungsmittel in das Modell hineinprogrammiert.

Um die Effizienz der Produktion zu steigern, konnte die Konstruktion durch die Verwendung von nur zwei unterschiedlichen Radien für das gekrümmte Brettsperrholz sowie durch die Wiederholung identischer Treppenmodule optimiert werden. Die Umfassungswände des Atriums haben einen Radius von 3,00 m, der Innenradius ist 2,40 m. Dank ihrer Krümmung erreicht die Struktur eine außergewöhnliche Steifigkeit, die einen Wandaufbau von nur 130 mm ermöglicht; die tragende innere Wange der Treppenskulptur ist sogar nur 9 cm dick. Trotz dieser geringen Material­stärke gewährleistet die gesamte Struktur die Lastabtragung über alle fünf Geschosse hinweg und trägt sowohl die Treppenanlage als auch die angrenzenden Geschossdecken mit dem darüberliegenden Leichtdachaufbau.

Autorin:
Inga Schaefer studierte Architektur und Soziologie und arbeitet als freie Baufachjournalistin für Architektur, Bautechnik und klimagerechtes Bauen
Foto: privat

Autorin:
Inga Schaefer studierte Architektur und Soziologie und arbeitet als freie Baufachjournalistin für Architektur, Bautechnik und klimagerechtes Bauen
Foto: privat

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