Jürgen Mayer H. Garant für Bilbao-Effekte auch an der Peripherie?

Eröffnung des “New Airport Building” in Mestia, Georgien

Swanetien ist der Name einer historisch bedeutenden Region im Norden Georgiens im Großen Kaukasus. Ihre Abgeschiedenheit von der (westlichen) Welt macht sie für Touristen, die unverbaute Landschaften und noch einigermaßen intakte Wälder mit reichem Wildtierbestand erleben wollen höchst attraktiv. Ein Umstand, den schon die Sowjets erkannten, wurde unter Stalin bereits dieser fern von Moskau liegende Landstrich infrastrukturell an größere Bahn- und Straßennetze angeschlossen. Die bedeutendste Stadt (mit rund 3000 Einwohnern auch eher ein großes Dorf) in Swanetien ist Mestia, das sich auf rund 1500 Höhenmetern am rechten Flussufer des Enguri entlang entwickelt hat. Und – wie in den umliegenden Dörfern auch – über alte Wehrtürme verfügt, die insgesamt unter dem UNESCO-Welterbe-Siegel mehr recht als schlecht in Stand gehalten werden.

Mestia ist sowohl Sommerfrische mit zahlreichen Ausflugsmöglichkeiten, wie auch schneereicher Winterkurort. Oder besser: Mestia war das einmal, denn mit dem Zerfall der UdSSR begann der Abstieg der kleinen Stadt, die zwar immer noch Verwaltungssitz der Region ist, ein Krankenhaus besitzt und sogar ein Museum, doch die weiterführende Schule ist eine Ruine, von einem besseren Mittelklassehotel wird allenfalls geträumt und die kleinen Läden im Zentrum, die den alltäglichen Bedarf abdecken, sind teils nur improvisierte Holzbuden. Immhin, es gibt hier schon länger eine Ladepiste für kleinere Propellermaschinen, ursprünglich einmal für militärische Zwecke gebaut.

Diese Flugpiste im Nordosten Mestias, zwischen Fluss und Bergen eingeklemmt, soll nun die ehemalige kleine Touristenstadt aus ihrem Dornröschenschlaf wecken helfen. Mit Blick in die professionelle Stadtmarketinglandschaft Europas entdeckte die Georgische Regierung, hier die Abteilung für Infrastruktur und Touristik, den Bilbao-Effekt: man nehme einen bekannten Architekten, lasse ihm freie Hand und schon wird es was mit der Stadt, der Region, dem großen Ganzen. Man fand zahllose Berichte über J. Mayer H. s Metropol Parasol-Projekt in Sevilla und verstand gleich, was hinter diesem in Südspanien demnächst realisierten Bau steckt: perfektes Marketing. Das Berliner Büro wurde angesprochen, schnell einigte man sich auf ein Prozedere; und, weil man schon dabei war, auf weitere Projekte, die die infrastrukturelle Erschließung Georgiens für das Kommende fit machen sollen (Grenzübergang zur Türkei bei Sarpi, Raststätten …).

Also ein Flugplatzgebäude in Mestia, perfekt am Heiligen Abend, am 24. Dezember 2010 eröffnet. Die Beton-/Stahlkonstruktion bietet sämtliche Funktionen wie das ihre großen Brüder (Schwestern?) in der Welt sonst auch machen: Ankunft/Abflug, Check-In, Gepäckausgabe, Sicherheitskontrolle, Wartezonen und Toiletten. Einen Duty-Free-Shop wird man hier missen müssen, doch wer seine Wartezeit an solchem Ort mit Einkaufen von Billigem zubringen möchte, ist ohnehin fehl am Platz.

Der Entwurf orientiert sich nicht – wie vielfach geschrieben – an den alten Wehrtürmen vis-a-vis, die nach oben gebogenen Flügelenden des Baus (Wartebereich und Tower) sollen Blickbezüge herstellen zwischen Himmel, Landschaft und Stadt (und Landebahn, die in der wilden, von Wind gezausten Landschaft zu betrachten schon erstes Magenkribbeln vor dem Abflug erzeugt). Noch hat der Flugplatz eine Kapazität von 25 Passagieren pro Stunde, so viele Menschen passen maximal in die Propellermaschinen, die hier stundenweise abgefertigt werden. Was aus Sicht einer Vermarktung einer ganzen Landschaft zu wenig ist, ein Ausbau des Flugplatzes ist zumindest möglich.

Gebaut wurde das Flughafengebäude in nur drei Monaten, das komprimierte Raumprogramm (insgesamt nur 250 m²), die einfache Konstruktion, die gleichfalls einfache Haustechnik (z. B. Betonteiletemperierung) machten es möglich. Im Mai soll bereits die neue Grenzstation Georgien/Türkei eröffnen (Übergang an der Schwarzmeerküste bei Sarpi), wie die Raststätten aus dem Hause J. Mayer H. aussehen werden, ist noch nicht entschieden. Dass wir nun über den Flugplatzbau geschrieben haben bedeutet dann auch wohl, dass Sie sich demnächst in Richtung Swanetien aufmachen … oder sollte es so sein, dass sich der Bilbao-Effekt an dieser rauen Region der Welt vergeblich abarbeitet?! Be. K:

“New Airport Building” in Mestia, Georgien

Architektur: J. MAYER H. Architekten, Berlin

Projektteam: Juergen Mayer H., Jesko Malkolm Johnsson-Zahn, Hugo Reis, Mehrdad Mashaie, Max Reinhardt

Realisierung: Oktober - Dezember 2010

Fertigstellung: Dezember 2010

Bauher: Tiflis International Airport

Projektarchitekt: Beka Pkhakadze

Baukonstruktion von ANAGI ltd.

Fotos: J. MAYER H.

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 05/2012

Polizeistation und Gerichtsgebäude www.jmayerh.de

China erscheint so manchem Architekten in diesem Land als der wilde Osten, in welchem alles möglich ist, alles schnell geht und immer in ganz großem Maßstab. Doch der wirklich wilde Osten beginnt,...

mehr

Wolkenarchitektur

J. Mayer H. mit neuem (Grenz)Bauwerk in Georgien

Vor gar nicht langer Zeit, in Frankfurt Main, während eines Kongresses, sprach ich Jürgen Mayer H. auf einen Termin hin an. Den sollte ich auch bekommen, aber wohl erst in ein paar Tagen, er müsse...

mehr
Ausgabe 04/2013

In München scheint es noch Bedarf zu geben Ein Gespräch mit Jürgen Mayer H. www.jmayerh.de

Am 9. März 2013 wurde die Schaustelle gegenüber der Pinakothek der Moderne mit einer Ausstellung eröffnet, ab Mitte April startet das eigentliche Programm. Das Ausstellungsprovisorium bietet dem...

mehr
Ausgabe 10/2008

Form follows Mayer Das Berliner Architekturbüro Jürgen Mayer H.

Bereits das Stadthaus Scharnhauser Park in Ostfildern ist in mancher Hinsicht bahnbrechend. Mit diesem Paukenschlag wurde das Büro Jürgen Mayer H. aus der Taufe gehoben und bundesweit bekannt. Noch...

mehr
Ausgabe 10/2022

Mit Brillux auf nach Bilbao

Das Guggenheim Museum von Frank Gehry hat sich im Lauf der Zeit zu einer weltbekannten Architekturikone entwickelt. Immer noch übt die einzigartige Gestaltung des Bauwerks eine enor­me...

mehr