In München scheint es noch Bedarf zu gebenEin Gespräch mit Jürgen Mayer H.
Am 9. März 2013 wurde die Schaustelle gegenüber der Pinakothek der Moderne mit einer Ausstellung eröffnet, ab Mitte April startet das eigentliche Programm. Das Ausstellungsprovisorium bietet dem internationalen Kunsttouristen aber vor allem auch den Münchener Bürgern einen (hoffentlich sehr lebendigen) Ersatzort für die wegen Reparaturarbeiten geschlossene Pinakothek mit ihren vier Abteilungen. Wir trafen uns mit dem Architekten der Schaustelle vor Ort und erfuhren hier unter anderem, wieso man in München mit einem Projekt erfolgreich sein kann, mit dem man in Berlin gescheitert ist.
Bist du mit allem zufrieden? Ich habe gehört, es gibt wohl die eine oder andere Einschränkung …
Jürgen Mayer H.: Nein, mit dem Objekt selber bin ich zufrieden. Das ist alles unkompliziert gelaufen.
Wer hat das hier vor Ort ausgeführt? Die Hausmeisterei, die hier ein Gerüst aufgebaut hat sicher nicht!?
Nein, das ist die Firma Tisch aus Berlin. Die hat die Ausschreibung gewonnen und einen Architekten für die Werkplanung beauftragt, wobei wir in der Vorplanung schon das Meiste festgeschrieben hatten. Wir haben ja schon in der Entwurfsplanung mit einem definierten System geplant. Wir konnten am Ende noch die Farben der Einbauten hinter den transluzenten Wandplatten festlegen, die Farbigkeit der Container, die um die Ausstellungshalle stehen.
Farbe? Ich sehe gar keine Farbe …
Es ging uns darum, wie die geschlossene Ausstellungshalle nach außen wirkt. Wir haben sie dunkelgrau gestrichen wie auch die Container, die hier relativ bunt ankamen. Wenn wir das nachts beleuchten, wäre es zu unruhig geworden.
Stichwort Planung: Was musste hier noch geplant werden, wenn wir es bei der Schaustelle doch mit einem fertigen Entwurf zu tun haben, den ihr in einem Wettbewerb 2008 für eine temporäre Kunsthalle in Berlin abgegeben habt?
Also wir hatten ein Ausstellungskonzept, eine konzeptionelle Ausstellungsarchitektur für eine temporäre Kunsthalle entwickelt. Der Anlass war damals dieser Wettbewerb, den du gerade erwähntest, aber wir haben das nicht nur auf das Berliner Projekt bezogen gesehen. Diese Art eines Baus ging mir schon länger durch den Kopf. Die Idee war eigentlich, eine Struktur, ein Gebäude zu entwerfen, das offen ist für neue experimentelle Ausstellungsformen. Es sollte offen sein für ein interdisziplinäres Zusammenarbeiten, was sich auch in seiner Öffnung zum umliegenden Raum, zur ganzen Stadt hin ausdrückt.
Referenzen sind hier die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin, wo es unten den geschlossenen Sockel gibt und oben die frei bespielbare Halle. Oder auch der Fun Palace von Cedric Price, der ständig performative Veränderungen produziert — also eine Art Kulturmaschine ist. Das waren die beiden Bilder, die wir hatten und die einflossen in die Gestaltung.
Wir haben unten den White Cube für Ausstellungen oder Veranstaltungen, ein Tanzsaal vielleicht, hier kann ich mir die unterschiedlichsten Präsentationen und Aktionen vorstellen. Und oben die offene Struktur, die – bei hoffentlich besserem Wetter als heute! – für Lesungen, Konzerte, Installationen, für Lichtarbeiten, aber auch für den Ausblick über die Stadt München genutzt werden kann. Was wir jetzt hier sehen, ist eben nur eine Art Hintergrundrauschen für das, was nachher in der Bespielung stattfinden kann.
Wie kann man den offenen Gerüstbau künstlerisch bespielen?
Hier haben wir die Möglichkeit, in einem – trotz allem ja geschützten – Außenraum verschiedene Dinge zu tun. Da können Installationen oder Objekte hineingehängt werden, da können Projektionsflächen eingehängt werden, Sounds … das bleibt den Kuratoren überlassen, was sie hier machen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass man im Sommer hier unten draußen sitzt und oben akrobatische Performances stattfinden, die man also nur von außen sieht. Wir öffnen also unseren Ausstellungsraum, der damit schon ganz anders agiert als die klassischen Museen hier ringsum.
Der durchstrebte Außenraum bricht an seinen beiden Stirnseiten ab, oder auf … Musstet ihr Material sparen?
In der Variation zum Berliner Entwurf, der eher ein Kubus war und bei dem die Struktur nach allen Seiten überkragt, hat uns hier schlicht der Platz dazu gefehlt. Das Auskragen kommt in unserer Architektur ja öfter vor, also auskragende Dächer, Überhänge … Also diese Art von Skulpturalität, die auch in solchen Dimensionen funktioniert, ist auch hier wiederzufinden.
Spontan sehe ich das aber nur bei eurem Metropol Parasol in
Sevilla …
Oder beispielsweise beim Stadthaus [in Ostfildern, Be. K.] ... Klar, die Idee zum Raumgerüst kam aus unserer Erfahrung mit Sevilla, wo wir unter unserem Bau dieses wahnsinnige Raumgerüst hatten. Als wir da durchgeklettert sind, dachte ich, dass wir das mal bauen sollten, einfach dieses Gerüst.
Welche Rolle im Zusammenhang mit der Schaustelle von JMH spielt Andres Lepik, der neue Direktor der Architekturabteilung in der Pinakothek?
Er kannte den Entwurf aus Berlin. Andres war damals schon daran interessiert, weil dieses Baukonzept seinen Vorstellungen vom nachhaltigen Bauen entgegen kommt, dem ressourcenschonenden Umgang mit Materialien. Im Prinzip sind das ja alles Bauteile, die aus dem Gerüstbau kommen, die sich hier von verschiedenen regionalen Anbietern vor Ort zusammenschließen und die nach der Nutzung wieder in die gleiche Richtung zurückfließen in die verschiedenen Baustellenprozesse.
Es ist also nicht daran gedacht, den fliegenden Bau in Transportkis-ten zu verpacken, um ihn an anderer Stelle wieder aufleben zu lassen?
Ich glaube es ist einfacher, eine solche Raumskulptur mit den Materialien wieder aufzubauen, die tatsächlich schon vor Ort sind. Denn man kauft ja nicht das Material, sondern Zeit. Gerüste werden für die Dauer ihres Gebrauchs gemietet.
Werdet ihr dieses Konzept für kommende Arbeiten weiterentwickeln?
Irgendwie ganz bestimmt. Unsere Projekte sind ja ständig in der Weiterentwicklung, überall wirst du Bezüge zwischen den Arbeiten erkennen können. Das muss nicht unbedingt nur formal sein.
Berlin und München, zweimal ein gleiches Projekt. Gibt es unterschiedliche Reaktionen?
Wir sehen ja die Reaktionen. In Berlin wurde das Projekt abgelehnt, vielleicht, weil die Stadt schon so sehr durchdrungen ist von experimentellen Ausstellungsorten, von Improvisationen.
Hier in München scheint es noch diesen Bedarf zu geben, andere Ausstellungsformen auszuprobieren, zumindest die Chance zu nutzen, für die Zeit der befristeten Schließung ein Experiment zu wagen. Vielleicht hat das dann sogar Rückwirkungen auf die Ausstellungspraxis im Haus?!
Stichwort Praxis: Woran arbeitet ihr zurzeit in Berlin?
Wir haben noch vier Baustellen in Georgien ...
… könnte man dort eine solche, ich sage mal „ärmliche“ Architektur wie die Schaustelle realisieren?
Ich glaube, der Bedarf ist in dem Land ein ganz anderer. Da geht es erstmal darum, Infrastrukturen zu schaffen, die das Land zum Funktionieren bringen. Autobahnen mit Raststätten, ein Café, wo sich Leute treffen können, also Einrichtungen, die ein normal funktionierendes Miteinander stützen, begleiten können.
Normales Miteinander in Architekturen, die wie eure gar nicht normal sind?
Naja, auch in Georgien gibt es eine ganze Bandbreite unterschiedlichster architektonischer Ausdrucksformen. Architektur wird dort – oder wurde zumindest – als kultureller Beitrag zum Land verstanden. Auch bei Projekten, die man in Deutschland vielleicht nicht als solche verstehen würde, eine Autobahnraststelle zum Beispiel.
Aber zurück zu deiner Frage, was wir sonst gerade machen. Wir arbeiten gerade an drei großen Projekten in Düsseldorf, davon ist eines ein Wohnhochhaus in Oberkassel, eine private Universität und ein weiteres Hochhaus direkt am Hauptbahnhof. Ende 2013 schließen wir ein Wohnbauensemble in Jena in der Altstadt ab, direkt neben dem ältesten Haus der Stadt, dem „Haus zur Sonne“. Und nicht zuletzt gibt es noch ein spannendes Wohnprojekt in San Francisco.
Und weil ihr mit der Schaustelle einen Footprint in der München hinterlassen werdet, werden wir euch demnächst in Bayern erleben?
Bestimmt! Wir freuen uns auf Projekte in München!
Das Gespräch führte DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 26.Februar 2013 mit Jürgen Mayer H. in der Pinakothek der Moderne mit Blick auf die Gerüstskulptur der „Schaustelle“ gleich nebenan.