Form follows Mayer
Das Berliner Architekturbüro Jürgen Mayer H.


Schade, dass der Slogan „form follows fiction“ schon von einem Architekturstil besetzt wurde,
mit dem das Büro Jürgen Mayer H. nichts gemein hat. Gepasst hätte er auch.

Bereits das Stadthaus Scharnhauser Park in Ostfildern ist in mancher Hinsicht bahnbrechend. Mit diesem Paukenschlag wurde das Büro Jürgen Mayer H. aus der Taufe gehoben und bundesweit bekannt. Noch heute, zehn Jahre nach dem Gewinn des Wettbewerbs, erstaunt die Kompromisslosigkeit des Baus. Zunächst möchte man meinen, das Gebäude stehe mit den nachfolgenden Bauten des Büros in ihrer Feingliedrigkeit, ihren Verästelungen und weichen Strukturen in keiner Verbindung. Aber auch das Stadthaus „wächst“ – ein austariertes System von Fassadenelementen, die versetzt nach oben springen und zur Dachplatte vermitteln. Die Farbigkeit ist noch dezent. Einschnitte, Terrassen und Leuchtmasten binden das Stadthaus in den Außenraum ein.

Jürgen Mayer H. löst sich schon mit seinem Erstlingswerk vom „herkömmlichen“ Architekturbetrieb. Ist man in zeitgleichen Bauten bemüht, die Fassade so weit wie möglich aufzulösen, so ist das Stadthaus ein fest „verankerter“ Baukörper mit einer Leichtigkeit auf den zweiten Blick. Auch wenn diese Initialzündung des Büros losgelöst vom weiteren Schaffen des Büros zu stehen scheint, so zeigt sie bereits ein Hauptthema: die Plastizität von Architektur.

Radikaler bricht die Mensa Moltke auf dem Campus der Hochschule Karlsruhe mit eingesessenen Formvorstellungen. Hatten Kollegen und Kritiker mit dem Stadthaus noch geglaubt, die Entwicklung eines „Guten“ aus ihren Reihen zu begleiten, so wird nun deutlich, dass hier jemand deutlich ausbricht. Ausgezeichnet mit dem Contractworld Award 2009, der höchstdotierten Auszeichnung Europas für Innenraumgestaltung, zeigt sie bereits eine Formensprache, die das Büro in Folgeprojekten auszeichnet und sich gerade zu einer internationalen Marke etabliert.

Die 2004 entworfene und 2007 eröffnete Mensa ist ein fast rechtwinkliger, zweigeschossiger Baukörper. Die Boden- und die Dachplatte werden durch ein Geflecht von diagonalen Stützen miteinander verbunden. Das System setzt sich, anders als bei nachfolgenden Bauten, im Inneren des Gebäudes fort. Hier befinden sich der große Speisesaal mit Nebenräumen, Küche und Versorgungseinheiten. Eine Außenterrasse bietet weitere Sitz-
möglichkeiten, teilweise mit Blick auf den Park.

Der Begriff „Nutellagramm“ ist so platt, dass man sich wundert, dass ihn Jürgen Mayer H. dennoch in den Mund nimmt. Es zeigt jedoch auch eine wohltuende Unverkrampft­heit, die verstanden hat, dass „Bilder“ in der Vermittlung und Akzeptanz von Architektur weit wichtiger sind als abstrakte Beschreibungen von Architekturelementen. Wie gut, wenn man diese Belegung selbst mitbestimmen kann. Um es noch einmal deutlich zu machen: Zwei Scheiben werden auseinandergezogen. Die zähe Masse zwischen den Scheiben teilt sich auf und schafft Verbindungsstege. Was wahrgenommen wird, ist Bewegung, Elastizität und eine organische, biomorphe Formensprache.

Auch andere junge Büros arbeiten ähnlich ambitioniert. Inwieweit der „Leonardo Glass Cube“ des Büros 3 deluxe von der „Mensa Moltke“ des Büros Jürgen Mayer H. beeinflusst ist – oder umgekehrt – lässt sich schwer sagen. Beide Bauten wurden 2007 fertig gestellt und haben Parallelen. Wichtig ist es nicht, denn beide gehören zu den besten jungen Büros und Konkurrenz belebt das Geschäft. Metropol Parasol – der Name dieses aufsehenerregenden Projektes im Herzen von Sevilla hat wahrlich einen schöneren Klang als „Mensa Moltke“ und setzt zugleich deren hohen städtebaulichen Anspruch fort. Wie Pilze wachsen die riesigen „Sonnenschirme“ aus dem geschichtsträchtigen Ort hervor, untereinander verbunden mit elastischen Stegen. Die organische Form entsteht aus der Funktion, den Erfordernissen des Ortes und den sozialen Zweckmäßigkeiten. Vielleicht hätte Hans Scharoun gerne so gebaut, hätte er die technischen Möglichkeiten gehabt.

Metropol Parasol ging aus einem Ideenwettbewerb hervor, den Jürgen Mayer H. 2004 gewann. Die Bevölkerung Sevillas reagierte begeistert bis euphorisch. Dies ist gut nachzuvollziehen. Grundsätzlich ist der Gedanke, mit spektakulärer Architektur auf sich aufmerksam zu machen, in Spanien weit mehr verbreitet als in Deutschland. Nicht ganz selbstverständlich sind die positiven Reaktionen jedoch vor dem Hintergrund, dass die Bebauung mitten in Zentrum liegt – teilweise umgeben von kleinteiliger historischer Architektur – und sich zudem mit den archäologischen Resten der römischen Kolonie auseinandersetzen muss.

Mit der Weltausstellung von 1992 hatte die Stadt bereits viele Bauwerke am Rande der Stadt errichtet, die Plaza de la Encarnaciòn mit der dortigen Markthalle jedoch nicht genutzt. Metropol Parasol bespielt den zentralen Stadtplatz auf vier Ebenen. Die archäologischen Stätten werden im Untergeschoss präsentiert. Darüber entsteht eine neue Markthalle. Über eine große Freitreppe ist eine Freifläche zu erreichen, die von den Parasols beschattet wird. Ein Panoramaweg oberhalb der Hüte gibt den Blick auf die Altstadt von Sevilla frei.

Interessant ist, was Jürgen Mayer H. über das Bürohaus ADA 1, An der Alster 1, in Hamburg berichtet. Es wurde 2007 fertig. Die „Bullaugen“, die abgerundeten Ecken und Kanten scheinen nahtlos an die 1970er Jahre anzuknüpfen, ohne dies jedoch als Retro-Stil bezeichnen zu können. Viel zu „vornehm“ ist die Farbgebung, zu ruhig und fast traditionell die Gliederung. Die Verspieltheit der 1970er Jahre ist nur angedeutet. Dennoch hat Jürgen Mayer H. keine Berührungsängste. Im Gegenteil lautet sein Motto, „das Beste aus der Zeit zu nehmen und in unsere Zeit übertragen“. Und das Beste hat nicht immer nur mit Formen zu tun. Die Zukunftseuphorie der 1970er Jahre ist es, die Mayer in seinen Bauten vermitteln möchte. Er setzt nicht auf Vergangenes, wie die Postmodernisten, Rationalisten und New Urbanisten, sondern möchte die „zu früh abgebrochene Neugier auf die Zukunft wieder aufnehmen“.

„Danfoss Universe“ ist das erste im Ausland errichtete Gebäude, das Ausstellungsgebäude eines Wissenschaftsparks in der Nähe von Norborg in Dänemark. Der 2007 fertig gestellte Baukörper wirkt, als hätte man aus einem rechteckigen Block kreisrunde Blöcke herausgestanzt. Ist das Projekt Metropol Parasol eine Plastik im besten Sinne, so handelt es sich hier eher um eine Skulptur . Die Fassaden sind an den Seiten hinuntergeklappt und lassen sich in der Außenfläche ablesen. Wie bereits am Stadthaus Scharnhauser Park fügt der skulpturale Bau sich in die Umgebung ein, harmonisch gelöst z.B. in der Bepflanzung der Gebäudeenden. Die Fenster sind in die Fassade eingeschnitten und erinnern an das zeitgleich entworfene Bürogebäude in Hamburg.

Das „Dupli.casa“, eine private Villa aus dem Jahr 2008 nahe Ludwigsburg, basiert auf dem Grundriss und den Charakteristiken eines Vorgängerbaus aus dem Jahre 1984. Die unregelmäßige Grundform wird im Dupli. casa durch die Drehung der ersten Etage nochmals gesteigert. Das Haus bietet eine ausgewogene Dynamik. Außenterrassen und Dachflächen kragen weit in den Raum. Sympathisch ist die „Familienarchäologie“ mit ihrem Bekenntnis zum Vorgängerbau. Der Bauherr kannte das Stadthaus in Ostfildern. Da verwundert es ein wenig, dass er sich auf die rasante Weiterentwicklung des Büros Jürgen Mayer H. einlässt. Mit spektakulären Ausblicken in die Umgebung und einer zeitlosen Moderne wird er belohnt.

Das Haus Steckelhörn 11 in Hamburg liegt zwischen Zentrum und HafenCity. Das Bürogebäude durchbricht den Block und öffnet sich an der Straße Katharinenfleet wieder mit der wohl schmalsten Fassade Hamburgs (1,30 m). An der Hauptfassade fließen die Fensterbänder wie „Farbschlieren an einem Farbeimer“ hinunter. Sie sind markant und reagieren dennoch sensibel auf die vertikalen Backsteinfassaden des Quartiers. Die Fassadengestaltung respektiert die Vorbilder aus den 1920er Jahren und stellt sich nicht unnötig in den Vordergrund – keine Effekthascherei, sondern ein belebendes Element, das sich in die Umgebung einfügt.

Die internationale Ausrichtung des Büros setzt sich in den weiteren Bauten fort. In Hasselt, Belgien, entsteht ein Justizgebäude, in Krakau, Polen, das Hotel SOF, in Hamburg das Home.haus, ein Wohnhaus für eine betreute Wohngemeinschaft von Kindern und Jugendlichen und in Warschau das Projekt Cicha 8. Die Bauten zeigen weiterhin eine große Bandbreite, viel Freiraum für Experimente. Bei allen Bauten scheint sich jedoch die Plastizität und der skelettartige Aufbau als verbindendes Element herauszukristallisieren. Dies ist für jedes Büro zunächst ein Vorteil. Erst durch die unverkennbare Einheitlichkeit besteht die Möglichkeit, international als Marke wahrgenommen zu werden. Um Stagnation und Verfestigung muss man sich wenig Sorgen zu machen. Zu vielseitig, zu intelligent, zu theoretisch geschult ist die Herangehensweise des Büros.

Große Architekten, von Mies van der Rohe über Corbusier bis Peter Behrens, waren stets auch große Designer. Jürgen Mayer H. kommt aus dem Bereich der Installation, der Innenraumgestaltung und des Designs. Die Architektur folgte erst nach. Während die etablierten deutschen Architekturstars sich auf die Architektur konzen­trieren und allenfalls einmal eine Türklinke gestalten, so versteht das Büro Jürgen Mayer H. beides als Einheit. Die unterschiedlichen Ausdrucksformen, von Farbinstallationen über Möbel bis zum Design, würden eigene Seiten füllen. Herausgehoben werden soll das raumfüllende Möbel Lo Glo, das bei Vitra Design in limitierter Auflage bestellt werden kann.

Lo Glo ist ein an die einzelnen Stücke eines Baumkuchens erinnerndes Sitzmöbel – Installation, Kunstobjekt und Möbelstück zugleich. In größerer Stückzahl produziert und für manchen noch bezahlbar ist das Sitzmöbel Soft Mosaic. Auftraggeber ist der auf Mosaiken in all seinen Spielarten spezialisierte Hersteller Bisazza.

Jürgen Mayer H. trennt sich von den herkömmlichen Prinzipien – Baukörper und Fassade, horizontale und vertikale Gliederung, Achsen und Geschosse. Wohin die Reise geht, lässt sich nur vermuten. Vielleicht orientiert das Büro sich an den neueren Bauten und Projekte von Zaha Hadid. Zwischen den Zeilen meint man es herauszuhören.

Mit den Plänen für die „Dubai-Düne“ auf einer künstlichen Insel im Dubai Creek, oder mit der Fußgänger-Brücke auf dem Expo-Gelände in Zaragoza stößt Hadid in neue Dimensionen vor. Alles ist möglich. Die computergenerierten Einheiten bewegen sich frei im Raum, Verzerrungen werden im Rechner aufgelöst. Auch den Entwürfen und realisierten Projekten Jürgen Mayers merkt man an, dass er nicht „satt“ ist. Er will sich lösen von den Zwängen, die Materialien, Technik und Traditionen ihm auferlegen. Der Raum ist eine Bühne, ohne Grenzen für Form und Plastik, aber in sensibler Anbindung an die Umgebung. Nutzung und Funktion werden respektiert, aber als Selbstverständlichkeit angesehen. Sie unterliegen in vielen Fällen ohnehin sehr strengen Vorgaben und können kaum beeinflusst werden. Die wahre Spielwiese ist das Design.

Last not least – im Besprechungsraum des Berliner Büros von Jürgen Mayer H. stehen einige Parkettteile unauffällig an der Wand. Sie sind mit Grün- und Gelbtönen in Diagonalmustern farbig eingefärbt und für einen Berliner Bauherrn entworfen. Wer selbst schon einmal ein Haus mit den eintönigen, im Baumarkt erhältlichen Klickparketts eingerichtet hat, kann sich gut vorstellen, dass wir in zehn Jahren nichts anderes mehr kaufen wollen als farbig eingefärbtes Parkett. Dr. Holger Rescher, Berlin

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