Veränderung durch Vorbilder
Das Neue Europäische Bauhaus ist eine breit angelegte Initiative der Europäischen Kommission, die "ein ökologisches, soziales und schönes Bauen" anstrebt. Wird sie die Baubranche und damit den Arbeitsalltags von Architekt:innen wirklich verändern?
Ein Leuchtturmprojekt des NEB ist die Transformation des Münchener Stadtteils Neuperlach. In Co-creation-Workshops werden Lösungen für nachhaltige und schöne Nachbarschaften entwickelt
Foto: Thorsten Müller, MGS
Umnutzung statt Abriss, Materialien wiederverwerten, sparsame Haustechnik: Auch die Baubranche hat sich offiziell der Umwelt- und Klimafreundlichkeit verschrieben. Ökologische Werte müssten daher (neben sozialen, ästhetischen und funktionalen) fortan die Leitlinien im Arbeitsalltag eines jeden Architekturbüros bilden. Jedoch sieht die Realität noch anders aus. 2021 basierten die in Deutschland genehmigten Wohnungsneubauten zum Großteil auf Ziegel, Beton, Kalksandstein oder Stahlbeton, also auf Baustoffen, die bei der Herstellung in der Regel einen hohen CO2-Ausstoß aufweisen. Nur für rund 20 Prozent der Wohnungen wird mehrheitlich Holz verwendet, wenn auch immerhin in steigender Zahl. Das flächenintensive Einfamilienhaus ist mit rund drei Viertel der Genehmigungen der beliebteste Wohnungstyp des Landes; der Traum von Suburbia ist nicht ausgeträumt. Eine Welt der Öko-Architektur – sie liegt in weiter Ferne.
Umso dringlicher, mag man meinen, ist ein Handeln der Politik gefordert. Und sie reagiert auch. Auf Bundes- und Landesebene laufen seit Jahren mehr oder weniger erfolgreich städtebauliche Förderungen, Kreditvergaben über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, oder es wird reguliert wie durch die EnEV, die Energieeinsparverordnung.
Auch die Europäische Union versucht sich inzwischen mit dem 2020 von Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission, ins Leben gerufenen Neuen Europäischen Bauhaus (NEB) an einer breitenwirksamen Initiative für ein ökologisches, soziales und schönes Bauen. Das NEB soll durch die Förderung von zahllosen Projekten und der Vernetzung von Wissenschaftler:innen, Planer:innen und Baugesellschaften eine Art Graswurzelbewegung von oben stimulieren. Es bildet damit ein wesentliches Tool für die Umsetzung des European Green Deal, der Europas Klimaneutralität bis 2050 zum Ziel hat. Jedoch erscheint die Struktur der Initiative verworren, die Aufmachung ihrer Webseite, der Hauptanlaufstelle, verwirrend; und auch die zur Verfügung gestellten Gelder sind begrenzt, sodass es fragwürdig ist, wann und in welchem Umfang eine Wirkung zu erwarten ist.
Der Rahmenplan Neuperlach ist das städtebauliche Leitbild für die Entwicklung des Stadtteils der nächsten Jahrzehnte. Dafür untersuchte das Architektur- und Stadtplanungsbüro ADEPT das Gebiet hinsichtlich vorhandener Mängel und Konflikte sowie bestehender Qualitäten Abb.: LHM_Adept
Leuchttürme
Unter den fünf von der Initiative ausgezeichneten Leuchtturmprojekten, die von der EU mit immerhin im Schnitt 5 Mio. Euro gefördert werden, findet sich München-Neuperlach. Der sich aus Großsiedlungen zusammensetzende Stadtteil soll durch zirkuläre Baumethoden erweitert, durch regenerative Energien versorgt und mit dem Anbau von Gemüse und Obst in eine nachhaltige Zukunft geleitet werden. Das NEB prämierte aber auch kleinere Ideen – wie mit dem 3D-Drucker erstellte Insektenhotels, einen in einer flämischen Kleinstadt gut integrierten Neubau eines Pflegeheims oder ein Licht- und Architekturfestival, das in der bulgarischen Hauptstadt Sofia über Jahre vernachlässigte Flussufer belebte. Ließe sich aus dieser Wahl an Würdigungen eine Formel für das politisch gefragte Bauen der Gegenwart ableiten, so wäre für die Arbeit im Planungsbüro deutlich: Nicht nur nachhaltig-zirkuläres Bauen gewinnt an Bedeutung, sondern auch die Mischung der Disziplinen, von Landschaftsarchitektur über die Verkehrsplanung, der Anwohner- und Nutzereinbindung bis zu den neuen Möglichkeiten des digitalen Entwerfens.
Förderung und Regulierung
Im Zentrum von NEBourhoods Neuperlach stehen die grüne Transformation in den Bereichen Bauen, Mobilität und Energie, ebenso wie die Aktivierung von nachhaltigen Konzepten zu Ernährung und Gesundheit, die Stärkung der Biodiversität und die Aufwertung des öffentlichen Raums Abb.: NEBourhoods/Adept
