Unbeantwortete Fragen in der Fassadenplanung
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Prof. Dr.-Ing. Mascha Baitinger hat mit Marius Goos 2021 die contura Ingenieure GmbH gegründet. Die Contura ist eine vom DIBt nach LBO anerkannten Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstelle.
Prof. Mascha Baitinger hat langjährige Erfahrung in leitenden Funktionen in der Tragwerksplanung, Prüfung, Überwachung und Zertifizierung von Bauprodukten und Bauarten und ist mit Contura auch in der Anwendungsforschung zu innovativen Baukonstruktionen und Materialien aktiv. Sie lehrt an der HS RheinMain.
Marius Goos, B.Eng. (r.) ist Fachingenieur Fassade, Gründer, Geschäftsführer und stellvertretender Leiter Prüfstelle RPF17 „contura Ingenieure GmbH“. Seit seinem Studium zum Bauingenieur mit der Vertiefungsrichtung Konstruktiver Ingenieurbau ist er seit 2016 im Bereich Materialprüfung, konstruktiver Glas- und Fassadenbau tätig.
Dipl.-Ing. Martin Baitinger (l.) ist Gründer und Geschäftsführer der Verrotec GmbH sowie Geschäftsführender Gesellschafter der IBC Ingenieurbau-Consult GmbH in Mainz. Durch sein Bauingenieur-Studium in Frankreich und Deutschland ist er u. a. Mitglied des Sachverständigenausschuss des Centre Scientifique et Technique du Bâtiment (CSTB) in Paris/FR. Mit Standorten in Paris, Hamburg, Worms und Mainz setzt er mit dem Team der Verrotec GmbH seine Vision für den modernen Glasbau und die technischen Anforderungen an die Gebäudehülle in nationalen und internationalen Projekten um.
Dr.-Ing. Holger Strauß (2. v. l.) ist Teamleiter Fassade bei der Verrotec GmbH. Seit seiner Promotion an der TU Delft 2013 arbeitet der Architekt als Spezialist für die Gebäudehülle und als Fachplaner und Berater „Fassade“ in Deutschland und im europäischen Ausland. Durch u. a. seine Lehrtätigkeit fördert er den Wissenstransfer zwischen Forschung und Fassadenindustrie.
www.verrotec.de, www.contura-ing.de
Foto: Benedikt Kraft
Ist nicht schon längst alles gesagt zum Thema Fassade? Handwerk, Architektenentwurf, Ingenieursleistung, Materialentwicklung – eigentlich sollte alles klar sein und keine Fragen mehr offen. Und doch verändert sich das Fachgebiet der Gebäudehülle stetig und mit jeder neuen Projektaufgabe. Die Vielfalt der Themen in der Fassadenplanung wächst immer weiter, es müssen neue Produkte, neue Richtlinien und neue Trends in der täglichen Arbeit Berücksichtigung finden. Die Fachplanung für die Gebäudehülle muss heute bereits in den frühen Planungsphasen eine Vielzahl von Anforderungen berücksichtigen und mit einer technischen Lösung erfüllen. Und deshalb ist aus unserer Sicht noch lange nicht alles gesagt!
Die aktuellen Themen sind derzeit die Energieeffizienz, regenerative Energien, die Sanierung von Fassaden und die Wiederverwendung von bereit gebrauchten Materialien. Eines der drängendsten Themen ist dabei beispielsweise die Integration von Photovoltaik in die Fassade (Bauwerkintegrierte Photovoltaik, BIPV), weil längst gebaut wird, was noch nicht ausreichend geregelt ist. Denn die (politische) Forderung nach der zügigen Umsetzung der Energiewende ist nur die eine Seite der Medaille. Fehlende Regelungen und aufwändige Zulassungsverfahren passen nicht zur erforderlichen Geschwindigkeit in der Reaktion auf den fortschreitenden Klimawandel.
Somit haben wir mittlerweile eine Vielzahl von Projekten, in denen BIPV umgesetzt werden soll und bei denen oftmals ähnliche Fragestellungen und Konstellationen auftauchen, die immer wieder neu bewertet und eingeordnet werden müssen. Fehlendes Know-how im Umgang mit BIPV, nicht vorhandene statische Nachweise und unvollständige technische sowie baurechtliche Planungsprozesse führen dabei zu Verzögerungen und zur Unzufriedenheit aller Beteiligten.
Um das zu verhindern, gilt es, früh das richtige Fachplanerteam für das individuelle Projekt zusammenzustellen. Nur damit ist es möglich, einen engen Austausch zwischen den Beteiligten zu fördern. Im Planungsteam übernimmt in der Regel der Architekt die Koordination, die Fachplaner bringen das spezialisierte Wissen, die Prüfstellen und Sachverständigen unterstützen bei der Umsetzung der normativen Regularien.
Ungeregelte Bauprodukte – wie derzeit eine Vielzahl von BIPV-Produkten – führen zu einem beachtlichen Abstimmungsbedarf zwischen den beteiligten Planern. Mit den unterschiedlichen Einbauszenarien von BIPV – beispielsweise als vorgehängte hinterlüftete Fassade (VHF) im Brüstungsbereich, als Ganz-Glasfassaden oder im Überkopfbereich – liegt die eine universelle Lösung nicht vor, und die entscheidenden Fragen auch bezüglich baurechtlicher Gesichtspunkte im Projekt bleiben zu lange unbeantwortet.
Aufgrund der derzeit noch weitestgehend ungeregelten Ansätze bleiben die Lösungen immer sehr individuell und bezogen auf das Land, die Region oder die Kommune – immer im Rahmen der vorgegebenen baurechtlichen Regelungen. Themen für die Prüfstelle bzw. für die erforderlichen Gutachten bei der BIPV sind dabei unter anderem der Einsatz von Standard-PV-Modulen als BIPV: Was bisher nur ein elektrisches Betriebsmittel war, wird nun als Bauprodukt eingesetzt. An Bauprodukte werden sehr konkrete Anforderungen beispielsweise an die Dauerhaftigkeit und die Standfestigkeit gestellt. Auch die spätere Anwendung der Bauart muss bauaufsichtlich bewertet und geregelt sein.
Die BIPV ist nur ein Beispiel für die (noch) unbeantworteten Fragen in der Fassadenplanung, an deren Beantwortung sowohl im „Statikteam“ als auch im „Fassadenteam“ als auch in der Prüfstelle gearbeitet wird. Unser Lösungsansatz ist hierbei eine abgestimmte Teamarbeit und eine offene Kommunikation.
Podcast mit Marius Goos und Dr.-Ing. Holger Strauß