Aus der Rechtsprechung

Tragwerksplaner aufgepasst bei der Lastuntersuchung im Bestand

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 25.05.2023 - 19 U 64/22

Ein Tragwerksplaner wurde von einem Bauherrn bezüglich einer Dachaufstockung mit Tragwerksplanerleistungen beauftragt. Im Vertrag wurde explizit auch die Untersuchung der Bestandsdecke vereinbart. Der Tragwerksplaner studierte daraufhin die Bestandspläne und nahm die potenziellen Lasten in seine Planung auf. Reicht das? Wird die Übernahme der Werte aus den Bestandsplänen einer Lastuntersuchung der Bestandsdecke gerecht?

Das Oberlandesgericht Karlsruhe (fortan nur OLG) sagt nein!

Schulmäßig kommt es nach Vertragsauslegung zu der Erkenntnis, dass die Tragwerksplanung mangelhaft ist, da sie nicht die nach dem Vertrag vereinbarte Beschaffenheit aufwies. Im Vertrag wurde vereinbart, dass der Tragwerksplaner die Lasten der Bestandsdecke zu untersuchen hatte. Aber nicht nur aus dieser expliziten Vereinbarung folgte eine Untersuchungspflicht. Allgemein muss die Planung alle Eigenschaften aufweisen, die den vertraglich vereinbarten Erfolg herbeiführen. Da es hier um die Aufstockung eines Bestandshauses ging, hätte der Tragwerksplaner also grundsätzlich und auch ohne gesonderte explizite Vereinbarung die Bestandslasten sowie deren Ausreizung untersuchen müssen. Die Planung dient dem Bauherrn als Entscheidungsgrundlage, ob und wie eine Aufstockung auf den Bestand überhaupt möglich ist. Der Tragwerksplaner hatte indes nur die Statik für die Aufstockungsmaßnahme berechnet, nicht aber die Bestandsstatik dahingehend untersucht, ob die Aufstockung überhaupt möglich ist. Die bloße Angabe der Bestandslast allein reicht als Untersuchung dagegen nicht aus. Vielmehr hätte der Tragwerksplaner überprüfen müssen, ob die Last in dem Bestandsgebäude bereits ausgereizt ist oder noch Kapazitäten aufweist. Dies hätte der Tragwerksplaner dem Bauherrn unmissverständlich mitteilen müssen, sodass er eine konkrete Entscheidung über die Baumaßnahme treffen kann. Da der Tragwerksplaner diese Untersuchung und damit auch den entsprechenden Hinweis unterlassen hat, haftet er dem Bauherrn für den hieraus entstandenen und noch endstehenden Schaden.

Besonders misslich an diesem Fehler war, dass der Bau auf Grundlage der fehlerhaften Tragwerksplanung begonnen wurde und die Fehlerhaftigkeit erst beim Innenausbau bemerkt wurde. Der Innenausbau musste gestoppt werden. Den Schaden, der dem Bauherrn aus dem unterlassenen Hinweis über die Bestandslasten entsteht, hat nun der Tragwerksplaner zu übernehmen.

Eine nachvollziehbare Entscheidung und ein eher unverständlicher (teurer) Fehler, wenn es um Aufstockungsarbeiten geht. Dabei liegt es doch in der Natur der Sache, sich von der Bestandsstatik ein konkretes Bild zu machen, ob die vom Bauherrn beabsichtigte Baumaßnahme überhaupt durchgeführt werden kann.

 


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