Nachverdichtung – rechtliche Hürden bei der Flächenoptimierung

Nachverdichtung ist sowohl für freie als auch bereits bebaute Grundstücke eine wertvolle Möglichkeit, die Flächen vor allem wirtschaftlich zu optimieren. Dabei kann es sich um einen Abriss, Neubau, Aufstockung oder Anbau handeln, der
zu einer größeren und optimierten Flächenausnutzung führen soll. Worauf
Architekten/Ingenieure bei einer Beauftragung mit Nachverdichtungsmaßnahmen aus rechtlicher Perspektive unter anderem achten müssen, soll dieser Artikel erläutern.

1. Grenzen der Grundstücksausnutzung durch das öffentliche Recht

Die Grenzen der Nutzung eines Grundstücks werden u. a. durch die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften aufgezeigt. Im innerstädtischen Bereich liegt das betreffende Grundstück meist im Geltungsbereich eines Bebauungsplans gemäß § 30 BauGB. Der Architekt muss bei der Planung als Erstes prüfen, ob das begehrte Bauvorhaben überhaupt mit den Festsetzungen des Bebauungsplans übereinstimmt oder ob ggf. Ausnahmen oder Befreiungen iSv § 31 BauGB in Betracht kommen und erreicht werden können. Hierauf muss der Architekt den Bauherrn konkret hinweisen, da er sonst zu einer ggf. rechtlich nicht umsetzbaren Planung gelangt, wenn die Ausnahmen oder Befreiungen fehlen, bzw. im Ergebnis die Genehmigung von der zuständigen Behörde dauerhaft nicht erteilt werden. Dann ist die Planung mangelhaft für die der Architekt/Ingenieur haftet.

An dieser Stelle kann es vorkommen, dass der Bebauungsplan oder, solange es keinen Bebauungsplan gibt, auch ein Baunutzungsplan (vorbereitender Bauleitplan) selbst an einem Mangel leidet und daher unwirksam und unbeachtlich ist. Ein prominentes Beispiel ist der seinerzeit für den Berliner Westteil erlassene Baunutzungsplan 1958/60 (kurz: BO58) der als übergeleitetes Recht auch heute noch im ehemaligen Weststadtteil Berlins Geltung beansprucht, solange kein Bebauungsplan existiert. Seinerzeit wollte man im vom Bomben getroffenen West-Berlin Nachverdichtungen verhindern und großzügigere Wohnverhältnisse schaffen. Dies wurde aber in vielen West-Berliner Stadtteilen zu keiner Zeit umgesetzt. Stattdessen wurden die Altbauten weiter aufgestockt und zum Teil noch größere Häuser in die Bombenlücken gebaut, sodass die von dem Baunutzungsplan vorgesehenen GRZ und GFZ-Werte zu keinem Zeitpunkt eingehalten worden sind. In der jüngsten Entwicklung kam es dann im Zuge von Dachaufstockungen oder Dachausbauten zu vereinzelten rechtlichen Angriffen auf den alten Baunutzuungsplan „BO58“, mit dem Argument, dass dieser im Bereich des Vorhabengrundstücks funktionslos und daher nicht anzuwenden sei. Vor dem Verwaltungsgericht Berlin (Az. 19 K 66.15), sowie in der Berufungsinstanz vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Az. OVG 2 B 10.17) hatte die Klage bereits Erfolg. Der Streit ist aber noch beim Bundesverwaltungsgericht rechtshängig und damit nicht abschließend entschieden. Sofern auch das Bundesverwaltungsgericht die Vorinstanzen bestätigt, dann kann es im Einzelfall in ehemaligen Berliner Weststadtteilen zur Funktionslosigkeit des „BO58“ kommen. Mit der Folge, dass sich Bauvorhaben dann nur nach der Bebauung in der näheren Umgebung, gemäß § 34 BauGB, richten müssen. Sind dort bereits Grundstücke mit höheren GRZ und GFZ-Werten zu finden, kann auch das begehrte Bauvorhaben diese Werte einnehmen, sodass dann ein Dachausbau oder gar eine Dachaufstockung möglich ist. Von einem Architekten/Ingenieur kann indes nicht verlangt werden, dass er weiß, ob der Bebauungsplan oder Baunutzungsplan rechtswidrig oder funktionslos ist. Wenn er hier einen begründeten Verdacht hat, kann und müsste er dem Bauherrn empfehlen, diesen Sachverhalt rechtlich prüfen zu lassen.

Weitere Hürden können sich zum Beispiel aus dem Denkmalschutz ergeben. Hierüber hatten wir bereits ausführlich in DBZ 07-08 | 2023 berichtet. Kurz zusammengefasst muss der planende Architekt im Vorfeld prüfen, ob das umzubauende Objekt selbst ein Denkmal, ein Teil eines Denkmalensembles oder in der unmittelbaren Nähe eines Denkmals ist. Sofern das Denkmalrecht auch bezüglich des Vorhabengrundstücks Geltung entfaltet, bestehen vielfältige Beschränkungen bezüglich der begehrten baulichen Maßnahmen. Zudem besteht für den Bauherrn ggf. auch die Möglichkeit, Fördermittel in Anspruch zu nehmen, worauf hinzuweisen wäre.

Schließlich sind auch die Vorschriften aus der jeweils geltenden Bauordnung z. B. in Bezug auf Abstandsflächen zu beachten. Einige Bauvorhaben scheitern bereits daran, dass auf dem Grundstück zwar noch genügend Platz für weitere Baukörper wäre, diese aber den notwendigen Abstand zu Nachbargebäuden nicht einhalten.

2. Untersuchungspflichten bezüglich des Tragwerk und des Baugrunds

Sobald die rechtlichen Anforderungen an ein Aufstockungsvorhaben vorgeprüft wurden, muss beim Bauen im Bestand, also bei der Einbeziehung der Bausubstanz von bestehenden Gebäuden z. B. das Tragwerk und die Gründung dahingehend untersucht werden, ob das begehrte Aufstockungsvorhaben auf dem vorhandenen Fundament und Tragwerk überhaupt ausgeführt werden kann oder Verstärkungsmaßnahmen erforderlich sind. Für den Bauherrn spielt das eine erhebliche Rolle, um überhaupt entscheiden zu können, ob nicht z. B. ein Abriss und Neubau die wirtschaftlich sinnvollere Lösungsvariante wäre, als auf dem ungeeigneten Bestand mit teuren Verstärkungsmaßnahmen aufzustocken. Wie weit diese Untersuchungspflichten gehen, hatte jüngst das Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom 25.05.2023 - 19 U 64/22) entschieden. Demnach muss der Architekt/Ingenieur die Bestandsstatik sowie deren Ausnutzung auch in Bezug auf die begehrte Aufstockungsmaßnahme überprüfen. Sofern er Zweifel an der Bestandsstatik haben muss, muss er dem Bauherrn hierüber aufklären und ihm empfehlen, weitergehende Untersuchungen der Bestandsstatik zu beauftragen. Der Bauherr muss in die Lage versetzt werden, wirtschaftlich über Aufstockung oder Abriss und Neubau entscheiden zu können.

Eine weitere prominente Untersuchungspflicht ergibt sich bei der Grundlagenermittlung aus der Klärung des Baugrunds. Es stellt eine Hauptleis-tungspflicht des Architekten dar im Rahmen der Leistungsphase 1, den Bauherrn über die Geeignetheit des Baugrunds für das begehrte Bauvorhaben zu beraten. Demnach muss er ein vorhandenes Baugrundgutachten prüfen bzw. den Bauherrn dahingehend beraten, ein solches einzuholen, vgl. beispielhaft OLG Naumburg, Urteil vom 16.11.2010 - 9 U 196/09. Dies gilt zum Beispiel auch dann, wenn es zwar Unterlagen zum Baugrund gibt, sich dem Architekten aber aufdrängen musste, dass diese nicht ausreichend sind, um die Geeignetheit des Baugrunds zu beurteilen, so zum Beispiel das OLG Hamm (Urteil vom 18.05.2021, 24 U 48/20) bezüglich der Klärung des Baugrunds in Bezug auf Kampfmittelbelastungen.

3. Haftung für Baukosten bei der Nachverdichtung, insbesondere beim Bauen im Bestand

Eine weitere sehr unschöne Haftungsquelle eröffnet sich dann, wenn die Planung abgeschlossen ist, der Bauherr mit der geplanten Ausführung und vor allem mit den dafür geplanten Baukosten zufrieden ist und grünes Licht für den Baustart gibt. Bei der Ausführung werden die dann anfangs geschätzten Baukosten immer höher und der Bauherr immer zorniger. Der Bauherr kündigt den Architektenvertrag und verlangt Schadensersatz. Beim Bauen im Bestand exis­tiert allerdings zwischen beispielsweise der
Kostenberechnung in Leistungsphase 3 und der Kostenfeststellung in der Leistungsphase 8 eine Abweichungstoleranz zwischen 20 und 25 %, so auch das Urteil des OLG Naumburg (Urteil vom 28.02.2018 - 3 U 36/17). Dort hatte ein Bauherr Schadensersatz geltend gemacht, weil die Kos­ten in der Kostenfeststellung 21 % über den Kos-ten aus der Kostenberechnung lagen. Ohne Erfolg. Ohnehin wäre in einem Rechtsstreit über höhere Baukosten als in Leistungsphase 3 einst berechnet, auch alle Teuerungen herauszurechnen, auf die der Architekt gar kein Einfluss nehmen konnte, wie z. B. Materialteuerungen oder Mehrkosten wegen Bauverzug etc.

Anders ist der Fall natürlich, wenn der Architekt eine Garantie für die Einhaltung der Baukosten übernommen hätte. Dann haftet er auch dann, wenn er die Überschreitung der Baukosten gar nicht zu vertreten hat. Eine Baukostengarantie kommt aber normalerweise so gut wie nie vor. Die Haftpflichtversicherung eines Architekten würde für einen solchen Garantiefall dann auch nicht eintreten, sodass hier schnell die Existenz des Architekten auf dem Spiel steht.

4. In Einzelfällen zu beachten: Urheberrecht bezüglich des Bestandsgebäudes bei Anbauten bzw. Ergänzungen

Sofern bei einer Nachverdichtung an ein Gebäude angebaut bzw. eine Aufstockung eines urheberrechtlich geschützten Bauwerks vorgenommen werden soll, gelten Besonderheiten aus dem Urheberrecht, z. B. des Entstellungs- oder Veränderungsverbots. Voraussetzung ist natürlich, dass es sich bei dem Bauwerk (etwa aufgrund der Fassade oder des Baukörpers) um ein urheberrechtlich geschütztes Werk, also ein Werk mit einer gewissen Schöpfungsgröße handelt. So wurde z. B. an eine bekannte Kölner Moschee ein Vordach angebaut, ohne die Zustimmung des das Urheberrecht innehabenden Entwurfsarchitekten einzuholen. Nach der Entscheidung des Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 02.06.2023, Az.: 6 U 162/22) entstellte das Vordach das Bauwerk, was zur Beseitigung desselben führte.

5. Honorarberechnung – mitverarbeitete Bausubstanz

Erfolgt die Nachverdichtung unter Einbeziehung bereits vorhandener Bausubstanz, stellt sich für die Honorarberechnung – sofern diese nach dem üblichen HOAI-Modell erfolgt – die berechtigte Frage, ob und in welchem Umfang die vorhandene Bausubstanz bei den anrechenbaren Kosten gemäß § 4 Abs.3 HOAI (2021) zu berücksichtigen ist. Ein höchst komplexes und umstrittenes Thema, auf das an dieser Stelle nur am Rande eingegangen werden soll. Kurz zusammengefasst ist vorhandene Bausubstanz immer dann bei den anrechenbaren Kosten angemessen zu berücksichtigen, wenn eine technische oder gestalterische Mitverarbeitung erfolgt. Mitverarbeiten bedeutet das Einbeziehen in planerischer Hinsicht. Hierfür genügt es, wenn die Mitverarbeitung entweder aus technischer oder aus gestalterischer Veranlassung erfolgt. Die zeichnerische Darstellung vorhandener Bausubstanz ist dagegen keine technische oder gestalterische Mitverarbeitung, vgl. hierzu Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 10. Oktober 2019 – 12 U 21/13.

Insgesamt ist die Nachverdichtung nicht nur aus planerischer Sicht spannend, sondern auch aus juristischer Sicht herausfordernd und zum Teil erheblich abweichend von der Planung und Bebauung eines leerstehenden Grundstücks. Im Ergebnis lässt sich aber über die Schaffung des Baurechts und eine geschickte planerische Gestaltung ein großes wirtschaftliches Potenzial ausschöpfen, was in Zeiten von knappen und vor allem teurem Baugrund wertvoll sein kann.

Die Nutzung der männlichen Form in Fällen der Allgemeingültigkeit dient ausschließlich der Lesbarkeit juristischer Texte.

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