„Roter Kubus“ in Kirchenschiff

Wenn man liest, dass eine Kirchengemeinde ihr Gemeindeleben in die Kirche „verlagert“ habe, wundert man sich vielleicht. Gleichzeitig wird einem bewusst, dass das Gemeindeleben in diesen unseren Zeiten eben nicht mehr wie selbstverständlich am Feierort ist, sondern eher in den an- und umliegenden Gemeindebauten. Hat auch hier die Moderne wieder einmal sehr böse für die funktional räumliche Trennung unserer Lebensinhalte gesorgt?

Gut, geschlafen wird eher selten in Kirchen, es sei denn, man hat sie entweiht und eben einer anderen Nutzung zugeführt. Auch Kitas wurden hier schon untergebracht, Kletterräume, Buchhandlungen, Clubs, Autowerkstätten und Lagerkapazität. In Coesfeld nun hat die evangelische Gemeinde es intelligenter gemacht: Sie musste aus ihrem Gemeindehaus ausziehen, zu groß und auch zu wenig den neuen Bedürfnissen angepasst war es. Aber anstatt nun einen Neubau zu planen, werden Haus und Grundstück zusammen mit benachbartem städtischem Grundstück neu beplant, wahrscheinlich wird dort Wohnraum gebaut; hoffentlich sozial verträglicher!

Doch die Gemeinde braucht einen Ort der Gemeinschaft, der nicht nur Bet- und Andachtsraum ist. Die Lösung: In den hellen, 6-jochigen Saalbau (eine Rekonstruktion des im Krieg 1939–45 zerstörten Originals aus dem späten 17. Jahrhundert) wurde zwischen die ersten Joche ein zu den Seiten geschlossener, in der Hauptachse geöffneter Raum gestellt. Etwa 4 m hoch, ist dieser ca. 60 m² NF bietende Raum und mittig in seiner Decke verglast, also nach oben offen. Überkragende, geschlossene Deckenteile an den Seiten rahmen den Hinaufblick und fassen den Raum. Hier ist die künstliche Beleuchtung untergebracht.

In den außen rot gefärbten Seiten sind – vom Westportal gesehen – linkerhand Stauräume und rechterhand zwei Unisex Toiletten untergebracht. Die Stauräume für Möbel und Material sind von innen, die Toiletten von außen zugänglich. Klima- und lichttechnisch ist der Raum autark, im Winter kann hier schnell Wohnzimmerwärme erzeugt werden, im Sommer ist die Raumtemperatur die des Kirchenraums.

Die Glasfronten mit je zwei großen Türflügeln lassen sich von innen mit raumhohen, blickdichten Textilen schließen, die aus den Seitenwänden gezogen werden. Der Raum selbst ist so zu möblieren, wie er gebraucht wird: Sitzung, Bastelnachmittag, Gesprächskreis oder auch leergeräumt für feierliche Prozessionen, die über den Haupteingang in Richtung Hochaltar führen.

Erweitert wurde das Raumprogramm sehr einfach durch die Schließung der Seitenräume im hinteren Kirchenraum, dem Einbau gegenüber: barrierefreies WC, Küche. Dahinter, in Richtung Altarraum ein paar Wohnzimmermöbel in rot, Willkommen und Einladung, Zeit zu verbringen womit auch immer.

Dass hier in Coesfeld wesentliches Bauen im Bestand formuliert wurde, freut nicht bloß den Autoren, der mit Bahn und Rad ins westliche Münsterland reiste, es überzeugte auch die evangelische Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland KiBa, die ihren hochdotierten Hauptpreis 2025 an eben dieses Projekt verlieh. Es geht also etwas beim Bauen im Bestand, wir brauchen vielleicht mehr Sichtbarkeit von Referenzen dieser Art. Be. K.

www.klodwig-company.de, www.preis-der-stiftung-kiba.de

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