In Zukunft mit Kirchen? Noch definieren Kirchenbauten unsere Städträume

Gerne berufen sich Populisten apodiktisch auf die allein christlichen Wurzeln unserer Werte- und Kulturgesellschaft. Doch was das genau meint, wird in großzügig absichtsvoller Weise verunklart oder so fokussiert, dass am Ende ein „christliches Abendland“ aufscheint, von dem nicht einmal mehr wir Alten so richtig vermuten, was das denn genau wäre.

Tatsächlich ist die christliche Kultur Europas – man könnte auch schreiben: die Dominanz des Klerikalen auf den meisten gesellschaftlichen Feldern – im Umbruch, wenn nicht gar im Begriff, schnell und schneller zu verschwinden. Sichtbar wird das sehr anschaulich in den Gotteshäusern selbst, die immer weniger Menschen zur Teilnahme an Gottesdiensten locken können. Der Rückgang der aktiven Gemeindemitglieder zwingt die Bistümer, Pfarreien aufzugefordern, Kosten zu halbieren. Denn auch in Sachen Kirchenbetrieb gelten die Regeln der Ökonomie und also auch die der Effizienz. Die Gemeinden schließen sich zusammen, immer mehr Kirchen stehen dauerhaft leer und warten.

Noch gibt es 24 500 katholische Kirchenbauten in Deutschland, rund 21 100 evangelische kommen dazu. Es gibt auch Neubauten, doch die Perspektive ist dramatisch: Rund ein Drittel des Bestands im Bundesland NRW soll in den kommenden Jahren leerstehen. Abriss? Umnutzung? Das Thema der Umnutzung ist dabei ein mehr als aktuelles in der Architektur insgesamt. Doch wo es leichter fällt, ehemalige Büroimmobilien zu Wohnhäusern umzubauen, tut sich die Gesellschaft mit den Kirchenbauten schwerer. Was verständlich erscheint, hängt an vielen von ihnen immer auch ein Stück persönlicher Geschichte. Und die allerdings irrationale Vorstellung, es könne sich bei diesen geweihten Häusern um heilige, also unantastbare Orte handeln, die man nicht einfach für einen profanen Zweck umnutzen dürfe. Dass man sie aber auf jeden Fall reparieren und instandhalten darf, wird dabei gerne übersehen.

Und wer nun glaubt, bei den teils schon vollzogenen Abrissen handele es sich überwiegend um anonyme Bauten, um schlichte Zweckbehälter oder marode Moderne, der irrt. So steht aktuell beispielsweise die St. Marien-Kirche in Essen von Hans Schilling auf der Abrisswunschliste der Gemeinde, die Zukunft von St. Gabriel in Volksdorf von Brigitte Eckert von Holst ist weiterhin ungewiss. Und ungewiss ist möglicherweise auch die Zukunft einer wirklichen Prominenten, St. Gertrud in Köln. Der Betonbrutalist an der Krefelder Straße, 1965 nach Plänen von Gottfried Böhm fertiggestellt, dient nur noch einmal im Jahr einem Gottesdienst. Sonst steht der Anfang dieses Jahrtausends noch umfassend sanierte Kirchen- und Wohn- und Bürobau mit Kita im Wesentlichen kultureller Nutzung offen und – und das erscheint fast wesentlich – jedem, der einen Raum sucht, um eigene Gedanken zu finden und sich, abgeschirmt von massiven Betonwänden, ganz dem analogen Dasein zu widmen (ein paar Restbänke sind für solches Meditieren vorhanden, das eigentliche, von Böhm im Sinne des Gesamtkunstwerklichen entworfene Kirchengestühl wurde in eine andere Böhmkirche transportiert). St. Gertrud ist damit vor allem ein erhabener Raum.

Das M:AI – Museum für Architektur und Inge­nieurkunst NRW hat diesen Kirchenraum, dessen architektonischer Wert unbestritten, dessen Zukunft als geweihter Raum aber noch völlig offen ist, nun für eine Ausstellung genutzt, die unter dem Titel „Fluch und Segen. Kirchen der Moderne“ die Bedeutung von Kirchenbauten und der bauliche Umgang mit diesen außergewöhnlichen Räumen thematisiert. Dabei wird zum einen die Böhm-Kirche selbst inszeniert und als Vorlage genommen, sakrale Bauteile im Kirchenbau der Moderne zu erläutern. Andererseits ist hier eine Ausstellung (in der Krypta) untergebracht, die 20 aktuelle Projekte von Kirchenumnutzungen zeigt. Diese bewegliche Ausstellung (wie das Designkonzept insgesamt von der Agentur „simple“ gestaltet) soll im Anschluss an „Fluch und Segen“ in Köln zu den Kirchen wandern, die mit einem Nachnutzungskonzept ringen. Als „Argumentationshilfe“, so in der Pressekonferenz Dr. Karen Jung, die mit Dr. Ursula Kleefisch-Jobst und Peter Köddermann die Ausstellung kuratiert.

Die Ausstellungsinszenierung von simple wird mit Licht (Inszenierung des Zeltdachs aus Beton) sowie Projektionen von Text und Grafik auf die Wände des Kirchenraums vollzogen. Damit sollen wichtige liturgische Bereiche, wie der Gemeinderaum und der Altarbereich, hervorgehoben und erläutert werden. Zudem wird über ebenfalls projizierte Texte auch dem Laien anschaulich gemacht, wie liturgische Anforderungen und theologische Grundsätze die Raumgestalt prägen.

Zur Ausstellung wurde ein 72-seitiges Heft konzipiert, das mit Texten und 40 sw-Abbildungen die Impulse aus der Präsentation im Kirchenraum vertieft, historische Bezüge herstellt und auf spezifische architektonische Hintergründe sowie auf gesellschaftliche und religiöse Entwicklungen verweist. Erhältlich ist es in der Ausstellung.

Was die Aktion des M:AI zumindest bewirkt hat: Der Autor dieses Beitrags, der jahrzehntelang aus dem Kölner Hauptbahnhof gen Westen zig mal an dem Kirchenbau vorbeifuhr, hat es geschafft, den Böhm zu besuchen und ihn in einer ganz besonders nachdrücklichen Weise kennengelernt. Der Ausstellung und ihren Machern wünsche ich die größtmögliche Wirkkraft, die in der Diskussion um die Nutzungen eines großen Erbes zu nachhaltigen Ergebnissen führt. Be. K.

„Fluch und Segen. Kirchen der Moderne“, noch bis 10. November 2019, Krefelder Straße 57,

50670 Köln, Öffnungszeiten im Netz.

www.mai-nrw.de
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